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„Ein Stück Normalität“ – Der große MoreCore.de Jahresrückblick 2022

Es war alles, aber ganz sicher nicht langweilig!

VON AM 26/12/2022

Im Schlussspurt der 1. und 2. Fußball-Bundesliga-Saison 2021/2022 entwickelte sich ein seltsamer Trend, der gleichsam bizarr, aber auf irgendeine Art und Weise sogar nachvollziehbar war: Platzstürme. Die Sehnsucht danach, wieder ganz nah dran zu sein. Gemeinsame Momente zu feiern. Die Distanz zu überbrücken, die einem seit 2020 auferlegt wurde.

Unser Jahresrückblick – so spannend war das MoreCore-Jahr 2022

Und da diese Platzstürme in Köln, Bremen oder Gelsenkirchen allerdings auch problematisch, wenn nicht sogar gefährlich waren und eben vermehrt aufkamen, konnte man mit einem besorgten Auge auf die damals anstehende Festival-Saison im Sommer blicken. Immerhin gab es eine gefühlte Ewigkeit an verlorener Zeit nachzuholen. Diverse Wochenenden in eins zu packen. Die Freiheit zu genießen. Ein Ende der Streaming-Konzerte und -Festivals. Die Bierzeltgarnituren zurück in der Garage. Mit dem Auto höchstens zum Parkplatz, aber nicht vor die Bühne.

Glücklicherweise wird man die Festival-Saison 2022, die erste “richtige” nach zwei komplizierten Sommern, mit überwiegend positiven Erinnerungen verbinden – zumindest aus Sicht der Besuchenden. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel. Festival-Veranstalter hatten dagegen, unabhängig von der Größe ihres Events, mit einer Menge Hindernissen zu kämpfen. Band- bzw. Tour-Absagen aus gesundheitlichen oder wirtschaftlichen Gründen sorgten für regelmäßiges Zittern, inwieweit das Lineup weiter erschüttert werden würde. Gestiegene Kosten für Energie, Technik oder so selbstverständliche Dinge wie Dixi-Klos, die in ihrer Verfügbarkeit zudem noch eingeschränkter waren als sonst – was auch für Transportmittel wie Nightliner galt.

Ach ja und dann war da ja noch das Personal, das fehlte. So ziemlich überall. So musste zum Beispiel das Puls Open Air wegen fehlender Securities nach nur einem Tag abgebrochen werden. Von der mäßigen Nachfrage nach Tickets, die auch Club-Shows regelmäßig gefährdeten, ganz abgesehen.

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Doch auch in musikalischer Hinsicht ging es im Sommer teils sehr wild zu. Die Höhner beim Wacken. Scooter am Ring. Electric Callboy beim Parookaville. Die Flippers überall. Aber warum eigentlich nicht?

Electric Callboy und das Wahnsinnsjahr

Apropos Electric Callboy: Diese suchte man beim diesjährigen Eurovision Songcontest vergebens und wie es das Schicksal wollte, landete Deutschland mit Malik Harris auf dem letzten Platz. Dem Hype um die Trancecore-Band tat dies keinen Abbruch, ganz im Gegenteil. Ob man wollte oder nicht, man kam in diesem Jahr nur schwer an den Jungs aus Castrop-Rauxel vorbei.

Nr. 1 Album, Auftritt bei TV total, ein eigenes Festival und drumherum noch ein Namenswechsel, der allerdings nach wie vor nicht bei allen Fans angekommen ist.

Inwieweit Electric Callboy an dieses Wahnsinnsjahr anknüpfen können, wird die Zeit zeigen. Doch schon jetzt ist der Kalender mit allerlei Shows und Festivals in 2023 gefüllt und längst ist die Band auch beim internationalen Publikum angekommen.

Nicht wenigen wird die Wahl nach dem persönlich besten Release allzu leicht gefallen sein, denn 2022 war ein äußerst interessantes Jahr – gerade für die “Gitarrenmusik”. So bekamen wir eine ganze Menge an starken und spannenden Alben geliefert, die für sich auch wiederum ganz eigene Geschichten erzählten und neue Wege öffneten. Seien es Bleed From Within, die mit “Shrine” den starken Eindruck von “Fracture” bestätigen konnten und möglicherweise die Lücke schließen werden, die Parkway Drive seit ihrer Abkehr vom Metalcore hinterließen. Diese veröffentlichten mit “Darker Still” vielleicht nicht das beste, aber das persönlich wichtigste Album, das zu einer Zeit entstand, als die Zukunft der Band mehr denn je auf dem Spiel stand.

Malevolence spielten sich mit ihrem Debüt bei Nuclear Blast (“Malicious Intent”) endlich auf den Radar all derer, die die Briten bis hierhin nicht auf dem Schirm hatten, während Comeback Kid mit “Heavy Steps” alles richtig machten, indem sie eine verflucht gute, aber vor allem gut klingende Hardcore-Platte veröffentlichten.

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Metalcore 2022: Wie aus einem Matrix-Film

War 2021 das Jahr des Pop-Punks, so klang der Metalcore in 2022 vor allem düster, synthetisch, kühl und industriell. Wie eine vertonte Kampfszene aus einem Matrix-Film. Alben wie “The Classic Symptoms of a Broken Spirit” von den Architects, “Obsidian” von Northlane, aber auch “True Power” von I Prevail und “Darkbloom” von We Came As Romans hatten auf ihre jeweils eigene Art und Weise einen gewissen Hang zu Industrial- oder Nu Metal-Klängen und einem insgesamt breiten und experimentellen Sound.

Welche Einflüsse hier reinspielten, seien es die Covid-Jahre allgemein, die zunehmende Durchdigitalisierung der Gesellschaft oder auch die drohenden Auswirkungen der Klima-Krise, wird man eventuell erst mit Abstand analysieren können. Doch kaum eine Band hat diese Formel so perfektioniert wie Bad Omens, die mit “The Death Of Piece Of Mind” eine der besten und spannendsten Platten des Jahres veröffentlichten und sich damit stark an Bring Me The Horizons “Amo” orientierten, indem sie auf 15 Songs sowohl Fans von poppigen Alternative Klängen, aber auch Liebhaber:innen härterer Töne abholten. Dass die Band damit reihenweise ausverkaufte Shows spielt und auch bald bei uns spielen wird, spricht nur für sie.

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Auch Motionless In White können zufrieden auf die Rezeption ihres neuen Albums “Scoring The End Of The World” zurückblicken, das die US-Amerikaner möglicherweise von aller Skepsis befreit hat, die der Band in Teilen der Szene lange wegen ihrer extravaganten Erscheinung entgegengebracht wurde. Songs wie “Slaughterhouse” und dem fiesen Feature von Bryan Garris (Knocked Loose) brachten der Band endgültig ihre “Street Credibility” während sie mit “Werewolf” ihr Gespür für gute, moderne Rocksongs unterstrichen.

Das gelang auch Placebo, die mit “Never Let Me Go” ihr erstes Studioalbum in beinahe zehn Jahren präsentierten und dabei Fans ihres 90er und 2000er Sounds begeisterten. Den eigentlichen Clou landeten die Briten in diesem Jahr allerdings gänzlich unfreiwillig mit einem Cover, das sie schon 2003 aufnahmen. Denn wenige Tage vor ihren Festival-Auftritten, unter anderem bei Rock am Ring, wurden die ersten Folgen der vierten „Stranger Things“-Staffel veröffentlicht, die den Kate Bush-Hit “Running Up That Hill” zurück in die Erinnerung, aber vor allem auch wieder in die Charts brachte. Als Placebo ihre Coverversion des Songs dann im Sommer auf den Bühnen präsentierten, trafen sie damit den berühmten Zahn der Zeit.

Lorna Shore, die Shootingstars, SKYND auf dem Sprung

Den erwischten auch SKYND, wenn auch aus anderen Gründen. Die Industrial-Kombo widmet sich in ihren Songs True Crime-Fällen – einem Genre, das sich sowohl auf Podcast- als auch auf dokumentarischer Ebene via Netflix und Co. höchster Beliebtheit erfreut. Unter anderem beim Full Force und in den kleinen Clubs Europas bewiesen SKYND, dass sie nicht nur kontroverse Themen bedienen, sondern vor allem auch eine richtig starke Live-Show auf die Bühne bringen können. Mit Ice Nine Kills fanden sich zudem perfekte Tour-Partner, um kommenden Februar den nächsten Schritt zu machen. Diesen kann man getrost auch von vielen anderen Bands erwarten, die regelrecht mit den Hufen scharren, um sich aus der Rolle der Geheimtipps zu befreien. AVOID, Foreign Hands oder Static Dress werden ganz vorne mit dabei sein, nachdem sie jeweils in ihrer Heimat, in den USA und UK, für Jubelstürme gesorgt haben.

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Jubeln durften auch alle Deathcore-Fans, denn das Genre hat mit Lorna Shore seine neuen Shootingstars gefunden. Nachdem Will Ramos und seine Kollegen vergangenes Jahr mit ihrer EP “…And I Return to Nothingness” ein dickes Ausrufezeichen setzten, folgte mit “Pain Remains” ein Deathcore-Album, das es bis in die deutschen Album-Charts (Platz 6) schaffte. Nicht wenige sehen die Platte ganz oben in den Jahresbestenlisten und längst hat es die Band geschafft, sich über das Genre hinweg einen Namen zu machen. Eine ähnliche Entwicklung wie Turnstile, die es ihrerseits sogar bis in die Late Night Shows in den USA geschafft haben. Inwieweit dieser Erfolg nachhaltig sein wird oder doch nur von einem kurzzeitigen Hype, auch Dank Social Media, getragen wird, bleibt auch hier abzuwarten. Dass sich Lorna Shore gerade mit anderen Bands wie Brand Of Sacrifice um die abgefahrendsten Breakdowns prügeln, kann dem Genre und seiner Popularität nur förderlich sein.

Verstorbene Musiker:innen und kontroverse Momente

Bei aller Euphorie – leider verlor die Musikwelt auch in diesem Jahr wieder einige bedeutende Persönlichkeiten. Darunter Taylor Hawkins (Foo Fighters), Meat Loaf, D.H. Peligro (Dead Kennedys), Jerry Lee Lewis, Andy Fletcher (Depeche Mode), Trevor Strnad (The Black Dahlia Murder), Tim Feerick (Dance Gavin Dance), Mark Lanegan (Screaming Trees, Queens of the Stone Age) und auch Michael Lang, Veranstalter des Woodstock-Festivals. Dessen kontroverser, dritter Ableger, das Woodstock ‘99, wurde dieses Jahr in einer Netflix Doku-Serie aufgearbeitet, was wiederum die Rolle von Bands wie Limp Bizkit und Korn an der Katastrophe aufwarf, zumindest aber die Planlosigkeit der Verantwortlichen aufzeigte. Korn wiederum veröffentlichten nicht nur ein weiteres, mehr als solides Album („Requiem“), sondern bewiesen auch, dass man nach wie vor auch live mit ihnen rechnen kann. Das gilt ebenso natürlich auch für Slipknot, die ihrerseits ein Album („The End, So Far“), aber auch das Debüt ihres Knotfest in Deutschland feierten, was allerdings nicht vollends, zum Beispiel in Sachen Museum, überzeugen konnte.

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Die Kollabo von Ed Sheeran und Bring Me The Horizon, das angekündigte Ende von NOFX, die sehr fragwürdigen Aussagen von Jesse Barnett (Stick To Your Guns) rund um den Krieg in der Ukraine, die der Band einige Shows kosteten, die Reunion von Pantera, Tilian Pearsons Rückkehr zu Dance Gavin Dance, Tom Delonges Comeback bei Blink-182, Rammstein und “Dicke Titten”, das angestrebte Ende von Five Finger Death Punch, Parkway Drive und ihre “Darker Still” Ballade – das ist nur ein kleiner Ausschnitt der so vielen weiteren Geschichten, die die (alternative) Musikwelt in diesem Jahr heiß diskutiert hat. Doch es stehen schon die nächsten Themen an, die ihre Schatten ins kommende Jahr 2023 vorauswerfen. Können Papa Roach Festival-Headliner? Wie wird das neue Metallica-Album klingen? Mit wem legt sich Machine Gun Kelly als nächstes an?

Eines ist sicher: Es wird nicht langweilig.

Foto im Auftrag von MoreCore.de: Julia Strücker (Julia_Rocknrolla)

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