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AlternativeRock

Kritik: Placebo - "Never Let Me Go"

Quälend lange haben Placebo auf ein neues Album warten lassen. Neun Jahre liegt „Loud Like Love“ bereits zurück und die ...

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Quälend lange haben Placebo auf ein neues Album warten lassen. Neun Jahre liegt „Loud Like Love“ bereits zurück und die Hoffnung auf neues Material schwand almählich dahin. Doch jetzt passiert tatsächlich das, was man kaum zu träumen wagte und das Duo veröffentlicht mit „Never Let Me Go wahrhaftig ein neues Album. Dennoch scheint die Zeit bei den beiden stehengeblieben zu sein…

Placebo gehen auf „Never Let Me Go“ kein Risiko ein – und das ist gut so

Schon ein Blick auf die Tracklist gibt verräterische Hinweise auf die Themen des Albums. Und ja – viel hat sich inhaltlich nicht getan. Schon der erste Song „Forever Chemicals“ adressiert in den Lyrics den Drogenkonsum, mit dem sich die zwei bekannterweise nur zu gut auskennen und der fester Bestandteil in den Lyrics der Band geworden ist.

Anmerkung der Redaktion: Solltest du selbst das Gefühl haben, dass du dich in einer belastenden Situation befindest, dann kontaktiere bitte umgehend die Telefonseelsorge (www.telefonseelsorge.de). Unter der kostenlosen Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhältst du anonym Hilfe von Beratern, die mit dir Auswege aus schwierigen Situationen finden und eine tolle Stütze sein können. Danke, dass du es versuchst!

Ebenfalls altbekannt sind die Synthesizer, denen auch auf diesem Album ein große Präsenz eingeräumt wird. Auch wenn nicht ganz deutlich wird, wer der geheimnisvolle „Beautiful James“ sein könnte, werden die träumerischen Zeilen über ihn von prägnanten Synthesizern begleitet. Sehr schnell greift der typische Placebo-Sound um sich und versprüht den altbekannten Vibe der Band. Viel zu vertraut klingen die Songs, die doch eigentlich brandneu sein sollten. „Never Let Me Go“ ist von Anfang an komfortabel – und holt all jene dort ab, wo Placebo sie 2013 zurückgelassen haben.

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Während man durch die alten neuen Soundlandschaften spaziert, bereiten wabernde Gitarren und eine stampfende Base Drum den Weg in den Chorus von „Hugz“. Umspült von einem ausgeprägten Hall bekommt man beinahe das Gefühl, den Song, der definitv zu einem der rockigeren des Longplayers zählt, live zu erleben. Im Kontrast dazu verbinden sich experimentelle Synthis und ruhige Gitarren im nächsten Song. Mehrspurige, sich überlappende Gesangspart im Refrain mischen sich mit dissonanten Synthis zu einem wahnsinnigen Gefühl der Hilflosigkeit in „Happy Birthday In The Sky“.

Die drückende Stimmung der Songs legt sich in den ersten Songs schwer in die Gehörgänge, bis plötzlich und gänzlich unerwartet ein paar Streicher in „The Prodigal“ aus der Melancholie reißen. Ein Highlight des Albums ist dieser Song auf jeden Fall. Mit seiner positiven Stimmung bringt er eine Abwechslung in die Tracklist, die man auf diese Weise nur selten von Placebo erlebt.

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Ein weiteres Highlight steht im Anschluss direkt bereit. Die Single „Surrounded by Spies“ besticht mit seinem dramatischen Aufbau. Minimalistisch bewegt er sich langsam vorwärts, während Molko immer und immer wieder die selben Wörter wiederholt. Ein chaotischer Klangteppich malt Bilder in den Kopf, die an einen paranoiden Horrortrip erinnert.

So schnell die zwei Highlights kamen, so schnell sind sie vorbei. Während die erste Hälfte des Albums durchaus überzeugt, wird die zweite von belanglosen Radio-Rock eingeleitet. „Try Better Next Time“ ist plump gesagt zu „einfach“. Auch „Chemtrails“ und „Twin Demons“ sind zwar typische Placebo-Songs, doch mit den Songs der ersten Hälfte können sie nicht mithalten.

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Spannend wird es wieder wenn ein Klavier „This Is What You Wanted“ einläutet. „Hey, Hey, Hey“, begrüßt Molko und spricht, als würde er uns zurück auf den Boden der Tatsachen holen. Der Song ist unaufgeregt und besticht gerade durch seinen besänftigen Minimalismus. Immer weiter baut sich der Song auf, zieht hypnotisch in die Lyrics, kommt niemals wirklich zum Höhepunkt und ist trotzdem einer der besondereren Songs der zweiten Hälfte.

Auch „Went Missing“ versucht durch ruhigen Minimalismus zu überzeugen, allerdings gelingt es hier bei weitem nicht so gut wie im Track zuvor. Auch der Rausschmeißer „Fix Yourself“ ist an dieser Stelle etwas unglücklich gewählt. So stark das Album begonnen hat, so schwach zieht es dem Ende entgegen. Der Song zieht sich so sehr in die Länge, dass man es beinahe kaum mehr erwarten kann, dass er endlich zu Ende ist.

Bei all der Kritik über die „schwache“ zweite Hälfte liefert das Duo mit ihrem Album aber insgesamt ganz genau das, was man von einem Placebo-Album erwartet – stimmungsvollen Alternative Rock. Wer „den einen Song“ oder „die eine Hymne“ sucht, wird auf „Never Let Me Go“ eher enttäuscht – wer die Atmosphäre des Sounds genießen und in die für die Band typische Stimmung eintauchen will, der ist hier genau richtig.

Foto: Mads Perch / Offizielles Pressebild

ALBUM
Never Let Me Go
Künstler: Placebo

Erscheinungsdatum: 25.03.2022
Genre: ,
Label: So Recordings (Rough Trade)
Medium: CD, Vinyl, etc

Tracklist:
  1. Forever Chemicals
  2. Beautiful James
  3. Hugz
  4. Happy Birthday In The Sky
  5. The Prodigal
  6. Surrounded By Skies
  7. Try Better Next Time
  8. Sad With Reggae
  9. Twin Demons
  10. Chemtrails
  11. This Is What You Wanted
  12. Went Missing
  13. Fix Yourself
Placebo Never Let Me Go
Placebo Never Let Me Go
8
FAZIT
Bei Placebo scheint die Zeit still zu stehen. Im selben Sound-Gewandt wie eh und je präsentiert das Duo mit "Never Let Me Go" ein Album, das auch schon vor zehn oder sogar zwanzig Jahren hätte erscheinen können - abgesehen davon, dass die Qualität in der Produktion deutlich besser daherkommt als noch beim Debüt.

Wo Placebo draufsteht, steckt Placebo drin! Unaufgeregt halten die 13 Songs, was sie versprechen - wenn auch an der ein oder anderen Stelle unerwartet fröhlich. Von experimentellen Neuerungen fehlt so gut wie jede Spur - glücklichweise, kann man schon fast sagen - denn wenn Placebo eines so besonders macht, dann ist es Brian Molkos einzigartiger Gesang, die Synthesizer und der Sound, der einen in den Strudel des Abrunds zieht. Und damit kann das Duo auch in ihrem neuen Album überzeugen.