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Trainwreck Woodstock ’99 bei Netflix: Das schlimmste Festival aller Zeiten?

Von wegen Hippie-Revival.

VON AM 13/08/2022

Trainwreck Woodstock `99 ? Auch nach über 50 Jahren ist der Mythos Woodstock noch allgegenwärtig. Das Festival, das im Sommer 1969 im US-Bundesstaat New York stattfand, steht wie kein anderes für das Hippie-Zeitalter und Love, Peace and Understanding. Was oft vergessen wird: Der Mythos Woodstock entstand vor allem in der Zeit nach dem Festival. Das Event selbst war damals ziemlich chaotisch, von organisatorischen und technischen Problemen und natürlich auch vom Drogenkonsum der Besucher:innen geprägt. Auch finanziell war das Festival – das übrigens von Anfang an auch kommerziellen Interessen diente – ein Reinfall. Erst einige Jahre später konnten durch den schon erwähnten Mythos Woodstock überhaupt Gewinne erzielt werden.

Mythos Woodstock

Der immer mehr aufkommende Legendenstatus des Festivals führte dann auch in den 90ern dazu, dass die Rufe nach einem Revival größer wurden. Und so gab es 1994 mit dem „Woodstock II“ die erste Neuauflage, die auch von verhältnismäßig wenig Nebengeräuschen begleitet wurde. Ganz anders das „Woodstock III“ im Jahre 1999. Es wurde zum Desaster mit massiven Sachbeschädigungen, Verletzungen und leider auch mehreren bekannt gewordenen Vergewaltigungen. Warum und wie es dazu kam, wird in der kürzlich erschienenen Netflix-Doku „Trainwreck Woodstock `99“ beleuchtet. Wir haben sie uns für euch angeschaut.

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Jeder der drei Teile der Doku beschäftigt sich im Schwerpunkt mit einem Tag des dreitägigen Festival. So geht es in Teil 1 vor allem um die Erwartungen, die Menschen aus verschiedenen Bereichen vor Beginn des Festivals hatten. Dabei kommen Netflix-like zahlreiche Zeitzeug:innen zu Wort, eine Stimme aus dem Off gibt es aber nicht. Das führt zwar einerseits dazu, dass die Doku durchweg authentisch bleibt. Andererseits muss man als Zuschauer:in die Aussagen der jeweils zu Wort kommenden Personen selbst bewerten, was – jedenfalls ohne Hintergrundinfos – teilweise nicht ganz einfach ist.

How The F**k Did This Happen?

Dennoch wird in Folge 1 sehr schnell klar, dass schon vor Beginn des Festivals Erwartungen und Realität weit auseinander lagen. Während die Veranstalter – allen voran Michael Lang, der auch schon die vorherigen Woodstock-Ausgaben organisiert hatte – nur kommerzielle Interessen verfolgten, kamen viele Jugendliche und junge Erwachsene mit der Hoffnung nach Rome, New York, ein Festival zu erleben, das dem Mythos Woodstock entsprach. Doch schon der Veranstaltungsort, die Griffiss Air Force Base strahlte nichts davon aus.

Von wegen Peace and Love – der nackte Asphalt war die Realität. Und auch darüber hinaus wird schon früh in der Doku deutlich, dass vor allem die Organisation des Festivals zur Katastrophe führte. Die Besucher:innen durften trotz extremer Hitze nicht einmal Wasser mit hinein nehmen. Die Preise für Getränke waren extrem hoch und wurden von den Verkaufsständen selbstständig bestimmt. Auch die Sanitäranlagen waren längst nicht ausreichend und schon früh überlastet.

Nu Metal statt Hippie-Musik beim Woodstock 99

Die Hauptsache auf Festivals ist und bleibt aber die Musik. Da ist auch Woodstock III keine Ausnahme. Doch auch hier zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen dem Original und der Ausgabe von 1999. Das ’99er-Woodstock brachte zwar ebenso wie das Festival 30 Jahre zuvor viele absolute Top-Acts zusammen, war aber von Alternative und Nu Metal geprägt. Der Auftritt von Korn am Freitagabend ist auch heute in seiner Intensität noch beeindruckend, zeigt aber auch, welche Fehler in der Sicherheitsplanung gemacht wurden.

Es gab ganz offensichtlich keine Wellenbrecher und keine Sektoren wie man es heutzutage von Festivals kennt. Die Crowd scheint eine einzige sich von links nach rechts und von vorne nach hinten zu bewegende Masse zu sein. Ja, auch das Original-Woodstock kam ohne aus, aber es war eben eine andere Zeit und auch eine andere Musik.

Unklar ist aber, weshalb einige der Zeitzeug:innen Korn in der Doku für die Intensität ihrer Show kritisieren und der Band so eine Mitschuld am Chaos vor der Bühne geben. Soll die Band etwa lustlos auftreten, nur weil das Festival kein Sicherheitskonzept hat?

Kerosine.Match.Burn

Tag 1 des Festivals verlief noch glimpflich, doch spätestens am Samstag zeigten sich die organisatorischen Missstände von Woodstock `99 immer deutlicher. Massen an Müll, verunreinigtes Trinkwasser, wegen der Hitze wahlweise kollabierende oder überaus aggressive Besucher:innen.

Woodstock 99 hatte immer weniger mit der Wunschvorstellung der Fans zu tun. Allerdings wartete mit dem Konzert von Limp Bizkit – es gab damals kaum eine Band, die mehr gehypt wurde – ein absolutes Highlight auf die Fans.

Doch auch hier zeigt sich wieder eine wenig nachvollziehbare Sicht einiger der damals Beteiligten. Limp Bizkit und Fronter Fred Durst werden verantwortlich für das Chaos in der Masse gemacht.

Break Stuff

Ja, Limp Bizkit haben „Break Stuff“ gespielt und ganz offensichtlich haben das einige in der Crowd wörtlich genommen. Ja, Fred Durst hat die Fans angestachelt. Aber auf der anderen Seite: Kann man das einer Band wirklich anlasten und was bekommt die Band oben auf der Bühne wirklich mit?

Es ist doch klar, dass die Band die Energie eines solchen Festivals aufnimmt und für sich nutzt.

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Es ist kaum auszuhalten, wenn berichtet wird, dass Frauen während des Konzerts nicht nur belästigt, sondern auch sexuell missbraucht wurden. Doch hier der Band eine (Mit-)Schuld zu geben, ist fehl am Platz. Schuld sind die Täter, mitverantwortlich diejenigen, die für die Sicherheit auf dem Festival verantwortlich waren.

Wenn man dann hört, dass keine professionellen Securities anwesend waren, sondern mehr oder weniger die „Dorfjugend“ hierfür engagiert wurde, fällt einem nur noch wenig ein. Die Berichte von dem, was am Samstagabend im Rave-Tent von sich ging, machen betroffen.

Autos fuhren in die Menge, junge Mädchen wurden vergewaltigt – die Berichte hierüber sind kaum auszuhalten und auch Fatboy Slim, dessen Show abgebrochen werden musste, gehen die Ereignisse immer noch sichtlich nahe.

You Can’t Stop a Riot in the 90s

Viele Besucher:innen kehrten dem Festivalgelände nach den schlimmes Szenen vom Samstagabend schon sonntags den Rücken. Währenddessen gab das Orga-Team am Sonntagvormittag noch eine Pressekonferenz. Man spielte die Ereignisse herunter und wusch sich die Hände in Unschuld.

Doch am Sonntag hatte Woodstock all seinen Reiz und alles Mystische endgültig verloren. Dennoch gab es mit den Red Hot Chilli Peppers noch ein musikalisches Highlight, welches wiederum von Chaos und Ausschreitungen begleitet wurde.

Zur Katastrophe wurde dann aber das Ende des Konzerts. Für „Under The Bridge“ wurden auf Initiative der Organisatoren zahlreiche Kerzen in der Crowd verteilt. Es sollte wenige Wochen nach dem schrecklichen Anschlag an der Columbine High School ein Zeichen gegen Waffengewalt gesetzt werden.

Doch in der ohnehin angespannten Atmosphäre machten die Festival-Macher dann einen weiteren unverzeihlichen Fehler: Die groß ankündigte Überraschung im Anschluss an das Set von RHCP entpuppte sich als Jimi Hendrix, der über die Videoleinwände flimmerte. Das wars.

Die Wut entlud sich schließlich mithilfe der Kerzen in zahlreichen Feuern und einen kaum vorstellbaren Chaos aus Wut, Gewalt und Zerstörung. Ein beschämendes Ende für Woodstock ’99 und ein weiteres Zeichen der unfassbaren Fehlplanung des Festivals.

Was bleibt am Ende?

Woodstock `99 hatte nicht viel mit dem Original gemein. Vielleicht war es schon der erste Fehler, hier überhaupt den Versuch zu unternehmen, eine Verbindung zwischen den beiden Events herzustellen. Die hohen Erwartungen wurden schließlich zur Bürde für das Festival.

Gepaart mit einer unglaublich schlechten und dreist fehlerhaften Organisation, bei der die Sicherheit der Besucher:innen der reinen Profitgier geopfert wurde, nahm die Katastrophe ihren Lauf.

Die Bands spielen in der Doku letztlich nur eine untergeordnete Rolle. Dass ihnen teilweise eine Mitschuld an den Ereignissen gegeben wird, ist wenig überzeugend und weit weg von der Realität eines Festivals. Klar wird stattdessen, warum es gut und sinnvoll ist, in die Sicherheit eines solchen Events zu investieren.

Menschen in der Masse sind – vor allem wenn Hitze, Drogen oder schlicht Euphorie im Spiel sind – nicht mehr zu kontrollieren. Im Fall von Woodstock – auch das zeigt die Doku – haben die Veranstalter die eklatanten Sicherheitsmängel ganz bewusst in Kauf genommen. Im Vordergrund stand allein die fast schon perverse Gier.

Die immer wieder dargestellte toxische Männlichkeit zeigt übrigens, dass Woodstock ’99 auch ein gesamtgesellschaftliches Versagen war.

Haben wir aus den Fehlern gelernt?

In über 20 Jahren sind wird in Sachen Awareness sicher einen Schritt weiter gekommen. Und doch sind noch viele Anstrengungen notwendig, damit sich alle Besucher:innen auf einem Festival wohl und sicher fühlen können.

Interessant ist übrigens, dass die zuständigen US-Behörden in der Netflix-Doku überhaupt nicht zu Wort komme. Denn am Ende bleibt es vor allem unverständlich, wie ein solches Event bei all den Missständen überhaupt genehmigt werden konnte.

Love, Peace and Unterstanding ist eben bei aller Träumerei nicht zu garantieren. In Verbindung mit der Profitgier mancher Veranstalter entsteht eine überaus gefährliche Mischung. Das zeigte auch die Love Parade in Duisburg 2010 und das zeigt auch Woodstock ’99 sehr eindringlich.

Bild: Netflix / Offizielles Poster

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