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Before The Hype: Static Dress und das 2000er Core Revival

DIY in ganz neuer Form!

VON AM 25/09/2022

Manchmal muss man das Heft selbst in die Hand nehmen, um seine Vision voranzutreiben – gerade dann, wenn dir niemand wirklich zuhören will. Static Dress sind eine Band, die in der heutigen Zeit so eigentlich kaum existieren sollte. Mit einem Sound, der so klingt als hätte man die frühen Underoath, Finch und My Chemical Romance zurück in die Neuzeit gebracht und einer bis ins Detail durchdachten Ästhetik, die in Teilen an AFI und Placebo erinnert, gehören Static Dress zu einer neuen Welle an Bands, die den frühen 2000er Post-Hardcore und Metalcore-Sound wiederaufleben lassen. Doch Frontmann und kreatives Mastermind Olli Appleyard hat noch viel mehr vor.

 

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Wer sich Reddit-Foren, YouTube- und Instagram-Kommentare durchliest, bekommt schnell den Eindruck, dass Static Dress anders sind. “Eine Band für Nerds”, wie es der britische Rolling Stone in seinem Feature schrieb. Spätestens seit ihrem kürzlich erschienenen Debüt-Album “Rouge Carpet Disaster” gehören die Briten zu den absoluten Geheimtipps einer aufkommenden Retro-Welle des 2000er Core-Sounds.

Bands wie Foreign Hands, If I Die First, Wristmeetrazor, SeeYouSpaceCowboy oder Dying Wish klingen so, als hätte man sie schon vor rund 15 Jahren problemlos auf die Warped Tour schicken können. Dabei biedern sie sich aber alles andere als der Pop-Punk- und Alternative-nahen (Fashion)-Emo-Szene an, sondern setzen tatsächlich eher auf die musikalische Wucht von Bands wie Haste The Day, Poison The Well, It Dies Today oder From Autumn To Ashes.

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Auch Static Dress positionieren sich soundtechnisch in ähnlichen Gefilden, schaffen aber, eindrucksvoll den Spagat zwischen Moshpit und gefühlvollen Momenten, oft sogar innerhalb eines Songs. Schnell werden hierbei Erinnerungen an A Static Lullaby, Underoath oder Senses Fail und auch Deftones wach, was auch Szene-Größen wie Shane Told von Silverstein nicht verborgen geblieben ist, wie er uns im Interview kürzlich verriet. Wer jedoch glaubt, dass die 2018 in Leeds gegründete Band lediglich aktuellen Trends nachjagt, wird schnell eines Besseren belehrt.

Olli Appleyard: Die Grenzen austesten

Sänger Olli Appleyard machte sich früh einen Namen als kreativer Kopf. So organisierte er Shows im Key Club in Leeds oder wurde als Fotograf in den lokalen Venues oder auf dem Slam Dunk Festival und Shedfest gebucht. Oft arbeitete er bis spät in die Nacht, um am nächsten Tag zur Schule zu gehen.

Mit steigender Bekanntheit, auch aufgrund seines einzigartigen Stiles, arbeitete Appleyard für mehr und mehr Bands, die sich von seiner kreativen Ader inspirieren ließen. Die noch aktive Facebook-Seite Olli Appleyard Photography dokumentiert seine Arbeiten für Bands wie Dream State, Loathe, Creeper, Neck Deep, Frank Carter, Wargasm (UK) oder Blood Youth, für die er teilweise sogar an der Produktion von Musikvideos beteiligt bzw. verantwortlich war.

Dennoch hatte Appleyard nicht das Gefühl, dass er all seine Ideen unter die Leute bekäme, was ihn zunehmend frustrierte. “Ich wollte einfach schauen, wie weit ich etwas pushen könnte, wenn ich möglichst viel Energie in die Musikvideos, das Marketing und Branding stecke”, erklärte er dem Kerrang Magazine im Interview.

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Einen neuen Ansatz zu finden, der über die typischen Facebook und Instagram Ads hinausgeht und eben noch nicht von zig Bands und Künstler:innen längst verprobt wurde – das trauen sich eben (leider) nur die wenigsten. Aus dieser Motivation heraus wurde Static Dress geboren und im August 2019 mit “clean.” die erste Single veröffentlicht. An der Produktion des zugehörigen Musikvideos, das zugleich auch den Grundstein für die Ästhetik der Band setzte, war Appleyard natürlich direkt beteiligt. Dass “clean.” innerhalb eines Tages über 16.000 Klicks auf YouTube erzielte, bestätigte die Band in ihrem Tun.

Static Dress: Unabhängig, eigenwillig, speziell

Gut zwei Monate später, an Halloween, veröffentlichten Static Dress ein Video zu einem Stück namens “DSC_301”, was laut der Band (und der Videobeschreibung) kein richtiger Song sei. Dennoch waren Fans weniger abgeschreckt, sondern eher fasziniert von dem 47-sekündigen Interlude, das zum Worldbuilding gehörte und auch die Freiheit der Band demonstrierte, entgegen aller Erwartungen zu handeln. Static Dress und allen voran Olli Appleyard verstehen sich eben nicht nur als Musiker, sondern auch als Geschichtenerzähler. So wurden QR Codes in Live-Stream-Shows versteckt, die wiederum zu Cover-Versionen von “One Of Us Is The Killer” (The Dillinger Escape Plan), “Back To School” (Deftones) und “Something In The Way” (Nirvana) führten. Letztere war eine sehr eigenwillige Interpretation des Songs und wurde sogar mit einem eigenen Video versehen, das verschiedene Morsecodes enthielt.

Ausgewählte Fans wiederum erhielten VHS-Kassetten mit weiteren Codes zugeschickt, die wieder andere Rätsel freischalteten. Auf den Setlists ihres Slam Dunk Fest-Auftrittes von 2021 waren ebenfalls QR-Codes abgedruckt, die zu einem Dropbox-Ordner führten, der weitere Bausteine, wie eine kurze Audiospur und zwei Fotos, enthielt.

So ist es kein Wunder, dass sich Fans fleißig auf Reddit und in einem speziellen Discord-Channel zu den Rätseln austauschen und immer tiefer in der Backstory graben, die Static Dress vor allem anhand des Debüt-Albums “Rouge Carpet Disaster”, aber auch mit der EP “Prologue…” erzählen wollen. Letztere enthält sogar einen kurzen Comic und sollte der Erzählung der Vorgeschichte dienen, die dann auf dem Album weitergeführt wird und wie ein düsterer Roadmovie im Hollywood der 60er und 70er Jahre spielt. Entsprechend aufwendig ist zum Beispiel auch das Booklet zum Album gestaltet, das selbstverständlich voller Codes und Hinweise steckt.

Static Dress - Rouge Carpet Disaster (Vinyl)

Static Dress - Rouge Carpet Disaster (Vinyl)

Static Dress - Prologue (Vinyl)

Für viele zählt “Rouge Carpet Disaster” sogar zu den besten Alben des Jahres und tatsächlich braucht es die Faszination rund um die Band nicht mal, um zu verstehen, dass die Briten auf dem besten Wege sind, ein größerer Name im Genre zu werden. Dabei sind Hit-Songs wie “Di-Sinter” oder “such.a.shame” alles andere als geradlinig geschrieben, obwohl Static Dress zweifellos im Stande wären, musikalisch zugänglichere Songs zu schreiben. Allerdings scheint es, als ob die Band gar nicht unbedingt das Interesse daran hätte. “Ich will keine Fans, die nicht unter der Oberfläche kratzen wollen. Wenn du nur swipe, swipe, swipe machen willst, will ich nicht, dass du meine Musik hörst. Alles, was die Labels und Musikmanager wollen, ist, dass du die Spotify-Zahlen in die Höhe treibst. Das kümmert mich nicht im Geringsten”, stellte Appleyard gegenüber dem Rolling Stone klar.

Dazu passt auch, dass Static Dress bislang independent, also ohne Label unterwegs sind und ohnehin sehr viel in Eigenregie umsetzen. So ist es eine bewusste Design-Entscheidung, dass Appleyard zu jeder Show- bzw. Tour-Ankündigung das entsprechende Poster ausdruckt und dann zu Hause vor immer demselben Hintergrund separat ablichtet, bevor er dieses dann via Social Media in die Welt bringt – statt einfach die fertige Grafik zu posten, wie es jede andere Band tut. Dieser Prozess würde ihn zwar im Zweifel mehrere Stunden Zeit kosten, allerdings würde er damit sicherstellen, dass alles auf die passende und bestmögliche Art und Weise umgesetzt würde. Dass der Gitarrist, der den simplen Namen Contrast trägt, nur anonym und mit einer Maske auftritt, sei allerdings sowohl eine persönliche, aber auch eine “why the hell not”-Entscheidung gewesen.

Eine Frage der Zeit

Verstanden es vor allem in den 90ern Bands wie Tool oder Slipknot eine beinahe immersive Aura um ihr Tun zu erzeugen, so brechen Static Dress diese spätestens in den regelmäßigen Live-Streams auf Twitch. Hier stellt sich meist Olli Appleyard den Fragen der Fans und erklärt nebenbei, welche Musikvideos in der eigenen Garage gedreht wurden und wie es war, als Oli Sykes ihn darauf ansprach, ob er nicht ein Feature zu “Alligator Blood” bei Bring Me The Horizons Festival auf Malta machen wollte, wo Static Dress neben Bullet For My Valentine, Ice Nine Kills oder While She Sleeps im Vorprogramm spielten. Dabei gibt er sich zwar offen, aber auch leicht exzentrisch, was sicherlich auch mit der Faszination um seine Band einhergeht.

Apropos Faszination: Die Briten haben es auch in Puncto Merchandising verstanden, die Fans dauerhaft an der Stange zu halten. Dabei greifen sie auf ganz banale Mechanismen zurück, denn in der Regel gibt es stets nur eine sehr limitierte Anzahl an Shirts in ihrem eigenen Onlineshop zu kaufen, was wiederum schnell Panik bei den Sammler:innen verursacht – und von denen gibt es schon jetzt eine ganze Menge.

 

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Nachdem Static Dress in ihrer Heimat mit Bands wie Knocked Loose, Terror, Holding Absence oder Funeral For A Friend unterwegs waren und dieses Jahr beim Download, Outbreak, sowie Leeds und Reading Festival gespielt haben, werden sie im Winter ihr Debüt in den USA als Support für Loathe geben. Fans in Deutschland wären im Sommer beinahe auf den Geschmack gekommen, doch leider konnten Static Dress die angekündigte Tour mit SeeYouSpaceCowboy am Ende doch nicht spielen. Wenn die Briten so weitermachen, kann es aber nicht mehr lange dauern, bis sie auch endlich bei uns auf- und vor allem einschlagen werden.

Dass die Band schon jetzt ihre Spuren hinterlässt, merkt man spätestens daran, dass sich Kollegen wie You Me At Six von der Static Dress-Ästhetik beeinflussen lassen. Möglicherweise eine Genugtuung für Olli Appleyard und seinen Ehrgeiz. Dass er Nachtschichten schiebt, um Live-Fotos selber zu bearbeiten oder die Bilder für die kürzlich erschienene Cover-Story des Kerrang! Magazines selbst schießt, ist auch seinem Drang geschuldet, das Business auf links zu drehen und Grenzen zu verschieben. Ambitionierte Ziele, aber eben auch ein Beweis dafür, dass Talent gepaart mit harter Arbeit manchmal doch belohnt wird.

In unserer Serie „Before The Hype“ stellen wir euch regelmäßig die aktuell spannendsten Bands und Künstler:innen vor, die vielleicht noch nicht, aber sicherlich bald auch bei uns in aller Munde sein werden.

Foto: Olli Appleyard / Offizielles Pressebild

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