
Review
ElectronicaHardcore
Kritik: House of Protection - „Outrun You All“
Macht Bock auf das erste richtige Album!
VON
Tobias Tißen
AM 18/05/2025
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Stephen Harrison und Aric Improta gehören nicht zu den Lautsprechern der Szene. Eher zu denen, die lieber durch Taten auffallen. Jahrelang tourten sie mit Fever 333 durch die Welt, standen auf großen Bühnen – und trennten sich dann im Herbst 2022 ohne viel Lärm von Frontmann Jason Butler, der die Band seitdem mit drei neuen Mitstreitern weiterführt.
Statt große Statements zu veröffentlichen, gründeten Harrison und Improta ein neues Projekt. Mit eigenem Namen, eigener Ästhetik: House of Protection.
Die erste EP „Galore“ erschien 2024 – und sorgte für Aufsehen. Ein faszinierender Erstaufschlag, irgendwo zwischen Hardcore, Elektronik und futuristischem Songwriting. Wo viele Ex-Mitglieder-Projekte wie Nebenkriegsschauplätze wirken, klangen House of Protection sofort eigenständig. Nicht als Verlängerung früherer Karrieren, sondern als bewusste Abgrenzung davon.
Jetzt folgt mit „Outrun You All“ der zweite Aufschlag. Wieder eine EP, wieder sechs Songs (+ Intro), wieder knapp 20 Minuten lang, erneut produziert von Jordan Fish (Ex-BMTH) – und wieder völlig unberechenbar im Sound. Zumindest die meiste Zeit.
House of Protection verlieren auf „Outrun You All“ keine Zeit
Los geht’s mit „524å§l€€°“, einem kurzen, atmosphärischen Intro hinter dem mehr steckt: Der 24.05. (also 5/24) ist der geteilte Geburtstag der beiden Musiker, das Datum ihres ersten Livegigs – ihr interner Code.
Nach knapp 30 Sekunden introvertierter Klangflächen schlägt „Afterlife“ ein wie Biltzschlag. Ein schneidender Impuls setzt den Ton, digitale Peitschenhiebe und Breakdowns im Zeitlupentempo übernehmen. Improtas Drums stemmen sich mit Wucht gegen jeden Vorwärtsdrang.
Der Song lebt von seinen Kontrasten: Stampfende Slow-Motion-Riffs treffen auf hymnische Refrains, Noise trifft auf klare Struktur. Produzent Jordan Fish verleiht dem Ganzen klinische Kälte und orchestrale Wucht – kein chaotischer Opener, sondern ein präzise konstruiertes Ungetüm.
„Afterlife“ war laut Band einer der ersten geschriebenen Songs – wurde aber bewusst zurückgehalten, weil er auf „Galore“ zu schwer, zu langsam gewirkt hätte. Hier passt er perfekt: als Auftakt, als Ausrufezeichen.
Mit „Godspeed“ in die Formelhaftigkeit
Danach wird’s vorhersehbarer. „Godspeed“ greift tief in die bekannte Trickkiste: Shout-Strophe, Clean-Refrain, abrupter Tempowechsel – alles sitzt, alles funktioniert.
Und trotzdem: Der Song bringt nicht das mit, was House of Protection auf „Galore“ und auch bei „Afterlife“ noch so spannend machte. Keine Brüche, keine Reibung. Stattdessen: solide Eskalation nach Lehrbuch. Die Energie ist da, Improtas Drumming treibt, die Hook bleibt hängen – aber eben auf sichere Weise. „Godspeed“ klingt wie eine gut geölte Maschine.
Das ist nicht schlecht, aber vorhersehbar. Der Song fühlt sich an wie ein Echo ihrer Vergangenheit – irgendwo zwischen Fever 333 und Jordan-Fish-Ära Bring Me The Horizon.
Zwischen Trance und Trotz
Die Kehrtwende folgt glücklicherweise auf dem Fuß. Schon der Titel macht klar, worum es hier geht: „I Need More Than This“ klingt wie ein Kommentar zur eigenen musikalischen Vergangenheit – und genauso wirkt der Song auch. Statt weiter stumpf Energie rauszuhauen, treten House of Protection auf die Bremse und öffnen ihr Klangbild. Electronica-Flächen legen sich unter Harrisons zerbrechlichen Gesang, zwischen den Zeilen spürt man eine stille Verzweiflung: „I’ve been burning what keeps me warm“, singt er.
Natürlich: Auch hier gibt es Shout-Ausbrüche, aber sie wirken nicht wie Pflichtprogramm, sondern ordnen sich organisch ins Gesamtbild ein. Auch der Refrain bleibt hängen – nicht, weil er übermäßig catchy wäre, sondern weil er sich aufrichtig anfühlt.
Im Kontext der EP wirkt der Song fast zu weich, zu glatt – aber genau das macht ihn interessant. Als Bruch. Und als Beweis dafür, dass House of Protection mehr sein wollen. Und können.
„Fire“ fackelt alles ab!
„Fire“ ist dann der komplette Gegenpol. Drei Minuten maximale Entladung: sirenenartige Synths, gnadenlose Gangshouts, Stroboskop-Riffs und ein Tempo, das keine Gefangenen macht. Wo „I Need More Than This“ innehalten wollten, drehen House of Protection hier alles auf 11. Der Song ist gemacht fürs Live-Setting – und man weiß sofort, dass er dort alles abreißt. Die Hook ist simpel, aber effektiv, der Groove fast tanzbar.
Gerade hier zeigt sich, wie präzise Harrison und Improta als Duo funktionieren. Wo andere vier Musiker brauchen, reichen hier zwei, um eine drückende Soundwand zu errichten. Jedes Detail sitzt, ohne dass der Song durchproduziert wirkt. Trotz seiner wilden Härte wirkt „Fire“ nie stumpf oder chaotisch, sondern sorgsam durchdacht.
Der große Hit der Platte. Und überhaupt: einer der kompromisslosesten, packendsten Tracks der ersten Jahreshälfte 2025.
Ernüchterndes Ausdümpeln mit „Slide Away“
Nach dem Feuerinferno von „Fire“ folgt mit „Phasing Out“ ein Track, der sich Zeit nimmt – und sie auch braucht. Die Struktur ist freier, die Drums atmender, der Gesang variiert zwischen resigniert und eruptiv. Der Spannungsbogen baut sich langsam auf – bis der Song irgendwann doch noch aufbricht und durchstartet. Ein klassischer Grower: nicht sofort greifbar, aber umso intensiver, wenn man sich auf die Dramaturgie einlässt.
„Slide Away“ soll dann den Deckel drauf machen – und verliert sich dabei leider selbst. Der Song bleibt nicht hängen, er fließt nur vorbei. Die Atmosphäre stimmt, die Produktion ist makellos – und doch fehlt genau das, was die EP bis hierhin und auch „Galore“ stark gemacht hat: Dringlichkeit.
House of Protection News
Outrun You All
Künstler: House of Protection
Erscheinungsdatum: 23.05.2025
Genre: Electronica, Hardcore, Punkrock
Label: Red Bull Records
Medium: Streaming, CD, Vinyl
- 524å§l€€°
- Afterlife
- Godspeed
- I Need More Than This
- Fire
- Phasing Out
- Slide Away
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