
Review
Electronica
Kritik: Sparks - „MAD!“
Sparks unterlaufen jegliche Erwartungshaltung – und sind damit vor allem eins: typisch Sparks!
VON
Tobias Tißen
AM 11/05/2025
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In einer gerechten Welt wären Ron und Russell Mael von Sparks längst als die ganz großen Pop-Exzentriker in den Mainstream eingegangen, statt seit einem halben Jahrhundert irgendwo zwischen Kultstatus und Kuriositätenschrank herumzutänzeln. Vielleicht braucht die Welt aber auch einfach ein bisschen Ungerechtigkeit, um die beiden kalifornischen Brüder immer wieder aufs Neue zu kreativen Höchstleistungen anzutreiben.
So oder so: Nach satten 25 Studioalben, unzähligen Stilwandlungen und der fantastischen Doku „The Sparks Brothers“ (2021) von Edgar Wright („Shaun of the Dead“) ist die Band aktuell vielleicht populärer denn je. Und was machen die beiden? Veröffentlichen mit „MAD!“ ein Album, das mal wieder jeglicher Erwartungshaltung zuwiderläuft. Natürlich.
Zwischen Synthies, Streichern und Wahnsinn
Sparks waren schon immer schwer zu fassen. Von Glam Rock über Synthpop, Disco und sogar Opern – irgendwie haben die Mael-Brüder jedes Genre mindestens einmal mitgenommen und ihm dabei stets ihren einzigartigen Stempel aufgedrückt. „MAD!“ klingt trotzdem überraschend frisch und eigenständig – aber halt auch unverkennbar nach Sparks.
Schon zum Auftakt macht „Do Things My Own Way“ glasklar, dass die Brüder auch 2025 einzig und allein nach ihren eigenen Regeln spielen. Über einem stampfenden Beat und psychedelisch-hypnotischen Gitarrenriffs singt Russell Mael fast mantraartig „Gonna do things my own way“, unterstreicht dies charmant absurd mit Zeilen wie „Saw the Pope, told him ’nope’“ und wirft mit humorvollen Popkultur-Referenzen („I’m Howard Hughes in Jordan twos“) um sich. Es klingt schräg, aber unfassbar eingängig – eben typisch Sparks.
Auch die direkt folgende Single „JanSport Backpack“ zeigt, wie gekonnt Sparks poppige Melodien und schräge Klänge zusammenführen. Über kruden Synthesizer-Flächen und perkussiven Elementen schwebt ein Ohrwurm-Refrain, der so locker und luftig daherkommt, dass man fast vergessen könnte, wie seltsam eigentlich der Text ist: ein tragikomisches Mini-Drama um eine Beziehung, die an einem Rucksack scheitert. Die Lyrics bringen dieses Drama wunderbar absurd auf den Punkt: „We’re face to face, we’re toe to toe, you’re turning slow – strap on your pack, now fully turned, I feel a hint I will be burned.“
Aus monoton wird hypnotisch
Weniger direkt, dafür umso faszinierender ist „Running Up A Tab At The Hotel For The Fab“. Anfangs dröhnen noch kalte 80er-Synthies monoton dahin, bevor nach und nach mehr Klangschichten dazukommen und der Song regelrecht hypnotisch wird. Was zunächst sperrig wirkt, entpuppt sich spätestens beim dritten Hören als absoluter Grower.
Mit „My Devotion“ liefern Sparks dann die erste Ballade des Albums: Minimalistische Synth-Melodien, dezente Streicher und eine Produktion, die die mittlerweile hörbar nicht mehr ganz jugendliche Stimme von Russell Mael bewusst ungeschönt in Szene setzt. Das Ergebnis wirkt gerade durch seine unpolierte Ehrlichkeit extrem berührend, fast zärtlich.
Die Lyrics unterstreichen diese emotionale Tiefe mit dem gewohnten Augenzwinkern: „My devotion to you is ’bout all that I do – got your name written on my shoe and I’m thinkin’ of gettin’ a tattoo.“
Repetitiv genial oder repetitiv langweilig?
Während Songs wie „Don’t Dog It“ mit einem cleveren Mix aus treibenden Synthies, Piano und hymnischen Streicher-Elementen noch gekonnt den Spagat zwischen eingängig und exzentrisch schaffen, fällt „In Daylight“ ab. Hier wirkt das repetitive Moment zum ersten Mal ermüdend, der Track kommt nicht richtig auf den Punkt, plätschert ziellos vor sich hin. Der Text („Everybody looks great at night – ain’t no trick to look great at night“) trägt wenig dazu bei, den Song interessanter zu machen. Repetitiv genial können Sparks – hier ist es repetitiv öde.
Doch keine Sorge: Es folgt ein absolutes Highlight. Mit „I-405 Rules“ schlagen Sparks völlig neue Wege ein und liefern ein orchestrales Streicher-Inferno, das mehr an virtuose Neo-Klassik als an Popmusik erinnert. Dazu kommen Percussions, Glockenspiel, Schellen und hektische Rhythmuswechsel, über die Russell Mael im stakkatoartigen Gesang skurril-liebevoll eine Lobeshymne auf die kalifornische Autobahn Interstate 405 singt.
Die Lyrics sind hier gewohnt humorvoll-absurd: „And the Allegheny, Nile, and the Rhine in Deutschland, and all of them are beautiful but 405’s a 10.“
Der Song ist so vollgepackt mit Details und musikalischen Ideen, dass es unmöglich ist, alles beim ersten Hören zu erfassen. Ein echter musikalischer Abenteuerspielplatz!
Fast nahtlos schließt „A Long Red Light“ an, zunächst erneut getragen von Streichern und Synthies, baut sich der Song immer weiter zu einem gigantischen Klangwand-Finale auf, inklusive Chor und atmosphärischen Elektro-Sprengseln. Passend dazu die mantraartige Textzeile: „Wait, wait, wait, a long red light“.
Beide Songs zusammen bilden den ambitionierten Höhepunkt des Albums und zeigen, dass Sparks auch nach 50 Jahren noch absolut in der Lage sind, musikalische Grenzen zu verschieben.
Pop-Balladen, Sommerhits und schunkelige Schwachstellen
Etwas klassisch-poppiger wird es anschließend mit der sehnsüchtigen Ballade „Drowned In A Sea Of Tears“, die erneut auf viel Streicher-Einsatz setzt und dank ihres Falsett-Gesangs und der eingängigen Akustik-Gitarrenmelodie die logischste Single der Platte ist. Der Text unterstreicht die Tragik und Melancholie perfekt: „Drowned in a sea of tears, almost saved her, I was so very near.“
Ähnliches gilt für „A Little Bit Of Light Banter“, das sich mit luftigen Gitarren und einem Refrain, der direkt aus den 80ern stammen könnte, zu einem heimlichen kleinen Sommerhit entwickelt. Charmant-ironisch textet Ron Mael hier: „Just a little bit of light banter and then we turn off the light“. Nichts, was musikalisch Neuland betritt, aber charmant, entspannt und unglaublich eingängig – Sparks können eben auch simpel und poppig. Wenn sie wollen.
„Lord Have Mercy“ hingegen wirkt als Albumfinale leider etwas blass. Mit nach Kirchenchor klingendem Refrain und schunkeliger Melodie will der Funke hier so gar nicht überspringen. Im Vergleich zu den vorherigen Höhepunkten fehlt es einfach an Tiefe und Ideenreichtum. Definitiv der schwächste Moment einer sonst wirklich gelungenen Platte – und das nicht nur vom Songwriting her, auch die Produktion kann auf ganzer Linie überzeugen:
Sparks beweisen ein weiteres Mal, dass sie ihr Handwerk beherrschen: „MAD!“ klingt glasklar, detailreich und doch warm und organisch. Die verschiedenen Klangschichten aus Synthesizern, Gitarren, Streichern und Gesang sind perfekt ausbalanciert. Hier zeigt sich die jahrzehntelange Erfahrung der Brüder ganz deutlich.
Foto: Sparks / Offizielles Pressebild
Sparks News
MAD!
Künstler: Sparks
Erscheinungsdatum: 23.05.2025
Genre: Rock
Label: Transgressive
Medium: Streaming, CD, Vinyl, etc
- Do Things My Own Way
- JanSport Backpack
- Hit Me, Baby
- Running Up A Tab At The Hotel For The Fab
- My Devotion
- Don’t Dog It
- In Daylight
- I-405 Rules
- A Long Red Light
- Drowned In A Sea Of Tears
- A Little Bit Of Light Banter
- Lord Have Mercy
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