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Review

Rock

Kritik: Kadavar - „I Just Want To Be A Sound“

Eine Platte, die nicht jedem Fan gefallen wird – aber genau deswegen so faszinierend ist.

VON

Eine gefühlte Ewigkeit habe ich jetzt auf mein leeres Word-Dokument gestarrt. Ohne zu wissen, wie ich die Kritik zur neuen Kadavar-Platte „I Just Want To Be A Sound“ angehen soll. Während ich diese ersten Sätze tippe, steht immer noch nicht fest, wie meine finale Bewertung ausfallen wird. Sieben oder achtmal sind die zehn neuen Songs inzwischen durch meinen Kopf geflossen – und jedes Mal sahen meine Gedanken dazu anders aus.

Fest steht: „I Just Want To Be A Sound“ ist ein Album, das für viele Kadavar-Fans gewöhnungsbedürftig sein wird. Ein sehr stimmungsabhängiges Werk, das sicher nicht an jedem Tag den Weg auf den Plattenteller findet. Aber gerade deswegen ist es so wahnsinnig spannend und faszinierend.

Ein bisschen so wie ich beim Hören des Albums, müssen sich Beatles-Fans gefühlt haben, als ihre Helden nach dem Indien-Rausch plötzlich nicht mehr über „A Hard Day’s Night“, sondern über „Lucy In The Sky With Diamonds“ sangen. Ja, der Vergleich ist zu groß, hochgestochen und nicht ganz rund – aber spätestens nachdem ihr selbst beim letzten Song der Platte angekommen seid, werdet ihr verstehen, was ich meine.

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Kadavar gehen neue Wege

Dass Stillstand für die Berliner keine Option ist, zeigten sie spätestens 2020 mit „The Isolation Tapes“. Nach vier Alben, auf denen schwere Sabbath-Riffs, fuzziger Stoner-Sound und ein omnipräsenter Vintage-Vibe dominierten, war die im Lockdown eingespielte Platte ein kreativer Befreiungsschlag – irgendwo zwischen Krautrock, Pink Floyd und Science-Fiction.

Wer dachte, das sei der pandemischen Ausnahmestimmung geschuldet gewesen und der klassische Kadavar-Sound würde jetzt, wo Maskenpflicht und Testzentren uns immer mehr wie ein surrealer Albtraum vorkommen, ein Comeback feiern, hat sich geschnitten: Auf „I Just Want To Be A Sound“ erfindet sich die inzwischen mit Gitarrist Jascha Kreft (Odd Couple) zum Quartett angewachsene Band endgültig neu. Und zwar mit jedem einzelnen Song.

„I Just Want To Be A Sound“ ist psychedelisch und meditativ; mal federnd leicht, mal dringlich; mal fast unverschämt poppig, mal bewusst unzugänglich.

„I Just Want To Be A Sound“ als Hit der Platte

Die Platte eröffnet mit dem gleichnamigen Titeltrack, der bereits seit seiner Veröffentlichung als mein Sommerhit 2025 feststeht. Er beginnt mit einem flirrenden Gitarrenriff und groovt sich dann erstaunlich leichtfüßig in einen Refrain mit Pop-Appeal – eingängig, aber nicht anbiedernd. Ein Song, der sich anfühlt wie ein Spaziergang nach einer durchtanzten Nacht durch ausgestorbene Straßen, während die erste Morgensonne flimmert.

Dass Kadavar auch innerhalb ihrer Neuerfindung immer wieder die Richtung ändern, zeigt sich direkt im zweiten Track: „Hysteria“. Ein knarziges Garage-Rock-Riff verleiht dem Song von Beginn an eine dunkle Schwere, die im starken Kontrast zum Opener steht. Der mantraartig wiederholte Refrain, eingebettet in eine dröhnende Soundwand, steigert die Dringlichkeit weiter. Die pulsierenden Rhythmen wirken fast hypnotisch – eine passende musikalische Übersetzung für die lyrische Thematik aus Überreizung, Verwirrung und Selbstzerstörung.

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Und dann bricht „Regeneration“ alles wieder auf: Mit federnder Gitarre und rhythmisch treibenden Drums wirkt der Song tatsächlich wie eine Art Regeneration von der vorherigen Schwere. Er zelebriert Veränderung und Neuanfang – und zementiert an dieser Stelle endgültig Kadavars Transformation von retroesken Stoner-Rockern zu grenzüberschreitenden Klangforschern.

Pop trifft Psychedelia trifft Classic Rock

Ein weiteres hervorragendes Beispiel für diese neue Vielseitigkeit ist „Let Me Be A Shadow“. Der Song beginnt mit sanftem Synth-Pop-Flair – irgendwo zwischen a-ha und sehr kontrollierten Muse – und wächst langsam zu einer hymnischen Pop-Rock-Nummer heran, die trotz aller Eingängigkeit nie in Kitsch abdriftet. Hier klingt die Band groß. Aber nicht überproduziert, sondern souverän.

„Sunday Mornings“ fühlt sich dann an wie ein Kater in Zeitlupe. Spacige Synthflächen, fast schamanenhafter Gesang – alles sehr entrückt und irgendwie auch ein bisschen neben der Spur. Erst nach gut drei Minuten brechen Gitarre und Drums herein.

Mit „Star On My Guitar“ kippt das Album wieder mehr in Richtung Classic Rock. Der Song beginnt mit einer klassischen Kadavar-Gitarre, spielt mit 60s-Rock-Chören und entwickelt im Refrain eine Melodik, die an U2 oder 90s-Alternative erinnert – ohne dabei den psychedelischen Grundton zu verlieren. The Doors, Led Zeppelin, 90er-Pathos. Hier ist nichts verboten.

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Der Moment zählt

„Truth“ bringt gegen Ende noch einmal die Eingängigkeit zurück. Galoppierende Drums, ein hypnotischer Refrain, ein Song zum verträumten Durch-die-Straßen-Laufen. Und gerade wenn man meint, der Song sei auserzählt, drehen Kadavar noch einmal auf: Das Tempo zieht an, Gitarren und Drums steigern sich in einen tranceartigen Strudel – bis sich alles wieder im flirrenden Refrain auflöst. „Truth“ gelingt als eines der wenigen Stücke der Platte das Kunststück, Eingängigkeit und Experiment auf die denkbar beste Art und Weise zu verschmelzen.

„Star“ hingegen ist zurückgenommen, fast jazzig. Hallige Vocals, schwebende Synth-Flächen, rhythmisch sanfte Drums. Kein Ausbruch, keine Hookline – meditatives Treiben. Ein Track, der schon etwas am Geduldsfaden kitzelt.

Mit „Until The End“ folgt ein Finale, das die gesamte Vielschichtigkeit von „I Just Want To Be A Sound“ noch einmal zusammenfasst. Der Song beginnt als Hommage an „Lucy In The Sky With Diamonds“ und gleitet dann in eine verspielte, an „Radio Ga Ga“ erinnernde Popmelodie. Mächtige Gitarrenwände und 80s-Piano leiten die Dynamik anschließend in meditativere Gefilde, bevor alles in einem Sturm aus sich wiederholenden Lyrics, hypnotischer Gitarre und chaotischen Drums aufgeht.

Produktion: Klang gewordene Freiheit

Ein ganz wesentlicher Teil der Wirkung dieses Albums liegt auch in der Produktion. Erstmals saß Max Rieger an den Reglern – und seine Handschrift ist unüberhörbar. Dem Sänger und Gitarristen von Die Nerven gelingt es, den Songs ein großes Gefühl von Freiheit zu verleihen. Die Instrumente haben Raum, kommen voll zur Geltung. Nichts ist überladen, nichts glattgebügelt. Stattdessen wirkt alles offen, atmend, lebendig – und gleichzeitig roh und handgemacht. Das kommt vor allem auch den vielen ruhigen, meditativen Momenten zugute.

Ein finales Urteil fällt schwer

So, dann schließen wir mal den Bogen zum Anfang. Jetzt, wo ich alle meine Gedanken aufgeschrieben und jeden Song im Kopf noch einmal genau rekapituliert habe, fällt es mir immer noch verdammt schwer, „I Just Want To Be A Sound“ final und abschließend zu bewerten. Die Platte lässt sich nicht festnageln, nur schwierig kategorisieren. Sie verändert ihre Wirkung mit jedem Durchlauf und passt sich der eigenen Stimmung an. Ein Album, das Raum zum Wachsen braucht und nicht nach der ersten Hook gefallen will.

In einer Welt voller Playlists, Algorithmen und schnellen Bewertungen ist vielleicht genau das die ganz große Stärke von „I Just Want To Be A Sound“.

Foto: Joe Dllworth / Offizielles Pressebild

ALBUM
I Just Want To Be A Sound
Künstler: Kadavar

Erscheinungsdatum: 16.05.2025
Genre:
Label: Clouds Hill
Medium: Streaming, CD, etc

Tracklist:
  1. I Just Want To Be A Sound
  2. Hysteria
  3. Regeneration
  4. Let Me Be A Shadow
  5. Sunday Mornings
  6. Scar On My Guitar
  7. Strange Thoughts
  8. Truth
  9. Star
  10. Until The End
8
FAZIT
„I Just Want To Be A Sound“ wird nicht jedem Kadavar-Fan gefallen. Die Berliner lassen ihren alten, knarzigen Stoner-Sound kompromisslos hinter sich und schaffen zusammen mit Max Rieger einen neuen, leichtfüßigen und psychedelisch vibrierenden Klangkosmos, der sich in keine Genre-Schublade pressen lässt. Wer sich darauf einlässt, wird mit einer der interessantesten und vielgestaltigsten Platten der letzten Jahre belohnt. Und wer nicht, wird hier trotzdem ein, zwei, drei Songs für die eigene Sommer-Playlist finden.