Review

Punkrock

Kritik: Feine Sahne Fischfilet – „Alles Glänzt“

Spätestens im Jahr 2018 und mit dem „Wir Sind Mehr“-Konzert war die Mecklenburg-Vorpommersche-Punk-Formation Feine Sahne Fischfilet in aller Munde. Weniger ...

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Spätestens im Jahr 2018 und mit dem „Wir Sind Mehr“-Konzert war die Mecklenburg-Vorpommersche-Punk-Formation Feine Sahne Fischfilet in aller Munde. Weniger deshalb weil sie Konzerte wie dieses bespielten, sondern vor allem weil sie nun in der Tagesschau liefen. Feine Sahne boten immer so einiges an Gesprächsstoff. Aber wie gibt sich das einstige linke Flagschiff auf seinem sechsten Studioalbum?

Feine Sahne Fischfilet melden sich zurück

Vor fünf Jahren erschien „Sturm & Dreck“, ein Album mit dem Feine Sahne Fischfilet den bisher größten Erfolg ihrer Karriere landeten. Und irgendwie bildete dieses Album auch das Profil der Band aus dem Norden ab: Politische Ansagen, Liebesbekundungen an die Heimat, nostalgische Rückblicke und feierbare Hymnen. Immer ummantelt von den charakteristischen, unverwechselbaren Melodien aus einnehmender Blasmusik und eingängiger Gitarrenarbeit.

Schwierig an so ein großes Werk der Bandhistorie anzuknüpfen. 2023 präsentiert uns die Kombo um Frontmann Jan Gorkow alias „Monchi“ nun den Nachfolger Alles glänzt. Der Titel führt direkt mal hinters Licht; so soll dieser das genaue Gegenteil ausdrücken, dass eben nicht immer „alles glänzt“ im Leben. Schon gar nicht für Feine Sahne Fischfilet, die sich zuletzt mit dem Ausstieg von zwei Bandmitgliedern und anonymen Missbrauchsvorwürfen konfrontiert sahen. Weiteres dazu lest ihr im aktuellen Interview, dass wir mit der Band geführt haben.

Alles Glänzt Track By Track – Einmal an die Ostsee und zurück

Die Platte eröffnet stark mit dem ohrwurmigen „Kiddies Im Block“, in dem es um die Perspektivlosigkeit ihrer Heimat geht. Harte Themen, verpackt in stimmungsvoller Mitsing-Mukke – die Quintessenz eines Feine-Sahne-Bangers. Im Refrain vergleicht die Band den Schweriner Sozialbau mit den Gettos in Rio de Janeiro aus dem Film „City Of God“. Ein vielleicht etwas harter Vergleich, den Sänger Monchi wie folgt erklärt:

„Schlussendlich geht es ja darum, dass man auch das Raue darstellt. Vielleicht Orte, wo nicht alles glänzt, die aber vielleicht ehrlicher sind und damit gar nicht schlechter. Das irgendwie darzustellen, auch Situationen, die man selber so miterlebt hat, wenn man mit offenen Augen durchgeht – nicht nur in MV, das sich immer mehr in Arm und Reich spaltet.“

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„Komm Mit Aufs Boot“ ist ein einladender Song darüber, alles stehen und liegen zu lassen, die Welt für eine gewisse Zeit zu vergessen. Natürlich ist das der Band aus Mecklenburg-Vorpommern nur an einem Ort möglich, weshalb sie den Hörenden die Ostsee als Medizin verschreibt. Vorhersehbar und dennoch stimmungsvoll verspricht diese Nummer absolutes Live-Potenzial für die anstehende Tour die – oh Wunder – den gleichen Titel trägt. Ähnlich, aber etwas energiegeladener, präsentiert sich auch „Wenn’s Morgen Vorbei ist“, der lebensbejahende Gute-Laune-Band-Liebling, der ebenfalls als Hymne für Fans und Bühne geschrieben wurde.

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Trällernde Nostalgie und leise Wut

„Diese eine Liebe“ entpuppt sich als Ohrwurm der Platte: Bluesige Trompeten eröffnen den Track, ein anspornendes Gitarrenriff sorgt für etwas mehr Dampf. Liebe wird als zweischneidiges Schwert beschrieben, eine Liebe, die man nie bereut und einen trotzdem enttäuscht. Eine schöne und verträumte Nummer, die anklingen lässt, dass Feine Sahne nun ruhiger und überlegter in dieses neue Kapitel ihrer Bandkarriere starten. Auch der sehr viel saubere Gesangsstil von Gorkow bleibt im Ohr hängen.

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Die restliche Platte richtet sich verstärkt nach persönlichen Geschichten und Erfahrungen aus. In „Gib Mir Mehr“ schildert Monchi das Abbrennen eines Polizeieiautos, „Wenn Wir Uns Sehen“ erzählt von einem Freund der Band der Menschen vorm Ertrinken rettete und dafür nun mit einer Gefängnisstrafe rechnen muss. Diese hochpolitische Ballade kann trotz – oder gerade deshalb – mit ihrer Gänsehaut auslösenden Stimmung aus akustischen Gitarrenpassagen und dramatischen Backgroundvocals überzeugen.

„Wenn du die Scheiße siehst, dann kannst du nur wütend sein. Und wenn du dann aber auch siehst, dass ein Freund, der sich die ganze Zeit den Arsch aufreißt und da Menschen vorm Ersaufen rettet, punktuell richtig kaputt ist, ja dann bist du wütend. Dann ist es umso schöner, ihm zum Beispiel so ein Lied schreiben zu können, was vielleicht gar nicht wütend wirkt. […] Vielleicht gibt das ja Kraft im Moment, wo nicht alles glänzt. Vielleicht ist das ja ein schöner Moment, wo du merkst, es ist auch okay, wenn du gerade abkratzt. Aber da sind noch Leute, die denken an dich.“

Persönlichkeit über Parolen

Der wohl persönlichste Song der Platte ist „Angst zu erfrieren“, in welchem Monchi erstmals seine wahren Gefühle gegenüber dem tagtäglichen Hass, den Anfeindungen und den Drohungen die er und die Band erleben, aufarbeitet. Explizite Beschreibungen von Todeslisten und Bombendrohungen lassen den Atem stocken – trotzdem hat der Song am Ende eine positive Botschaft und lädt zum Händereichen.

„Man gibt sehr viel von sich rein und macht sich damit auch angreifbar. Aber es ist hoffentlich auch das, was dann die Leute auch berührt.“

„Tut Mir Leid“ stellt zum Ende hin nochmal eine Besonderheit dar, denn er ist der erste Song bei dem Neu-Gitarrist Hauke mit ans Mikro tritt; auch den Text hat der Norddeutsche selbst verfasst. In den Lyrics schildert er sein neues Leben mit der Band – eine schöne und eingängige Nummer mit locker-leichter Mitsing-Atmo.

Nach der dramatischen Begräbnisstimmung von „Irgendwann“, zünden Feine Sahne auf „Pass Auf Mich Auf“ doch noch einen kleinen punkrockigen Energie-Bengalo an. Dieser ist zwar nach gut zwei Minuten schon wieder abgebrannt, liefert aber trotzdem eine willkommene Abwechslung zur ruhigen und gemäßigten Stimmung von „Alles glänzt“. Mit „Tage Zusammen“ wird es erneut nostalgisch, bevor das experimentelle und stimmungsmachende „Freaks dieser Stadt“ die Platte als ordentlich schunkelbare Kneipen-Hymne mit getutetem Reggae-Intro schließt.

„Alles glänzt“ ist ruhiger und bedachter als seine Vorgänger. Weniger rotzig, weniger Punkrockig. Poppiger, ausgeklügelter und melodischer als gewohnt. Wer auf der Suche nach Parolen ist, wird hier nicht fündig, wohl aber wenn es um authentische Gefühle und Geschichten geht. Feine Sahne Fischfilet sind zurück – auf besondere Art und Weise. Leiser, aber nicht weniger laut.

Foto: Erik Weiss / Offizielles Pressebild

ALBUM
Alles glänzt
Künstler: Feine Sahne Fischfilet

Erscheinungsdatum: 12.05.2023
Genre: ,
Label: Plattenweg Tonträger (Warner)
Medium: CD, Vinyl, etc

Tracklist:
  1. Kiddies im Block
  2. Komm mit aufs Boot
  3. Diese eine Liebe
  4. Wenn's morgen vorbei ist
  5. Gib mir mehr
  6. Wenn wir uns sehen
  7. Angst zu erfrieren
  8. Tut mir leid
  9. Irgendwann
  10. Pass auf mich auf
  11. Tage zusammen
  12. Freaks dieser Stadt
Feine Sahne Fischfilet
Feine Sahne Fischfilet
7
FAZIT
Weniger Punkrock - mehr Kapelle mit Attitüde. Auch wenn sich das einstige linke Flagschiff, nicht mehr so aggressiv und zerstörungswütig zeigt, beweisen Feine Sahne Fischfilet auf "Alles Glänzt", dass auch Balladen hochpolitisch sein können. Tracks wie das ruhige und nachdenkliche „Wenn Wir Uns Sehen“ oder das brutal ehrliche „Angst Zu Erfrieren“ sorgen für Gänsehautmomente in harten und weichen Nuancen. Gewohnt laden auch eingängige Party-Hymnen wie „Freaks Dieser Stadt“ und „Wenn’s Morgen Vorbei Ist“ zum Mitgröhlen, Pogen und Spaßhaben ein, und werden sicher schnell auf den Setlists der Band manifestiert.

Zwischen diesen starken Nummern zieht allerdings auch der ein oder andere Song winkend vorbei; Insgesamt fehlt es dem Album doch etwas an Energie und Biss. Dies wird allerdings von der Erkenntnis überschattet, dass Feine Sahne Fischfilet in den letzten Jahren hörbar älter, weiser und reflektierender geworden sind. "Alles Glänzt" kann es vielleicht nicht mit einem "Sturm & Dreck" aufnehmen, steht aber für sich und gibt die Richtung für ein neues Kapitel der Bandhistorie vor.