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Modern Metal

Kritik: League Of Distortion - „League Of Distortion”

Es gibt Neuigkeiten aus der Napalm Records-Schmiede. Die Modern Metal-Kombo League Of Distortion um Sängerin Anna Brunner (Exit Eden) alias ...

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Es gibt Neuigkeiten aus der Napalm Records-Schmiede. Die Modern Metal-Kombo League Of Distortion um Sängerin Anna Brunner (Exit Eden) alias „Ace“ und Gitarrist Jim Müller (Kissin‘ Dynamite) alias „Arro“ gründete sich während der Pandemie – und bringt jetzt ihr Debütalbum an den Start.

Das selbstbetitelte Erstlingswerk hat mit seinen zehn kraftvollen, empowernden und experimentierfreudigen Tracks so einiges zu bieten. Wir haben uns „League Of Distortion“ angehört und mit Vokalistin Ace über die Gründung, den Sound der Band und wirklich wichtige Messages gesprochen.

Nachdem Anna Brunner 2017 bereits einige Erfolge mit ihrer Symphonic-Metal-Band Exit Eden feiern konnte war ihr offenbar nach neuen musikalischen Abenteuern zumute. Ähnlich muss es wohl Jim Müller gegangen sein, der mit seiner Hauptband Kissin‘ Dynamite 2022 sein achtes Album in die Plattenregale brachte.

„Ich habe schon seit einigen Jahren im Hinterkopf, dass ich ein eigenes Bandprojekt gründen möchte, mit einer starken Message, mit Leuten, die ich schon lange kenne, Musiker, die mich einfach schon lange auf meinem Weg begleiten, wo man gemeinsam wirklich was aufbaut. Wie es halt so ist: Man hat so viel zu tun, man macht viel und dennoch nicht das, was im Herzen eigentlich pocht. Dann kam Corona. Da habe ich mich hingesetzt und gesagt: Gut, jetzt nutze ich das. Ich habe Jim dann gefragt […] und dachte mehr als „Nein“ sagen kann er nicht und er war sofort am Start. Ich glaube, ihn hat auch dieses neue Projekt, etwas Härteres, wirklich einen Kontrast zu Kissin‘ Dynamite zu haben, einfach sehr gereizt.“

Zusammen mit Drummer Tino „Aeon” Calmbach und Bassist Felix „Ax” Rehmann schufen sie vor zwei Jahren das Projekt League Of Distortion, das weitab von Symphonic und Glam stattfindet:

„Ich finde wir sind schon im modernen Metal / Metalcore unterzuordnen. Natürlich haben wir auch viele andere Einflüsse, Elektronik oder Pop. Ich spreche auch gerne meine Nu-Metal-Einflüsse an, weil es Musik ist, die mich sehr geprägt hat, die ich einfach ultra geil finde und es einfach schön finde, dass wir das so ein bisschen einbauen und schön zusammen mischen können.“

„Are you ready?” – So klingt das League of Distortion-Debüt

Die Platte eröffnet mit der ersten releasten Single der Liga der Verzerrung: „Wolf Or Lamb“ versprüht böse Feen bzw. Hexen-Vibes und erzählt ein düsteres Märchen über Schafe und Wölfe… Soweit so gut. Die teils gruselige, teils empowernde Atmosphäre wird gerade durch die Stilwechsel von Aces Stimme geschaffen: In den Strophen bleibt die Vokalistin in flüsterndem Klargesang, während sie den Refrain brüllt. In der Bridge gegen Ende des Tracks beweist sie mit engelsgleichen Tönen eine weiche Seite die im harten Kontrast steht zum darauf folgenden, verzerrten „Would you do the same?“. Auch spannend sind hier die an Wolfsgeheul angelehnten „Are you a wo-o-o-lf?“-Rufe. Stellt sich nur noch die Frage, wer hier in der Geschichte jetzt eigentlich Freund und Feind ist:

„Bei „Wolf Or Lamb“ geht es mir um die Frage der Identität. Also bin ich ein eher passiver oder bin ich ein eher aktiver Mensch? Ich meine nicht, dass es solche und solche Leute gibt , sondern eher, dass du jeden Tag entscheiden kannst ein Wolf oder ein Lamm zu sein. Also du kannst jeden Tag neu entscheiden: Stehe ich jetzt auf für das, was mir wichtig ist? Stehe ich jetzt dafür ein? Für mich? Natürlich gibt es auch so Schafs-Tage, wo man einfach nicht kann. Das ist dann auch okay. Aber eben hier wieder dieses Bestärken, nicht einfach mitzulaufen, mitzugehen, sondern eben für sich einzustehen, für seine Gefühle. Da meine ich gar nicht, dass das Schaf der Feind ist oder der Wolf der Feind, sondern einfach wieder dieser Kontrast zwischen Freund und Feind, zwischen aktiven und passiven Menschen und auch Lifestyle.“

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Hart vs. Zart – Stimmliche Experimentierfreude

Fulminant geht es weiter mit „My Revenge“, das mit einem elektronischen „Are you ready?“ und dem geschrienenen Titel den Track beginnt. Ein Song, der an Tempo zunimmt und klar nach vorne geht. Viel stärker als im ersten Song eröffnet sich hier der Modern Metal-Vibe, der eine Mischung aus Industrial, Electronic und Hardrock darstellt. Der Gesang ist hier wesentlich rotziger und nicht mehr so elegant, der lyrisch mega motivierende und kraftvolle Chorus schafft echte Hymnen-Momente.

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Brachial geht’s in die nächste Runde mit dem S&M-Track „It Hurts So Good“: Ein Uhrenticken, schneller Sprechgesang, gefolgt von einem verdammt harten, maschinenhaften Gitarren-Intro lässt direkt den Nacken zum Beat wippen und klingt schon fast Rammstein-esk. In den Strophen geht es rotzig, in den Refrains hymnenhaft weiter. Man beginnt bereits hier zu realisieren, dass League of Distortion nach einem Schema arbeitet: Strophe, hymnenhafter-gerufener Refrain, Strophe, Bridge, kurze Pause, Refrain ballert rein, Ende. Was ständig variiert, sind die Gesangs-Stile von Ace, denn eigentlich kommt auf League Of Distortion alles zum Einsatz, was außerhalb von gutturalen Lauten möglich ist – so wird es auf dem Debüt-Album der deutschen Kombo selten langweilig.

„Also ich bin tatsächlich lieber hart. […] Aber es macht ja auch die Mischung. Also die anderen Stile oder die anderen Facetten gehören auch zu mir. Und deswegen wieder mega schön, dass sich das bei LoD auch ausleben kann. Und gerade diese Mischung zwischen diesen zarten Tönen und diesen eher ruhigen Strophen, teilweise dann einfach wieder loszulassen, wieder rauszulassen mit den Gebrüll, Passagen und meistens Refrains. Das finde ich auch ist was League Of Distortion mit ausmacht.“

Ein besonderes Gimmick ist hier der Feature-Einsatz von Annisokay Singvogel Christoph Wieczorek.

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„Welcome To The Nation!“

Mein Gefühl sagt mir, dass es nun erst so richtig los geht, denn mit „L.O.D.“, einem kleinen Selftiteler auf einer selbstbetitelten Platte, sagt die neue Gruppe „Welcome To The Nation!“ und bereitet musikalisch eine echte Willkommens-Party für Fans und die, die es noch werden w/sollen. Das hart herruntergerockte Gitarren-Intro toppt nochmal die bereits gelobten Riffs des Vorgänger-Songs. Ace rollt das R in bester Lindemann-Manier und der elektronische Sound ballert – eine schöne, stimmungsvolle Hymne auf die schwarze Szene, die meiner Meinung nach auch gut als Opener der Platte (und hoffentlich als Opener der Tour) gedient hätte.

„Das ist für mich auch so ein absoluter Live Song. Ich freue mich so diesen Song auf der Bühne endlich zu performen. Wir sind natürlich am Anfang viel als Support Band oder auf Festivals unterwegs, wo man uns noch nicht kennt. Und das ist so ein Song, wo man wirklich auch gleich […] alle Teil von der Liga werden lassen kann. Auch nur durch einen Auftritt. Man kann schon mitgrölen. […] Aber dieses Gefühl von Ich-singe-mit, ich bin irgendwie Teil von etwas und das zu spüren, das ist. Das ist für mich L.O.D. Auch dieser dieser Song. Und ja. Und textlich hatte ich da […] diese klare Message: Jeder ist willkommen, egal woher du kommst, egal wie du drauf bist. Du kannst Teil der Liga sein.“

„I’m A Bitch“ überrascht zunächst mit einem gezupften Lauten-Sound und einer darauf folgenden, bittersüßen Melodie in der die Songwriterin lyrische Tiefe beweist:

„Men shall reproduce themselves
Satisfying their desire
Procreate for humankind
Hunter-gatherer by design“

Darauf antwortet das provokativ-gespittete „But I’m A Bitch, Right?“ und ein metallischer Breakdown der in den kraftvollen Refrain übergeht. Ein saustarker, empowernder Track aus der Sparte Nu bzw. Crossover, der für mich auch durch das krachende „Fuck You I Can Fuck Who I Want To“ nach feministischer Selbstermächtigung riecht.

„Es gibt ja viele tolle Bezeichnungen dafür wie ein Mann sich ausleben, sich die Hörner abschlagen und sich fortpflanzen sollte. Männliche Triebe. Das ist dann immer oder oft so schön gesprochen: Ja, das ist ja normal bei einem Mann. Aber wenn eine Frau das gleiche macht, wird man sofort als Schlampe bezeichnet. Das ist das, was ich in dem Rekurs damit nochmal ganz klar sagen will. Ein bisschen natürlich auf die auf die Spitze getrieben, damit man das durch die Provokation hoffentlich versteht. Es gibt ja Casanova und Gigolo. Das sind alles so schöne Worte für einen Typen, der viele Frauen hat. Und dann gibt es diese Wörter Bitch und Slut und diese ganzen, finde ich, furchtbaren Bezeichnungen für eine Frau. Das da komme ich nicht drauf klar, das regt mich richtig auf. Und ich bin so froh, dass wir Band-intern hier auch eine Sprache sprechen und eben diesen provokanten Song raushauen konnten und da auch einfach hoffentlich ein bisschen zum Denken anregen.“

Und auch das gerade erst releaste Musikvideo, in der sich Sängerin Ace und zwei weitere Personen aus Nonnenkostümen befreien, bestätigt noch einmal: Der Song ist eine Hymne gegen Slutshaming. We love!

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Der dampfende Spannungsbogen der Platte bricht auch mit „Rebel By Choice“ nicht ab. Das Intro erinnert stark an Jinjers „Pisces“ und schafft durch den ruhigen Klang in den Strophen wieder eine neue musikalische Ebene. Auch hier finden wieder motivierende Lines ihren Platz zwischen gerufenen Parolen und bretternden Melodien.

Höhen und Tiefen – „Du bist nicht allein!“

Ab hier löst sich die Aufregung und Stärke allerdings auf und wird abgelöst von Klängen, die statt Kriegserklärungen, Melancholie und Schmerz fordern. „Solitary Confinement“ funktioniert wie die Atempause auf einem sonst sehr energetischen Album, auf dem nochmal Kraft gesammelt werden muss, um aus der eigenen Isolation zu entkommen. Der stärkste Part ist hier eine Funken-sprühende Gitarre, die sowohl zart als auch hart bretternd Aces Stimme verstärkt. Im Gegensatz zum sonst aber eher positiv gestimmten Album, beenden die Lyrics diesen Track resignierend mit „My Last resort is just to die“.

„Natürlich liege ich auch mal am Boden und mir geht es richtig dreckig. Aber ich will mich da immer wieder rauskriegen. Und auch wenn ich mit mit Freunden über solche Themen spreche. Wenn es ihnen schlecht geht, möchte ich sie auch wieder bestärken und wieder nach oben bringen. Und das ist auch der Wunsch, den ich mit LoD hab, den wir alle haben in dieser Band, dass es eben diesen positiven Vibe gibt von Wir-halten-zusammen, wir starten wieder nach oben und du bist nicht allein.“

So richtig heftig wird es nun allerdings mit „SIN“, denn anders als man es im Kontext des doch eher lyrisch-oberflächlich gehaltenen Album erwartet, schildern League Of Distortion hier einen Fall von Kindesmissbrauch – wirklich harter Tobak für eine sonst thematisch recht positive Platte. Gänsehaut und Unwohlsein ist hier vorprogrammiert, schon allein der Lyrics wegen. Aber auch verhängnisvolle, tief-schraubende Gitarren tun hier ihren Part.

„Es geht tatsächlich um Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche. […] Ich habe mich mit einem Missbrauchsopfer getroffen, der mir als 70-jähriger Mann erzählt hat, wie das damals für ihn war, von seinem Pfarrer war, brutalst und grausam missbraucht zu werden. Ich habe nicht vorgehabt, diesen Song zu schreiben. Das kam so und ich habe mich tatsächlich ein ganz kleines bisschen auch dagegen gewehrt, weil es natürlich schon ein sehr, sehr krasses Thema ist. Ich bin textlich wieder darauf gestoßen und habe dann diese ganze lange, lange, lange Recherche-Arbeit betrieben. Dann durch Zufall diesen Mann gefunden, der auch sagte: Das Thema ist so wichtig! Das wird so oft wieder vergessen, dann spricht man nicht mehr drüber, aber es ist einfach noch da und diese Leute haben auch immer noch nicht ihre Entschädigung, dafür bekommen. Das möchte ich auch am liebsten sogar mit einer kleinen Kampagne noch mehr unterstützen, um hier wirklich, wirklich was bewirken zu können.“

„League Of Distortion“ nähert sich langsam, aber sicher dem Ende. Nach der „SIN“-Bombe kann „The Bitter End“ leider kaum noch aufholen und sorgt für einen eher vorhersehbaren Befreiungsschlag nach der vorangegangenen Düsternis. Die Platte wird von „Do You Really Think I Fuckin Care?” geschlossen, einem Song, der sich thematisch an „I’m A Bitch“ orientiert und wieder an die Stärke und Variationen der Mitte des Albums anschließt: Cool, sexy und energetisch. Ein typisch lyrischer Mittelfinger.

„Es war einer der ersten Songs, die ich geschrieben habe. Da verarbeite ich Sachen, die in der Vergangenheit passiert sind oder auch zu mir gesagt wurden oder wie eben mit mir umgegangen wurde. Gleichzeitig erhoffe ich mir Leute zu bestärken, die eben in dieser Situation sind. In toxischen Beziehungen, wo man irgendwie mit Gaslighting, Brainwashing konfrontiert ist, wo dich jemand versucht zu beeinflussen und dich selber in Frage stellt. Sich gegen diese Leute aufzustellen und zu sagen: Es interessiert mich einfach überhaupt gar nicht!“

„League Of Distortion“ – ein gelungener Start

Tatsächlich musste ich mir das Album mehrere Male anhören, um wirklich darin aufgehen zu können. Schlussendlich überzeugten mich aber die wichtigen und emotional aufgeladenen Messages, die LoD hier aufgreifen und das unausweichliche Ohrwurmpotenzial, das in jedem Track mitschwingt.

Sobald man den Sound von League Of Distortion etwas verinnerlicht hat, fällt es einem immer schwerer, die hymnenhaften Refrains und rotzigen Parolen nicht mitzuträllern oder den Kopf im Takt der hämmernden Gitarren mitbeben zu lassen.

Musikalisch lässt sich die vierköpfige Power-Crew defintiv im modernen Metal verorten mit klaren Tendenzen zum Industrial und Nu Metal, auch Pop-, Rap-, Hardrock- und Elektro-Elemente definieren den experimentierfreudigen Sound der Band. Absolute Hörempfehlung.

Foto: Timo Ehlert / Offizielles Pressebild

ALBUM
League Of Distortion
Künstler: League Of Distortion

Erscheinungsdatum: 25.11.2022
Genre:
Label: Napalm Records
Medium: CD, Vinyl, etc

Tracklist:
  1. Wolf Or Lamb
  2. My Revenge
  3. It Hurts So Good (feat. Annisokay)
  4. L.O.D.
  5. I'm A Bitch
  6. Rebel Of Choice
  7. Solitary Confinement
  8. SIN
  9. The Bitter End
  10. Do You Really Think I Fuckin‘ Care
League Of Distortion
League Of Distortion
7.5
FAZIT
League Of Distortion haben mit ihrem selbstbetitelten Album ein belebendes und nur so vor Energie-strotzendes Debüt gebastelt, das sich sehen lassen kann. Brachiale Gitarrenriffs paaren sich mit maschinenhaften Beats, hymnenhaften Refrains, empowernden Parolen und erschütternden Zeilen von einer bis durchs Mark gehenden, gewaltigen, abwechslungsreichen Stimme.

Allerdings kehren viele Themen immer wieder, bleiben teilweise an der Oberfläche und trotz des musikalischen Genre-Mix wird der Sound der Band daher auf Dauer auch etwas vorhersehbar. Da ist noch Luft nach oben. Dennoch haben LoD mit ihrer Debütplatte einen musikalisch-experimentierfreudigen Grundstein gelegt und wir freuen uns was da, in Zukunft noch auf uns zu kommen wird!