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Kritik: Boston Manor - "Glue"

Nachdem ihr letzter Longplayer „Welcome to the Neighbourhood“ 2018 bereits einen riesigen Erfolg feierte, bescheren uns die Jungs von Boston ...

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Nachdem ihr letzter Longplayer „Welcome to the Neighbourhood“ 2018 bereits einen riesigen Erfolg feierte, bescheren uns die Jungs von Boston Manor nun endlich das, was von den Fans sehnlichst erwartet wurde: Ihr neues Album „Glue“.

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May 1st.

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Darauf enthalten sind 13 vollwertige Songs, die sowohl die bisherige Handschrift der Band aufweisen, zusätzlich in der Entwicklung aber auch einen Schritt weiter gehen.

Wenn man eines aus den bereits vergangenen Alben mitgenommen hat, dann, dass die Briten wissen, wie man kritische Themen anspricht und gleichzeitig den kunstvollen Anspruch nicht verliert. Mit „Glue“ beweisen Boston Manor, dass sie genau dort weitermachen, wo sie zuvor aufgehört haben.

Boston Manor entwickeln sich auf „Glue“ ein ganzes Stück weiter

Das Album beginnt mit dem Song „Everything is Ordinary“, einem Stück, welches bereits zuvor samt Musikvideo als Single veröffentlicht wurde.

Dadurch, dass der Song sofort Vollgas gibt, schwappt dem Hörer eine musikalische Welle entgegen, die man bisher in diesem Maße nicht von Boston Manor kannte. Der Song ist schnell gespielt, definitiv tanzbar und in gewisser Weise auch poppig. Stilistisch handelt es sich beim ersten Song des Albums um einen Rocksong, der Freude bereitet, zusätzlich durch seine elektronischen Einflüsse und Filter (sowohl auf der Stimme als auch auf den Instrumenten) für einen modernen Touch sorgt.

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Besonders die Kraft und Energie sind es, die dem Song das gewisse Etwas verleihen. Da sind Textzeilen wie „Don’t try to stop me“ definitiv ernst gemeint.

„1’s & 0’s“ schlägt stilistisch eine ähnliche Kerbe. In diesem Fall wird es durch die Gesangseffekte deutlich erschwert, den Text zu verstehen. Hinzu kommt, dass die Lautstärke des Gesangs eher niedrig ist, wodurch dieser in das Soundgerüst der Instrumente eingebettet wird. Der C-Teil des Songs ist ruhiger gehalten und wird dominiert von den Percussions, die durch eine Verschiebung der Taktbetonungen einen herausstechenden Effekt bewirken.

„Plasticine Dreams“ wurde ebenfalls bereits vor Release des Albums veröffentlicht und mit einem beeindruckenden und aussagekräftigen Video versehen. Auffallend ist der Stimmungswechsel im Vergleich zu den vorherigen Songs. Die Stimme von Sänger Henry Cox besitzt keinen Filter und ist, ebenso wie eine der Gitarren, glasklar. Der Song ist insgesamt etwas ruhiger und prangert auf lyrische Art und Weise zum einen die wachsende Konsumgesellschaft, zum anderen eine immer künstlicher werdende Welt an.

Durch die Ruhe, die dem Song innewohnt (trotz recht straight gespielter Akkorde im Refrain), lädt der Song zum ruhigen Kopfnicken ein, fließt vor sich hin und stellt eine gekonnte Abwechslung dar.

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Auch „Terrible Love“ ist ein eher ruhigerer Song, der mit cleanen Vocals auffährt. Besonders die Art und Weise, wie Sänger Cox seinen Gesang einsetzt, verleiht dem Lied eine authentische Portion Schmerz und steigert diesen im Verlauf dramatisch. Der Drive des Songs wird hauptsächlich durch den Bass und das Schlagzeug bestimmt und mündet in einem Refrain, in dem eine Art Verzweiflung mitschwingt.

Die anfängliche Leere des Stücks wird im Verlauf durch Synthesizer aufgefüllt und vollendet das Lied zu einem Radiosong, wie er auch aus der Feder von The Weeknd stammen könnte. Insgesamt besitzt der Song eine besondere Größe und kann durchaus auch über die Szenegrenzen hinaus Gehör finden.

Der Song „On A High Ledge“ spricht ein besonders ernstes Thema an und behandelt die krankhafte Männlichkeit in der Gesellschaft und den Irrglaube, dass es ein Verlust an Männlichkeit mit sich ziehen würde, wenn man sich Schwäche eingesteht oder Hilfe annimmt.

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Mit diesem Song spielt die Band auch an die hohe Selbstmordrate von unter 25-jährigen Männern in England an. Ein Erlebnis, das die Entstehung des Songs mit beeinflusst hat, ist, dass Sänger Cox bereits in jungen Jahren Augenzeuge eines Selbstmordes wurde, der ihn bis heute beschäftigt.

Anmerkung der Redaktion: Solltest du selbst das Gefühl haben, dass du dich in einer belastenden Situation befindest, dann kontaktiere bitte umgehend die Telefonseelsorge (www.telefonseelsorge.de). Unter der kostenlosen Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhältst du anonym Hilfe von Beratern, die mit dir Auswege aus schwierigen Situationen finden und eine tolle Stütze sein können. Danke, dass du es versuchst!

Das hierzu bereits veröffentlichte Musikvideo greift diese Erfahrung bildhaft auf. Generell ist der Song aus musikalischer Sicht sehr zurückhaltend und wirkt geradezu zerbrechlich. Dies wird zum einen durch die wabernden Synthie-Sounds hervorgerufen, die ein Stück weit an Sounds der Serie Stranger Things erinnert, zum anderen durch die sehr ruhige Gesangsstimme, die im Refrain in mantraartige Wiederholungen mündet.

Mit den Tracks „You, Me & The Class War“ und „Playing God“ treffen die Jungs dann wieder den Stil, den man bereits aus den vergangenen Alben kennt. Gedanken an Songs wie „England’s Dreaming“ oder „Digital Ghost“ können dem ein oder anderen sicherlich kommen. Beide Werke haben definitiv Ohrwurmpotenzial und zeigen, dass die Band ihre Handschrift nicht verlernt, sondern lediglich erweitert hat.

Hier reiht sich auch „Brand New Kids“ ein, dieser Song ist allerdings deutlich poppiger und weist das Potenzial auf, den Sprung in die Radiostationen zu schaffen.

„Ratking“ ist ein weiterer Track, den Boston Manor im Vorfeld an den Start gebracht haben und im Vergleich zu den restlichen Songs eher eine untergeordnete Rolle spielt, wenn es darum geht, lange im Kopf zu bleiben. Die Nummer passt ganz klar zur Band, baut sich musikalisch in den Strophen nacheinander auf. Durch die Verwendung unterschiedlicher Instrumente im Hintergrund zeigt er aber eine Schwachstelle, die an mehreren Ecken von „Glue“ zu Tragen kommt: Musik und Gesang absorbieren sich gegenseitig. Was auf der einen Seite wie eine Verschmelzung wirkt und positiv zu bewerten ist, lässt Songs auf der anderen Seite ein Stück weit breiig und glatt wirken.

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Das Stück „Stuck In The Mud“ beschäftigt sich inhaltlich mit einem ähnlichen Themenfeld wie „On A High Ledge“ und behandelt Ängste junger Menschen. Als Setting ist hierzu ein Zugabteil gewählt worden, in dem Begegnungen stattfinden, sich allerdings jeder mit sich selbst beschäftigt, auch wenn das manchmal zuviel ist („I’m lost in the dark; I can’t find my way“).

Der Song beginnt eher ruhig und clean mit einem Piano, steigert sich im letzten Refrain durch ein kanonenartiges Ende noch einmal in seiner Dramatik und trifft den Hörer direkt ins Herz, ohne dabei überladen oder kitschig zu wirken.

Dass „Liquid“ auf dem Album enthalten ist, dürfte den ein oder anderen eventuell etwas verwundert haben. So wurde dieser Song bereits im vergangenen Jahr gemeinsam mit einer akustischen Version von „Halo“ veröffentlicht und machte bis dato den Anschein, als stünde er für sich selbst. Falsch gedacht.

Mit „Monolith“ schließt die Band das Kapitel „Glue“ und macht dies mit einem fulminanten Ende. Mit mehr als fünfeinhalb Minuten ist der Song der längste des Albums und beginnt gleich mit heftigen Screams, die man bisher von der Band so noch nicht gehört hatte.

Mit diesen Parts weisen die Briten eine ganz neue Range auf und manifestieren erneut den Entwicklungsprozess. Der restliche Teil der Strophen ist eher ruhig gehalten und wird unterstützt von einem minimalistischen Soundteppich. Inhaltlich äußert Sänger Henry Cox den Wunsch nach Freiheit und danach das zu tun, was man möchte. Das hat die Band mit diesem Song definitiv geschafft!

Zur Hälfte des Songs fadet der gewohnte Klang des Stücks vollständig aus und bereitet den Weg für einen sehr ruhigen Piano-Part, der das Stück auf eine ungewohnte Art und Weise abrundet, aber hey! Lassen wir der Band doch ihre Freiheit.

Foto: Boston Manor / Offizielles Pressebild

ALBUM
Glue
Künstler: Boston Manor

Erscheinungsdatum: 01.05.2020
Genre: ,
Label: Pure Noise Records
Medium: CD, Vinyl, etc

Tracklist:
  1. Everything Is Ordinary
  2. 1’s & 0’s
  3. Plasticine Dreams
  4. Terrible Love
  5. On A High Ledge
  6. Only1
  7. You, Me & The Class War
  8. Playing God
  9. Brand New Kids
  10. Ratking
  11. Stuck In The Mud
  12. Liquid
  13. Monolith
Boston Manor Glue
Boston Manor Glue
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FAZIT
Die Jungs aus Blackpool haben die großen Erwartungen mit „Glue“ definitiv erfüllt. Mit ihrem neuen Album vereinen Boston Manor all das, was bereits auf „Welcome to the Neighbourhood“ gefiel und setzen durch ihre persönliche musikalische Weiterentwicklung noch einen drauf.

Thematisch legt die Band den Finger in die Wunde, zeigt Missstände auf und scheut sich nicht, den Mund aufzumachen und eine klare Position zu beziehen. Das Ganze ist eingepackt in ein experimentierfreudiges, musikalisches Gerüst, das an der ein oder anderen Stelle durchaus etwas schwammig klingt, dem Hörer allerdings eine Menge stilistischen Spielraum bietet, der vielseitig ist und für jeden etwas dabei haben sollte.