Review

Modern MetalProgressive

Kritik: Monosphere - “Sentience”

Wird der Zeitpunkt kommen, an dem der Mensch nicht mehr zwischen natürlicher und künstlicher Intelligenz unterscheiden kann? In Zeiten von ...

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Wird der Zeitpunkt kommen, an dem der Mensch nicht mehr zwischen natürlicher und künstlicher Intelligenz unterscheiden kann? In Zeiten von ChatGPT & Co. muss sich die Welt langsam wieder ernsthafter mit den Fragen beschäftigen, die bereits in den 50ern vom berühmten Mathematiker Alan Turing mit seinem legendären Turing-Test aufgeworfen wurden. Die Mainzer Progressive Metal-Band Monosphere behandelt dieses Thema in aller Ausführlichkeit auf ihrem Konzeptalbum “Sentience”, das sich rund um eine Maschine dreht, die aus ihrer eigentlichen Programmierung ausbricht. Musikalisch verfolgen sie dabei einen ähnlichen Grundsatz wie Berufstätige im Bereich der künstlichen Intelligenz: Die Grenzen von dem Austesten, was möglich ist.

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Mit einer Lauflänge von knapp 54 Minuten tischen uns Monosphere ein wahrlich gigantisches Werk auf, dass die Dauer ihres großartigen Erstlings “The Puppeteer” (2021) trotz weniger Songs mal eben um eine ganze Viertelstunde übertrifft. Der nahezu shoegazig anmutende Opener “Preface” mag dabei zunächst noch keine wirkliche Idee davon geben, was in der darauffolgenden Stunde aufwartet. Atmosphärische Pads, Keys und Strings breiten sich aus, während sich Sänger Kevin Ernst langsam aus dem Hintergrund anbahnt. Erst ein geschickter, harmonischer Twist, der nahtlos in “Borderline Syndrome” hineinführt und die Stimmung binnen Sekunden ins Dunkle kippen lässt, macht klar: Es wird auf “Sentience” auch ordentlich zur Sache gehen.

Monosphere lehnen sich weit aus dem Fenster

Es gibt nur wenige Bands, die sich trauen würden, so kontrastreich und gewagt zu arbeiten, wie Monosphere es auf ihrem zweiten Longplayer tun. Während sich im einen Moment noch Black Metal-artige Blastpassagen und groovige Breakdowns (“Smoke & Wires”) aneinander reihen, können im nächsten Moment völlig unerwartet atmosphärische Intermezzi (“Ava”, “Bleak”) folgen, die mit flächigen Synths und teilweise sogar Akustikgitarren aufwarten. Ebenso scheut sich das Quintett nicht, Elemente auf ungewohnte Weise übereinander zu schichten. So bekommen gerade die hämmernden Blast Beats durch die Integration von Orgeln, Chören oder das Zusammenspiel von Shouts und Cleans neue Ebenen verpasst (“Borderline Syndrome”, “Method Acting”).

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Aber Monosphere treiben es noch weiter auf die Spitze. So überraschen sie in “Borderline Syndrome” und “Smoke & Wires” durch jazzartige Klänge, die harmonisch so geschickt eingefädelt werden, dass man aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommt. Auch weitere Experimente wie der mit Akustikgitarren angereicherte Breakdown in “Ava” oder clever eingesetzte Disharmonien in “Human Disguise” gehen voll und ganz auf. Dass sich dieses große Opus aus verschiedenen Stilen und Dynamiken am Ende so gut zusammensetzt, ist vor allem den sorgfältig arrangierten Transitions zwischen den Songs zu verdanken. “Sentience” wird so zu einem regelrechten Abenteuer, bei dem an jeder Ecke etwas Neues lauert.

Kleine Mankos in der Produktion

Musikalisch liefern alle Mitglieder durch die Bank eine starke Performance ab. So überzeugt vor allem Sänger Kevin Ernst durch seine voluminösen Gutturals und seine markante Cleanstimme, während Drummer Rodney Fuchs von komplexen Breakdowns bis hin zu schwebenden Halftime-Grooves alles an die Wand nagelt. Leider stehen Monosphere die Landung in der Produktion nicht ganz perfekt und haben Probleme, ihre Ausuferungen ohne Abstriche im Mix einzubetten. So könnten die Vocals durchweg ein wenig dominanter sein und kämpfen gegen das mächtige, instrumentale Grundgerüst. Allen voran die Drums schlucken hier und da von allen Performances die feinen Nuancen, die man sich noch für ein runderes Endergebnis gewünscht hätte.

Generell könnten Monosphere in der Zukunft einen noch organischeren Produktionsansatz verfolgen, in der die vielen verschiedenen Elemente in ihrer Musik noch ein wenig besser zusammenfinden. Nichtsdestotrotz ergibt “Sentience” am Ende des Tages eine wirklich außergewöhnliche Progressive Metal-Platte, die vor allem für Fans des Genres absolutes Pflichtprogramm ist. Es ist die Liebe zum Detail und auch die Liebe zum Konzept, die die Mainzer auszeichnet. Eine vollständig in einer AI-generierten Sprache gesungene Passage im Song “Smoke & Wires” unterstreicht noch einmal mehr die absolute Dringlichkeit und Wichtigkeit, die die Band der gesamten Thematik zuschreibt. Und auch jetzt steht bereits fest: Monosphere werden hier nicht Halt machen.

Foto: Offizielles Pressebild / Monosphere

ALBUM
Sentience
Künstler: Monosphere

Erscheinungsdatum: 20.10.2023
Genre: ,
Label: Blood Blast Distribution
Medium: CD, Vinyl, etc

Tracklist:
  1. Preface
  2. Borderline Syndrome
  3. Smoke & Wires
  4. Friends & Foes (feat. Mirza Radonjica)
  5. Bleak
  6. Ava
  7. Human Disguise
  8. Living Flame
  9. Intermission
  10. Method Acting
  11. Turing Test (feat. Jim Grey)
  12. Sentience
Monosphere Sentience
Monosphere Sentience
8.5
FAZIT
Es ist definitiv eine Prog-Platte, die ihresgleichen sucht. Monosphere verfestigen mit ihrem zweiten Album “Sentience” einmal mehr ihren Status als eine der wichtigsten, aufstrebenden Bands des Genres und nehmen uns dabei lyrisch mit in die komplexe Welt der Möglichkeiten und Gefahren von künstlicher Intelligenz. Bis auf gelegentliche Reizüberflutungen und eine etwas schwächere zweite Hälfte kann man den Mainzern schlussendlich nur Komplimente für den Mut und die Zielstrebigkeit machen, mit der sie dieses große Stück Musik zwischen verschiedensten Genres, Dynamiken und Stimmungen angelegt haben.