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Kritik: The Ghost Inside - "Searching For Solace"
Treffender könnte man dieses gefühlte Dilemma kaum nachzeichnen. Jonathan Vigil fand seinerzeit die nachvollziehbaren Worte dafür, die einem Paukenschlag während ...
VON
Dennis Grenzel
AM 14/04/2024
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Treffender könnte man dieses gefühlte Dilemma kaum nachzeichnen. Jonathan Vigil fand seinerzeit die nachvollziehbaren Worte dafür, die einem Paukenschlag während der sagenumwobenen Rückkehr der US-amerikanischen Metalcore- und Hardcore-Hoffnung The Ghost Inside gleichkamen: „What happened to my happy ending?“ Das Leben als Ritt in Richtung Glück, der niemals endet. Zumindest nicht am Ziel. Und zeitgleich hat diese Reise etwas, das ein unbedingtes Vorankommen erfordert. „The beat goes on“, heißt es da in „Aftermath“. Und an genau dieser Stelle begleiten uns The Ghost Inside nun mit „Searching For Solace“ ein Stück dieser Reise weiter.
THE GHOST INSIDE HABEN SICH DEN STATUS QUO HART ERKÄMPFT
Rein musikalisch gesehen und lediglich an ihrer reinen Popularität gemessen, könnte man im Fall der aus El Segundo, Kalifornien stammenden The Ghost Inside fast schon von einem Senkrechtstart sprechen. Doch dann hätte man das Schicksal außer Acht gelassen. Eben jenes Schicksal, das seinerzeit in der Nähe von El Paso, Texas, fast das jähe Ende eben dieser Ausnahmeband bedeutet hätte.
Doch The Ghost Inside trotzten diesem Schicksal und boten ihm auf eindrucksvollste Art und Weise die Stirn. Gekrönt wurde der Kampf zurück ins Leben und die Wiederkehr der Formation um Frontmann Jonathan Vigil durch das 2020 erschienene Selftitled-Album, das szeneweit mächtig Eindruck schindete. Nun, ganze vier Jahre später, geht es mit „Searching For Solace“ schon längst nicht mehr nur um Wiederkehr und Statuserhalt, sondern den ganz großen Schritt in Richtung uneingeschränkter Popularität.
„SEARCHING FOR SOLACE“: DIE KOMBINATION ZWEIER MUSIKALISCHER EXTREME
The Ghost Inside haben auch mit „Searching For Solace“ insbesondere eines: reinste Symbolkraft, zehrend aus dem Kampf gegen die Schattenseiten im Leben und sich dem widmend, was den Menschen in Lebenslagen, die zum Aufgeben einladen, zum Weitermachen antreibt.
Das eröffnende „Going Under“ überzeugt in seiner für The Ghost Inside so typischen musikalischen Struktur bereits im Ansatz, besticht durch einen hochmelodischen, fast schon im Pop-Punk verwurzelten Refrain und dürfte zum ersten Break hin eine enorme Wellenbewegung in jeden noch so großen Pit der Welt zaubern dürfen. Mit „Death Grip“ beweisen The Ghost Inside bereits Cojones im Straußeneier-Format. Eben diese Komposition ist ein schonungsloser, in jeder Sekunde breitbeinig daherkommender Abräumer, mit dem sich The Ghost Inside sich zweifelsfrei treu bleiben, man hat nur den Eindruck, man bekäme von dem kahlgeschorenen Jonathan Vigil ein wildes Monstrum direkt in die Adern gepumpt. Ein Breakdown jagt hier den nächsten, an den genau richtigen Stellen nimmt der US-amerikanische Fünfer jedoch das Tempo raus, um somit auf Festivals alles dem Erdboden gleichmachen zu können.
DIE INTEGRITÄT DIESER BAND STEHT NIE ZUR DEBATTE
„Light Years“ und „Secrets“ gönnen uns dann eine erste, melodisch angelegte Verschnaufpause, während der man gar nicht mal so selten an Story Of The Year denken muss, bevor mit „Split“ dann Stakkato-artig wieder alles in Grund und Boden gerifft wird. Klar wird bereits zu diesem frühen Stadium, dass The Ghost Inside der auf „Searching For Solace“ zweifelsfrei vollführte Spagat zwischen kommerziell angelegter Songbeschaffenheit und authentisch dargebotener Durchschlagskraft in fast jeder Engstelle gelingt. Überraschen können Vigil und Mitstreiter darüber hinaus auch: „Cityscapes“ etwa startet ungewohnt lethargisch wie getragen, bevor wenig später dann wieder alle Erwartungen an Härte und Brachialität erfüllt werden.
MIT MUSIKALISCHEN HOCHKARÄTERN IN RICHTUNG FINALE
„Reckoning“ ist ein im Refrain unheimlich intensiv anmutender MidTempo-Nackenbrecher mit melancholisch-melodiösem Hang. Beizeiten klingt das so herrlich entfesselt als habe eine Band wie Shai Hulud versehentlich eine Line zu viel vom Schminkspiegel geschnupft. „Breathless“ ist dann das denkbar effektvollste Finale: da wird zuerst noch im Hochtempo und stets begleitet durch melodische Gitarrenleads getreten, gezerrt und getrieben, bis dann im Refrain sprichwörtlich die ganze Welt umarmt wird. Von einem Moment auf den anderen scheint sich die Erde tatsächlich in Zeitlupe zu drehen, bevor die Akustikgitarre und Vigils Gesang vollends verstummen.
Und Kritikpunkte an „Searching For Solace“? Gibt es! Das zuvor ausgekoppelte „Wash It Away“ etwa ist eine allenthalben mittelprächtige Komposition aus der Alternative Rock-Retortenschmiede. Die gesamten Gitarrenleads werden hier in untergehobene Keys getränkt, was den Grundsound der Band zumindest an genau dieser Stelle unsäglich synthetisch wirken lässt. Dies bleibt jedoch die einzige Schwäche, die sich The Ghost Inside erlauben.
Die melodischen Momente bestimmen meist noch immer sämtliche Refrains, mit denen sich The Ghost Inside für die nächste Tour De Force sammeln. „Searching For Solace“ paart musikalische Grenzerfahrungen, lässt hymnischen Refrains geradezu bahnbrechende Breakdowns folgen und deckt in Sachen Tempo tatsächlich alles ab, was das Spektrum Hardcore auch hergibt. Mit musikalisch fast schon einfachsten Mitteln erzeugt das US-Powerhouse eine ungeheure Intensität.
Foto: The Ghost Inside / Offizielles Pressebild
Searching For Solace
Künstler: The Ghost Inside
Erscheinungsdatum: 19.04.2024
Genre: Metalcore
Label: Epitaph
Medium: CD, Vinyl, etc
- Going Under
- Death Grip
- Light Years
- Secret
- Split
- Wash It Away
- Cityscapes
- Earn It
- Wrath
- Reckoning
- Breathless
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