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Kritik: Protest The Hero - "Palimpsest"

Meine Damen und Herren. Guten Abend und herzlich Willkommen in der Manege des Zirkus Proncalli the Hero! Wir haben heute ...

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Meine Damen und Herren. Guten Abend und herzlich Willkommen in der Manege des Zirkus Proncalli the Hero! Wir haben heute etwas ganz Besonderes für Sie! In unserem Sonderprogramm erwartet Sie erstklassische Gitarren-Artistik mit Tim MacMillar und Luke Hoskin. Weiterhin können Sie sich auf Mike Ieradi freuen, der wie kein Zweiter mit allen Takten, die er in die Finger bekommt, jongliert! Mein Name ist Rody Walker! Ich bin Ihr Zirkusdirektor und führe Sie durch die nächsten, knapp 50 Minuten unseres Programms!

So, oder so ähnlich, vermutlich eher in der englischen Sprache, könnten die Jungs von Protest The Hero Ihr neues Album “Palimpsest” ankündigen. Ein Palimpsest ist im Übrigen eine Manuskriptseite, die nach dem erstmaligen Beschreiben durch Waschen oder Abschaben gereinigt und anschließend wieder beschrieben wurde.

Wie die vier Jungs aus Kanada auf den Namen gekommen sind: Ich habe keine Ahnung. Ich weiß aber, dass das genau diese Art von Wissen ist, die ich im Leben nie wieder brauchen, aber auch nie wieder vergessen werde. Ihr kennt das! Die abgewaschene und wiederbeschriebene Manuskriptseite ist auf jeden Fall das fünfte Album von Protest The Hero und umfasst zehn Songs.

Protest The Hero überzeugen auf „Palimpsest“ mit stimmlicher Leistung und abwechslungsreichem Sound

Das Album beginnt mit dem Song „The Migrant Mother“ und einem zunächst eher zurückhaltenden, aber sehr kraftvollen Intro. Nach gut einer halben Minute setzt dann, nach der instrumentalen Riege der Band, auch Rody Walker mit seiner gewohnten Stimme ein.

Rody Walker ist für mich immer schon ein Paradoxon gewesen. Bewegt sich Protest The Hero doch immer eher am modernen Rand des progressiven Metal, würde die Stimme von Rody durchaus auch in den Kontext eher klassischen Power Metals passen. Die hohen Tonlagen und der regelmäßige Einsatz seines exzellenten Vibrato fügen sich aber natürlich auch sehr gut in Sound von Protest The Hero ein und sorgen für einen klaren Wiedererkennungswert.

Schon im Intro von „The Canary“, der ersten Single, bekomme ich von den Gitarren an meiner Wand nur noch mitleidige Blicke. Der Versuch meiner Finger, den Song zu spielen, hätte das gleiche Ergebnis, wie wenn man den Zug in GTA V aufhalten wollen würde: Wasted. Es ist, wie in der Einleitung schon beschrieben, einfach Gitarren-Artistik, was Tim und Luke da vom Stapel lassen.

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„From The Sky“, der zu diesem Zeitpunkt bereits als Single-Auskopplung erschienen ist, schlägt direkt ähnliche Töne an. Arbeitet neben den bekannten Instrumenten aber auch vermehrt mit Streichern als Untermalung und sorgt in dieser Kombination für einen enorm dichten Klangteppich.

Nach knappen vier Minuten, in denen wohl mehr Töne gespielt werden als bei manch andere Band auf einem ganzen Album, gibt es einen harten Cut. Von jetzt auf gleich verstummt das Feuerwerk aus Gitarre und Schlagzeug.

Übrig bleibt nur die Stimme von Rody und ein sehr schwermütiges Klavier. Der Moment baut sich in den verbleibenden 2 Minuten zu einer epischen Bridge auf, die mir direkt beim ersten Hören die Gänsehaut auf den Körper gezaubert hat.

In „All Hands“ werden die Streicher wieder aufgegriffen und durch weitere Teile eines Orchesters ergänzt. Draus ergibt sich ein sehr spannendes Zusammenspiel aus Gesang, Gitarre, Schlagzeug und den hinzugefügten Elementen.

Gegen Mitte des Songs findet neben dem Gesang von Rody auch ein Growlpart seinen Weg in den Song, nur um Momente später eine Kehrtwende zu machen und in ein sehr intimes Outro überzugehen.

Mit „The Fireside“ schreiben Protest The Hero einen Song, der im Intro auch gut zu einer meiner anderen Lieblingsbands Revocation gepasst hätte. Einen gewissen Einschlag von, wenn auch sehr technischem, Thrash kann man in diesem Song nicht wegargumentieren. Dies funktioniert als neuer Impuls zu dem Zeitpunkt aber ausgezeichnet.

Im Pre-Chorus dagegen findet man den eher fehlgeschlagenen Versuch von Rody, in seinem Stil den Double-Time Rap neu zu interpretieren. Was vielleicht als eine gute Idee gemeint war, klingt hier leider eher überhastet und ist von der Verständlichkeit leider auch eher schwierig.

„Soliloquy“ zeichnet sich durch den Gegensatz von extrem technischen Parts und sehr kurzen epischen Breaks aus. Gleichzeitig ist es der zweite Song, in den der gutturale Gesang als Stilelement seinen Weg findet.

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Thanks to all those who have pre-ordered a copy of our record, or anything else in our pre-order spread so far! The response has been incredible… Anyone get a chance to check out the first single "The Canary"? Link is in our bio if you haven't checked it out yet. For those who don't know, we had our pal @toddkowalski_art rip bass on this track. He wrote and recorded all of his bass parts without our input. In fact, we didn't have a single revision for him. He nailed it, and we are very thankful to have had him involved! Hopefully, those who have pre-ordered the record have discovered we included a free transcription for the entire song in the accompanying digital download pack. We wanted to offer something more to do at home while we all wait for the record release. What better time than now (while physically distancing) to learn a new tune? We are hoping to see some covers pop up online in the coming weeks! If you are interested in a copy of the transcription for guitar, bass, or drums, they all come with any product in the pre-order that includes music (so any product containing digital album, cd, cassette or vinyl!) We would love to hear your initial thoughts on the song below. **artwork by the handsome @mattfhk

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Auch in „Reverie“ findet man wieder den sehr stilvollen Einsatz von Streichern als Erweiterung des Klangbildes. Im Mittelteil des Songs kommt dann der Teil des Albums, auf den sich der Bassist, für welche Position es aktuell keine feste Besetzung gibt, mit Sicherheit am meisten freut: ER DARF SLAPPEN und sind wir mal ehrlich, es gibt schon echt wenige Sachen, die so cool sind wie ein gut geschriebener Slapping-Part!

Der nächste Song des Albums hört auf den Namen „Little Snake“ und zeigt nochmal ganz deutlich, wo meine „Rody als Power Metal-Sänger“-These vom Anfang herkommt. Die ein oder andere Power Metal-Röhre wird bei Rodys gesanglicher Präzision und dem Vibrato, das er da immer wieder aus seiner Kehle rollt, wohl leicht neidisch gucken!

Mit „Gardenias“ kommen wir beim wohl härtesten Song des Albums an. Der Anteil an gutturalen Vocals findet hier seinen Höhepunkt und auch die Gitarrenriffs legen nochmal eine Schüppe auf die imaginäre „Härte-Skala“. Kombiniert wird das Ganze dann in der Bridge und dem Outro jedoch mit sehr progressiven Bass- beziehungsweise Gitarrenparts, die dem Song eine spannende Zweideutigkeit geben.

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Den Abschluss des Albums macht „Rivet“. Mit dem letzten Song findet nochmal ein neues Stilelement im Protest The Hero-Potpourri wieder: Eine Mischung aus Singalong und Crewshout. Zeitgleich ist der Song wieder eher der epischen Natur entsprungen und sorgt damit für ein rundes Ende dieses Albums.

Protest The Hero bleiben mit “Palimpsest” ihrer Linie treu und schreiben ein Album, das in die Fußstapfen der Vorgänger tritt. Die Produktion ist für mein Ohr wieder einen Hauch besser als die von “Pacific Myth”, wobei die Produktion hier meiner Meinung nach auch ein Rückschritt gegenüber dem Vorgänger “Volition” war. Auf einem Top-Level ist sie aber immer noch nicht.

Das macht manch andere Band in dem Genre doch noch etwas besser. Songwritingmäßig bewegt man sich weiterhin auf einem enorm hohen Niveau und von den technischen Fähigkeiten der einzelnen Bandmitgliedern möchte ich hier gar nicht anfangen.

Nur soviel: Meine Versuche, Songs von Protest The Hero zu covern, glichen auch in meiner Zeit als ambitionierterer Gitarrist immer eher dem Versuch, von Kmac2021 „Through The Fire And The Flames“ zu covern, als dass sie dem Original nahekamen. Ihr wisst nicht, was ich meine? Dann schaut hier rein – pures Internetgold.

Foto: Protest The Hero / Offizielles Pressebild

ALBUM
Palimpsest
Künstler: Protest The Hero

Erscheinungsdatum: 18.06.2020
Genre: ,
Label: Fearless Records
Medium: CD, Vinyl, etc

Tracklist:
  1. The Migrant Mother
  2. The Canary
  3. From The Sky
  4. All Hands
  5. The Fireside
  6. Soliloquy
  7. Reverie
  8. Little Snakes
  9. Gardenias
  10. Rivet
Protest The Hero Palimpsest
Protest The Hero Palimpsest
7.5
FAZIT
Protest The Hero bleiben auch mit “Palimpsest” eher eine Band für die Randgruppen oder vielleicht anders ausgedrückt: Es bleibt Musik von Musiknerds für Musiknerds. Ich generalisiere an dieser Stelle natürlich enorm, glaube aber, dass der klassische Core-Hörer, der Heaven Shall Burn oder As I Lay Dying als seine Lieblingsbands auflistet, bei Protest The Hero eher eine Reizüberflutung bekommt, als das es für Ihn die nächste Offenbarung ist.

Für Fans von Bands wie Between The Buried and Me, Animals As Leaders, Sikth oder The Dillinger Escape Plan dagegen wird das neuste Werk von Protest The Hero mit Sicherheit eine spannende Platte werden! Unterm Strich ist es eine abwechslungsreiche, runde Scheibe mit der enorm starken Stimme von Rody, aber leider leichten Schwächen in der Produktion.