
Review
Folk Power Metal
Kritik: Alestorm - „The Thunderfist Chronicles“
Rumtriefende Sommerhits für die Piraten-Party auf Tortuga.
VON
Tobias Tißen
AM 16/06/2025
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Als ich zum ersten Mal von Alestorm hörte, hatten die Schotten gerade eben ihr zweites Album „Black Sails at Midnight“ (2009) vom Stapel gelassen. Und ich muss gestehen: Ich war sofort an Bord!
Piraten-Metal – aber dank exzessivem Keyboard-Einsatz und weniger klassischem Heavy-Metal-Einmaleins mit einem deutlich „piratigeren“ Sound als die seit den 1980ern regierenden Herren des Freibeuter-Metal, Running Wild. Und noch besser: Schunkelig, aber ganz weit weg von der Santiano’schen Schlager-Schunkeligkeit.
Jackpot für einen Metalfan, der als kleines Kind (oder vielleicht auch noch heute) immer selbst als Pirat die sieben Weltmeere unsicher machen wollte!
In den anderthalb Jahrzehnten, die seitdem vergangen sind, habe ich eine Hassliebe zu Alestorm entwickelt. Nach den noch größtenteils ernsthaften Platten „Captain Morgan’s Revenge“ und „Black Sails at Midnight“ öffnete sich die Band um Frontmann Christopher Bowes schon 2011 auf „Back Through Time“ mehr dem Klamauk – nur um dann 2014 mit ihrem Cover von Taio Cruz’ „Hangover“ endgültig die partywütige „Kein Festival ohne mein Bananenkostüm“-Crowd zu adressieren.
Zu albern für mich. Einfach nicht mehr das, weshalb ich die Band überhaupt erst so sehr mochte. Trotzdem hat mich Alestorm nie ganz verloren – Ohrwurm-Refrains können sie halt. Und in ihren besten Momenten bringen sie beides zusammen: Spaß und Ernsthaftigkeit, Eingängigkeit und Härte.
Wie ausgewogen ist die Mischung auf „The Thunderfist Chronicles“, dem achten Studioalbum der Schotten?
Oops, they did it again!
Erstes kleines Fazit vorweg: Käpt’n Christopher Bowes und seine vier Mann starke Besatzung haben es mal wieder geschafft. Ich mag „The Thunderfist Chronicles“ mehr, als ich erwartet habe.
Nein, nicht jeder der acht Tracks zündet. Mindestens die Hälfte ist wieder mehr albern-komisch als wirklich ernsthaft gemeint. Dazu wird man das Gefühl nicht los, die ein oder andere Melodie nur leicht variiert schon auf einer früheren Alestorm-Platte gehört zu haben.
Aber: Auch recycelt bleiben die Melodien im Kopf, der Sound ist fett produziert und reißt mit. Dazu gibt’s am Ende den ambitioniertesten Track der Bandgeschichte, das „Bohemian Rhapsody“ des Piraten-Power-Metal.
Alestorm schiffen in durch (!) bekannte Gewässer
Musikalisch segeln Alestorm auf „The Thunderfist Chronicles“ in den Gewässern, die sie spätestens seit „Sunset On The Golden Age“ (2014) in- und auswendig kennen: Keytar, Galopp-Riffs, folkige Hooklines und „Yo-ho-ho“-Chöre regieren das Deck.
„Hyperion Omniriff“ und „Killed To Death by Piracy“ geben gleich zu Beginn ordentlich Gas, inklusive hymnischem Refrain und dem typischen Alestorm-Wahnsinn. Mit „Banana“ folgt dann DIE neue Hymne für die eingangs erwähnte partywütige Bananenkostüm-Meute.
Bowes keift in seiner typischen Art:
„So raise your hook in the Caribbean sky
(Stick it up your butt, stick it up your arsehole)
We’re on a quest to the middle of the sea
(Fuck the fucking land, fuck the fucking mountains)
So pour me a mug of banana daiquiri“
Kaum ein Song bringt die nicht immer geglückte Gratwanderung zwischen gut gemeintem Gag und nervigem Hau-Drauf-Klamauk besser auf den Punkt.. Dennoch muss ich hier gestehen: Der Versuch, ein zweites „P.A.R.T.Y.“ zu kreieren, scheitert nur knapp. Der Refrain klebt süßer im Hirn als der besungene Banana Daiquiri.
Die Thunderfist-Trilogie
„The Thunderfist Chronicles“ – der Albumtitel erklärt sich in der Trilogie aus „Frozen Piss 2“, „The Storm“ und „Mega-Supreme Treasure of the Eternal Thunderfist“. Alestorm versuchen sich also an einer songübergreifenden Geschichte.
Dass sie selbst das nicht ohne Klamauk hinbekommen, verraten aber natürlich schon zwei der drei Songtitel. Inhaltlich geht’s um einen uralten, verfluchten Schatz und seinen schurkischen Wächter „Mighty Thunderfist“ – thematisch bewegt sich das irgendwo zwischen Monkey Island, Lovecraft, und Piratenfilm-Parodie.
Musikalisch nehmen sich die Schotten da schon ernster.
„Frozen Piss 2“ brettert mit Blastbeats und einem der besten Refrains der Platte los. Dazu ein Gastauftritt von Shiori Sasaki und einige orchestrale Einsprengsel – neben all dem lärmigen Klamauk ist da halt auch viel musikalische Finesse dabei. Und auch die Produktion liefert einmal mehr – transparent, druckvoll, mit Raum für all die stürmischen Riffs, singenden Geigen und virtuosen Keytar-Läufe.
„The Storm“ und vor allem das wieder viel zu pubertär geratene „Mountains of the Deep“ („She’s got giant boobs / Like the mountains of the deep“) bleiben danach leider nur Füllmaterial – erst „Goblins Ahoy!“ lässt wieder aufhorchen. Das Cover ist eine nette, Verneigung vor den Freunden von Nekrogoblikon – ein überdrehter Folk-Metal-Brecher mit rasantem Schunkel-Faktor und krächzenden Screams.
Mega-Supreme Overkill in 17 Minuten
Dass am Ende einer Alestorm-Platte ein Longtrack wartet, ist nichts Neues – aber was die Band hier abliefert, ist ihr bisheriges Magnum Opus.
Mit „Mega-Supreme Treasure of the Eternal Thunderfist“ zünden sie ein über 17-minütiges Piraten-Metal-Epos voller Pathos, Parodie und Spielwitz. Chorale Opulenz, akustische Zwischenspiele, pathetische Power-Metal-Gefechte. Die nicht zum ersten Mal bei Alestorm gastierende Patty Gurdy schafft mit ihrer Drehleier zusätzliche maritime Stimmung, Russell Allen (Symphony X) verleiht dem Finale echtes Power-Metal-Drama.
Zwischenzeitlich könnte man fast denken, man sei bei Rhapsody of Fire gelandet – wenn nicht irgendwo im Hintergrund wieder ein alberner Shanty-Ruf die Szene aufbrechen würde.
Textlich wird der Schatz geborgen, alte Flüche erlöst und das Schicksal des Thunderfist besiegelt. Es ist übertrieben – aber hier treffen Alestorm glücklicherweise mal genau den Sweet Spot zwischen epischer Erzählung und bodenlosem Klamauk.
Ach ja: Spätestens im Closer lässt sich das Melodie-Recycling übrigens wirklich nicht mehr leugnen. Die Grundstruktur von „1741 (The Battle of Cartagena)“ bestimmt einen größeren Teil des Tracks. Nette Hommage? Wohl eher ein Indiz dafür, dass der kreative Horizont der Band erreicht und sie in ihrem selbstgeschaffenen Genre schon so ziemlich alles gemacht haben.
Aber ich bin schon still. Alestorm überraschen mich ja doch immer wieder positiv. Hat eigentlich jemand mein Bananenkostüm gesehen?
Foto: Niek van de Vondervoort / Offizielles Pressebild
Alestorm News
The Thunderfist Chronicles
Künstler: Alestorm
Erscheinungsdatum: 20.06.2025
Genre: Folk, Power Metal
Label: Napalm Records
Medium: Streaming, CD, Vinyl, etc
- Hyperion Omniriff
- Killed to Death by Piracy
- Banana
- Frozen Piss 2
- The Storm
- Mountains of the Deep
- Goblins Ahoy!
- Mega-Supreme Treasure of the Eternal Thunderfist
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