Live

Pop-PunkPost-Hardcore

Live bei: Neck Deep & Static Dress in Köln (22.10.2023)

Musik ist die beste Therapie.

VON AM 28/10/2023

Stellt euch vor, ihr habt einen richtig miesen Tag gehabt. Ihr seid wütend, ihr seid traurig, ihr seid genervt, und selbst der Orange-Ingwer-Minztee im Café Rotkehlchen hat euer Gemüt noch nicht ausreichend besänftigt. Da hilft der Gedanke ungemein, dass man sich wenige Minuten später endlich in der Live Music Hall befinden würde, um ordentlich abzuzappeln. In diesem Fall sogar bei zwei Bands auf ganz unterschiedliche Weise. Denn Neck Deep – die Jünger des generischen Pop-Punks – hatten sich für ihre Tour einen eher untypischen Support eingepackt. So durften die 2000er-Post-Hardcore-Revivalisten von Static Dress heute das Aufwärmprogramm übernehmen.

Static Dress

Die ersten düsteren Klänge der Briten hallten noch in vollständiger Dunkelheit durch die spärlich gefüllte Halle, während lediglich ein paar alte Röhrenfernseher für Licht auf der Bühne sorgten. Mit “disposable care” ging es dann auch schon gleich ordentlich zur Sache und Frontmann Olli Appleyard machte relativ fix klar, dass er an diesem Abend keine Gefangenen machen würde. “F*ck someone up!” brüllte er dem Publikum mehrfach entgegen, um das noch sehr überschaubare Pit-Geschehen weiter anzuheizen. Die Energie, die er und seine Bandkollegen dabei entfachten, ließ sich in jedem Fall sehen und ergab mit dem eher düster gehaltenen Bühnenbild ein rundum sinniges Ganzes.

Static Dress

Static Dress

Static Dress
Fotos im Auftrag von MoreCore.de: Julia Strücker (Julia_Rocknrolla)

Auch wenn sich die Post-Hardcore- und die Pop-Punk-Szene durchaus überschneiden, ließ sich ein wirklich grober Unterschied feststellen, was die Publikumsmenge bei beiden Performances anging. Am Auftreten von Static Dress kann es definitiv nicht gelegen haben, dass sich die Halle nur grob zur Hälfte füllte. Das Quartett gab in ihrer kurzen Spielzeit wirklich alles und feuerte primär die Hits und Brecher ihrer fantastischen Platte “Rouge Carpet Disaster” (2022) raus. Man kann der Band nur die Daumen drücken, dass sie ihren aktuellen Aufstieg weiter fortsetzen und vielleicht im Rahmen von einigen kleineren Clubshows nach Deutschland zurückkehren.

Neck Deep

Neck Deep hatten sichtlich Bock auf den Abend. Mit “Sonderland” und “Low Life” wurde die Pop-Punk-Party eröffnet, zu der sich nun auch endlich die Live Music Hall soweit füllte, dass man an vielen Stellen schon gar nicht mehr so einfach durchkam. Die Waliser hatten zu diesem Zeitpunkt schon eine kleine Odyssee hinter sich, obwohl es sich erst um die zweite Show der Tour handelte. So spielte die Band 3 Tage zuvor in Nijmegen, nur um gleich im Anschluss für eine Hochzeit in die Heimat zurückzukehren. Sänger Ben Barlow offenbarte nach ein paar Songs, dass ihm die Feierlichkeiten noch ordentlich in den Knochen und in der Stimme lagen und er auf die Hilfe des Publikums angewiesen sei.

Neck Deep

Neck Deep

Neck Deep

Neck Deep
Fotos im Auftrag von MoreCore.de: Julia Strücker (Julia_Rocknrolla)

Ehrlich gesagt hatte der sympathische Fronter das aber gar nicht so nötig, da er trotz leichter Heiserkeit eine wunderbare Performance hinlegte, ohne dabei etwas von seiner gewohnten Bewegungsfreude einbüßen zu müssen. Generell zeigte sich die Band sehr agil: Dass sich Gitarrist Matt West bei seiner Tornado-Action keinen Drehwurm einfing, gleicht immer noch einem Wunder. Songtechnisch gab es trotz des klaren Fokus auf “Life’s Not Out To Get You” (2015) von allen Platten etwas auf die Ohren. Ein kleiner, technischer Defekt führte dazu, dass “Kali Ma” kurzerhand in die Zugabe verschoben werden musste, von der Band aber gut überspielt wurde.

Die perfekte Menge an Selbstironie

Generell haben Neck Deep einen guten Sinn für Humor und ein gutes Gespür für ihr Publikum. So schaffen sie es genau im richtigen Maße sich selbst aufs Korn zu nehmen und auch ihre musikalische Einordnung als stereotypische Genreband zu belächeln. So vollendenten sie die Ansage zu ihrer kommenden Platte mit dem Satz: “Don’t worry, it’s gonna be a pop-punk record.” Aber auch in ernsteren Momenten findet Barlow immer wieder den richtigen Tonus, egal ob es um Liebeskummer oder gesellschaftliche Missstände geht. Mit Hits wie “December (again)”, “Motion Sickness” und schlussendlich “In Bloom” entließen uns die Waliser nach 16 Songs sehr beseelt zurück in einen kalten Herbstabend.

Neck Deep

Neck Deep

Neck Deep

Neck Deep
Fotos im Auftrag von MoreCore.de: Julia Strücker (Julia_Rocknrolla)

An Tagen wie diesen kann man sich eigentlich nichts Besseres wünschen als so eine Show. So eigneten sich Static Dress perfekt um – natürlich kontrolliert und nicht auf Kosten anderer Konzertbesucher:innen – ein wenig Dampf abzulassen, während Neck Deep zumindest für kurze Zeit wieder sommerliche und leichtherzige Stimmung verbreiteten. Musik erreicht eine Ebene beim Menschen, die man nicht unbedingt durch lange Gespräche oder das klassische Overthinking in den eigenen vier Wänden erreicht. Egal wie übel euer Tag auch gewesen ist, die richtige Show kann vielleicht Wunder bei der Heilung bewirken. Neck Deep und Static Dress haben mir auf jeden Fall sehr geholfen.

Beitragsbild im Auftrag von MoreCore.de: Julia Strücker (Julia_Rocknrolla)

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