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AlternativePop-PunkPost-Hardcore
Kritik: Boston Manor - "Datura"
Wer in diesem Sommer nichts von Boston Manor mitbekommen hat, hat wohl so ziemlich alle Festivals verschlafen. Denn das Quintett ...
VON
Mauritz Hagemann
AM 10/10/2022
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Wer in diesem Sommer nichts von Boston Manor mitbekommen hat, hat wohl so ziemlich alle Festivals verschlafen. Denn das Quintett aus dem nordenglischen Seebad Blackpool hat unter anderem die Bühnen von Rock am Ring, Rock im Park und beim Nova Rock erobert. Auch als Support für Neck Deep werden sie noch einmal den ein oder anderen neuen Fan in Deutschland hinzugewonnen haben. Wie passend, dass mit „Datura“ jetzt Studioalbum Nummer 4 in den Startlöchern steht. Ein kleiner Wermutstropfen vorab: Das hört sich nach etwas mehr neuer Musik an als es tatsächlich ist. Denn Boston Manor beschränken sich auf „Datura“ auf lediglich sieben Songs.
Ein Boston Manor-Album, das fast noch als EP durchgeht
Gitarrist Mike Cunniff begründet die auffällig geringe Anzahl an Songs damit, dass man als Band zielgerichtet vorgehen wollte. Die EP „Desperate Times, Desperate Pleasure“s sei ein guter Schritt gewesen und man habe in diesem Sinne weitermachen wollen. Zur Wahrheit gehört wohl auch, dass das Konzept „Album“ durch Spotify und Co. mehr und mehr an Bedeutung verloren hat. Auch eine Band von der Größe wie Boston Manor muss schauen, dass sie im Gespräch bleibt. Und das funktioniert mit kleineren, aber dafür auch häufigeren Veröffentlichungen einfach besser als mit einem Albumzyklus von zwei oder drei Jahren. Zur Gegenwart gehört auch der Grundsatz, möglichst viele Singles vorab zu veröffentlichen. Dies führt dazu, dass drei von sieben Songs auf „Datura“ schon vorab veröffentlicht wurden.
Nicht dazu gehört aber der Titeltrack, mit dem das Album startet. „Datura (dusk)“ hält sich musikalisch stark zurück und legt den Fokus ganz auf den wieder einmal überzeugenden Gesang von Henry Cox. Der Song ist aber wohl eher als ausschweifendes Intro gedacht, denn eher monoton und ohne große Ausbrüche leitet er über in „Floodlights In The Square“. Hier geht es dann aber sehr schnell genauso zur Sache, wie wir es von Boston Manor kennen. Der Song überzeugt vor allem durch seine Dynamik und Rhythmik. Diese beiden Punkte sind es auch, die Boston Manor so besonders machen und – vielleicht noch wichtiger – die auch Teil ihrer erfolgreichen Entwicklung weg von Pop-Punk hin zu mehr Alternative Rock waren und sind.
Der logische nächste Schritt
Dass die beiden folgenden Songs – „Foxglove“ und „Passenger“ – bereits als Single ausgekoppelt wurden, überrascht indes nicht. Sie stechen nicht nur durch ihre Eingängigkeit, die man nicht mit Einfältigkeit verwechseln sollte, hervor.
Auch die Lyrics von Henry Cox sind hier ganz besonders zu loben. Er versteht es, ähnlich wie beispielsweise Neck Deep-Sänger Ben Barlow, pointierte und nicht übermäßig komplizierte, aber gleichwohl einzigartige Songtexte zu schreiben und zu singen.
Und das Ganze in einer Sprache, die einerseits nicht zu platt herüberkommt und andererseits auch diejenigen, für die Englisch nicht die Muttersprache ist, nicht überfordert.
Datura: Ein ganzer musikalischer Blumenstrauß
Nach den beiden schon bekannten Songs folgt mit „Crocus“ nicht nur eine weitere wunderschöne Pflanze, sondern auch ein ebenso gefälliger Song. Nicht ganz so eingängig wie „Passenger“, nicht ganz so brachial wie „Floodlights In The Square“, aber dennoch typisch Boston Manor. Die Band hat auf Album Nr.4 ihren Stil gefunden und verfestigt.
Dass „Shelter From The Rain“ dann ein eher belangloses Interlude darstellt, ist spätestens beim letzten Song „Inertia“ vergessen. Ein Song, der über sechs Minuten dauert, ist für Boston Manor schon etwas besonderes. Aber die Band und die Hörer:innen werden für die Ausdauer belohnt.
Die Band zeigt eindrucksvoll, dass sie auch über die übliche Songlänge hinaus Qualität abliefern kann. Der Song ist viel mehr als nur ein Rausschmeißer, auch wenn die Melancholie, die „Inertia“ trägt, das Album perfekt abrundet.
All Killer, No Filler!
Ein paar Songs hätten es auf Datura schon sein können. Doch wie predigten schon Sum 41 vor über 20 Jahren? „All Killer, No Filler“ – das gilt (vielleicht mit Ausnahme des Interludes) auch für Datura.
Boston Manor haben ihren Stil nicht nur gefunden, sondern weiterentwickelt und nahezu perfektioniert. Die Band hat ihren Platz im Alternative-Kosmos gefunden. Und zum Glück spricht nichts dafür, dass sie ihn so schnell wieder räumen wird.
Foto: Theodore Swaddling / Offizielles Pressebild
Boston Manor News
Datura
Künstler: Boston Manor
Erscheinungsdatum: 14.10.2022
Genre: Pop-Punk, Punkrock
Label: Sharptone Records
Medium: CD, Vinyl, etc
- Datura (Dusk)
- Floodlights on the square
- Foxglove
- Passenger
- Crocus
- Shelter from the rain
- Inertia
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