
Review
Indie Melodic Hardcore Post-Hardcore
Kritik: La Dispute - "No One Was Driving The Car"
Dafür werden Alben geschrieben.
VON
Maik Krause
AM 04/09/2025
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“No One Was Driving The Car”: Der Kommentar eines Polizisten zum Unfall eines selbstfahrenden Teslas inspirierte La Dispute zum Titel ihres nunmehr fünften Studioalbums, das sich vielschichtig mit dem Gefühl von Kontrollverlust und Sinnkrisen beschäftigt. Auch das Filmdrama “First Reformed” von Paul Schrader hinterließ großen Eindruck bei Sänger Jordan Dreyer und beeinflusste Inhalt und Struktur der neuen Platte, die sich alles andere als geradlinig in mehreren Akten entfaltet.
La Dispute: Bedrückend und eindrucksvoll
Schon anhand der Veröffentlichung der einzelnen Singles erkannte man im Vorfeld, dass La Dispute gerne einen eigenen Weg gehen und von jeglichen Konventionen abweichen. So gab es nacheinander je drei Singles, die als einzelne Akte funktionieren und so chronologisch bis zum Release des Konzeptalbums beinahe alle Songs offengelegt haben. Wo man andernorts über die Strategie zu viele Singles vorab zu veröffentlichen klagt, ergibt es im Falle von “No One Was Driving The Car” absolut Sinn. Waren die vorherigen Alben je von literarischen Medien (Kurzgeschichten oder Romane) inspiriert, wechselte man für die neue Platte zum Film. Entsprechend fühlte sich diese Art der Veröffentlichung wie eine Miniserie an, deren Folgen man eben nach und nach serviert bekommt.
Musikalisch weichen La Dispute dabei kaum von ihrem bekannten Weg ab und liefern in den insgesamt rund 70 Minuten und 14 Songs einen komplexen Mix aus Spoken Word, Post Hardcore und Indie, der diverse Durchläufe benötigt, um sich inhaltlich zu entfalten. Doch gerade das ist, wie üblich bei La Dispute, eine große Stärke. Songs wie der Opener “I Shaved My Head”, “Steve” oder auch das tanzbare “Man with Hand and Ankles Bound” zünden schon beim ersten Hören und erhöhen damit die Motivation sich der Welt vollends hinzugeben, die Jordan Dreyer und seine Kollegen bereithalten.
Dabei gibt sich die Band sehr ambitioniert und verlangen dem Zuhörenden einiges ab, um wirklich nachzuvollziehen, worum es inhaltlich geht. Fans wissen das Lyric-Sheet bei La Dispute aber ohnehin wie bei kaum einer anderen Band wertzuschätzen. Und auch kaum eine andere Band weiß es, Szenerien so eindringlich und packend zu beschreiben. In “Top-Sellers Banquet” beobachten wir zum Beispiel sehr bildlich, inklusive Kameraeinstellungen, die Ballettaufführung bei einem Bankett einer Marketingfirma mit einem ungewöhnlichen Verlauf. Dazu, wie auch an vielen anderen Stellen des Albums, bauen La Dispute Samples von Audioaufnahmen verschiedener Interviews oder Monologe ein, die in ihrem Heimatort Grand Rapids vor vielen Jahren aufgezeichnet und im Archiv der örtlichen Bibliothek und im eigenen Keller entdeckt wurden. Diese Elemente fügen dem Gesamtsound eine weitere Ebene zu, die sowohl bedrückend als auch eindrucksvoll ist – vor allem mit dem Wissen über deren Herkunft.
„No One Was Driving The Car“ belohnt jeden weiteren Durchlauf
Natürlich verlangen La Dispute einem auch in Sachen Laufzeit einiges ab und tatsächlich funktionieren manche Songs im Album-Kontext weitaus besser als für sich stehend. Nach dem epischen “Environmental Catastrophe Film”, der ohnehin einer der absoluten Highlights des Albums ist und so ziemlich jede Seite der Band zeigt, wird bewusst das Tempo und die Lautstärke rausgenommen. Dabei offenbaren La Dispute ein gutes Gespür für Dynamik, bevor es spätestens bei “Steve” wieder ordentlich zur Sache geht. Gepaart mit den immer wieder auftauchenden Samples, bekommt das Album einen durchgängigen roten Faden, der der Orientierung dienlich ist und die Immersion fördert. “End Times Sermon” endet dann mit einem bedrückenden Monolog über den Zustand der USA (aber sicherlich auch der Welt), bevor das Ende des Tapes, durch entsprechendes Geräusch gestützt, endet. Dass das Album mit dem Einlegen eines solchen beginnt, wird spätestens nach dem direkten zweiten Durchlauf deutlich. Details, die eben entdeckt werden wollen und den Zuhörenden mit jedem Hören belohnen.
Wenn es einen einzigen Makel bei “No One Was Driving The Car” gibt, dann dass die Messlatte in Sachen inhaltlicher Zugänglichkeit relativ hoch angesetzt wird. Selbst mit Zuhilfenahme der Presseinfos zu den einzelnen Akten, wird einem nicht immer klar, was Dreyer genau erzählen möchte. Das ist Fluch und Segen zugleich, denn es macht sicherlich Freude das Werk auseinanderzunehmen. Allerdings birgt es auch die Gefahr, dass manche frustriert aussteigen, was bei einem Konzeptalbum wirklich schade ist. Musikalisch gesehen funktioniert das Ganze aber auch ohne den Kontext, macht aber halt weniger Spaß. Zum Glück bietet die Band unter anderem durch ihre mehrteilige Dokumentation zum Entstehungsprozess des Albums, aber natürlich auch der Film „First Reformed“ genug Material, um tiefer in die Materie einzutauchen.
Foto: Martin Lead / Offizielles Pressebild
No One Was Driving The Car
Künstler: La Dispute
Erscheinungsdatum: 05.09.2025
Genre: Post-Hardcore
Label: Epitaph Records
Medium: Streaming, CD, Vinyl, etc
- I Shaved My Head
- Man with Hands and Ankles Bound
- Autofiction Detail
- Environmental Catastrophe Film
- Self-Portrait Backwards
- The Field
- Sibling Fistfight at Mom's Fiftieth / The Un-sound
- Landlord Calls the Sheriff In
- Steve
- Top-Sellers Banquet
- Saturation Diver
- I Dreamt of a Room with All My Friends I Could Not Get In
- No One Was Driving The Car
- End Times Sermon
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