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Kritik: Blind Channel - "Lifestyles Of The Sick & Dangerous"

Habt ihr sie schon vermisst? Blind Channel melden sich zurück und präsentieren uns (endlich!) ihre neue Platte „Lifestyles Of The ...

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Habt ihr sie schon vermisst? Blind Channel melden sich zurück und präsentieren uns (endlich!) ihre neue Platte „Lifestyles Of The Sick & Dangerous“! Es ist das vierte Studioalbum der Finnen und erscheint am 8. Juli 2022 via Century Media/Sony Music. Fans dürfen sich über elf Tracks freuen, die die Nachfolger des 2020er Kracher „Violent Pop“ darstellen.

Während sich dieser Vorgänger viel mit interpersonellen Konflikten oder Herzschmerz beschäftigte (siehe „Enemies with Benefits“, „Died Enough For You“ oder „Love of Mine“), nehmen uns Blind Channel mit ihrem neuen Output mit auf eine Reise, auf der sie die Abgründe von musikalischem Erfolg und Fame erkunden. Und die sind düster, laut und emotionsgeladen. Wir haben uns das Ganze mal für euch angehört.

So klingt das neue Album „Lifestyles Of The Sick And Dangerous“ von Blind Channel

Los geht die Platte mit „Opinions“. Dass es nicht immer einfach ist, in der Öffentlichkeit zu stehen, muss man vermutlich niemandem mehr erklären. Es ist gerade dann nicht angenehm, wenn jedermanns Augen und Meinungen einen ständig umkreisen. Um genau all diese Meinungen dreht sich der erste Song von „Lifestyles Of The Sick And Dangerous“. Ob in die morgendlichen Nachrichten oder in den Kommentaren unter dem millionenfach aufgerufenem neuen Musikvideo – manche können es einfach nicht lassen, ihre Nase andauernd in die Angelegenheiten der Band zu stecken.

Im Zweifelsfall wissen diese Leute auch prinzipiell alles besser. Dumm gelaufen, denn diese ganzen Meinungen aus allen Richtungen wollen Blind Channel nicht hören; sie machen ihr Ding, und zwar so, wie sie es für richtig halten. Egal, wer was denkt.

Weiter geht’s mit „Dark Side“. Yep, der gute alte ESC-Bekannte. Wer den Song jetzt noch immer nicht gehört hat, hat die letzten zwei Jahre vermutlich etwas verschlafen. Müssen wir zu ihm überhaupt noch groß was sagen? Die fast 60 Millionen Spotify-Streams sprechen hier eigentlich für sich.

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Auch die nächsten Einspieler sind Fans bereits bekannt. „Don’t Fix Me“ und „Bad Idea“ wurden beide bereits als Singles mit dazugehörigem Musikvideo veröffentlicht. Mir persönlich kamen sie zugegeben ein klein wenig „fehl am Platz“ vor. Nicht falsch verstehen, es handelt sich keinesfalls um schlechte Songs, im Gegenteil. Sie sind sogar wirklich gut. Dieses bestimmte Etwas und die grundlegende Stimmung, die der Rest des Albums bei mir ausgelöst hat, habe ich hier aber leider trotzdem etwas vermisst. Persönlich hätte ich die zwei wahrscheinlich eher auf „Violent Pop“, anstatt auf der neuen Platte gesehen. Absolut positiv hervorzuheben ist an dieser Stelle allerdings das Video zu „Bad Idea“.

“Roses are dead, violets are doomed” – weiter geht’s mit ein paar poetischen Strophen und „Alive Or Only Burning“. Das Musikbusiness ist eine Branche, in der man früher oder später lernt, zu funktionieren. Unabhängig vom eigenen Innenleben. Wie es dort wirklich aussieht, das wissen oft nur die wenigsten. Instrumental laut und aggressiv demonstriert „Alive Or Only Burning“ sehr schön die Wut und Frustration, die sich angestaut hat und kombiniert sie mit einer rauen Verwundbarkeit in Lyrics und Vocals. Es ist nicht alles Gold, was glänzt, aber es muss trotzdem weitergemacht werden. Der Track reiht sich ganz vorne ein im Rennen um den Preis „Bester Song des Albums“ und hat großes Potential, sich zu einem Fan-Favoriten zu entwickeln.

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„Balboa“ ist als nächstes dran! Schon durchs Hören als Single bekannt? Gut, dann lässt er sich ja kurz und knapp zusammenfassen: Was dich nicht umbringt, macht dich bekanntlich stärker. Das haben die Finnen schon einige Male bewiesen. Die jungen Musiker stehen trotz ihres Durchbruchs wahrscheinlich noch sehr weit am Anfang ihrer Reise. Durch diesen haben sie wohl eher nur Blut geleckt und haben Hunger auf mehr. Blind Channel bringt so schnell nichts um.

Mit „National Heroes“ bekommen wir als nächstes ein sehr interessantes Interlude zu hören. „You are National Heroes – you’re everybody’s property“. Blind Channel sind die finnischen Wunderkinder, die aktuell den Stolz und wahrscheinlich auch die musikalischen Erwartungen des vermutlich ganzen Landes auf ihren Schultern tragen. Sie werden als Helden und Idole bezeichnet, das sogar über die Landesgrenze hinaus. Sich selbst sehen die Jungs allerdings nicht als solche an. „We are no saints“ heißt es im absolut gelungenen Übergang zurück in die Songs der Albumreise. Auch dieser Titel ist uns zwar bereits durch Single-Release bekannt, hört man aber zuvor dieser doch emotionslos klingende Roboter-Stimme im „National Heroes“ Interlude zu, übermittelt „WE ARE NO SAINTS“ noch einmal einen ganz neuen Effekt. Schwer zu beschreiben, muss man sich selbst anhören. Dann wisst ihr, was gemeint ist.

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Während manche Alben in ihrer zweiten Hälfte in ihrer Qualität etwas nachlassen, scheint „Lifestyles Of The Sick & Dangerous“ ab hier erst so richtig Fahrt aufzunehmen. Auf „Autopsy“ sickern die Hip-Hop/Rap Inspirationen der Band stärker durch. Der Song greift die zuvor angesprochene Verwundbarkeit noch einmal auf und überzeugt vor allem durch seine genialen Lyrics. Mein persönlicher Liebling der Platte, der bei jedem Mal Anhören sogar nochmal ein klein wenig besser wird. Ich weiß nicht so ganz, wieso, aber irgendwie hat mich die Thematik des Songs sofort an „Avalanche“ von Bring Me The Horizon denken lassen.

Genug entspanntere Töne, seid ihr noch dabei? Wenn nicht weckt euch „Glory For The Greedy“ mit einem Knall ganz schnell wieder auf. In seinen Strophen quasi wie eine Art Dialog zwischen Frontmann Niko und (vermutlich) einem Label-Vertreter aufgebaut, erzählt dieser Track die Reise Blind Channels nach oben aus dem Blickwinkel hinter den Kulissen. Hat in ihren Anfangszeiten keiner so ganz an sie geglaubt, scheinen auf einmal alle von Beginn an ihre größten Fans gewesen zu sein. Jetzt, wo die Gruppe um Sänger Joel Hokka Erfolg zu verzeichnen hat, waren sie doch immer schon ihre größten Supporter – deswegen haben sie nun auch ein Stück vom Kuchen verdient, oder? Nicht ganz. „There is no glory for the greedy“!

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Die Band schon immer unterstützt? Eher weniger, man habe sie verändern wollen. „You were saying ditch the rapper – ditch the rapper?“ Bekommt hier noch jemand ein kleines Linkin Park Déjà-vu? An die, die sich erinnern: Laut ihrem Management sollten Linkin Park damals auch lieber auf ihren Rapper verzichten (Mike Shinoda erzählte diese Geschichte damals im Song „Get Me Gone“ seines Soloprojektes Fort Minor). Den Vergleich zu den Nu Metal-Legenden erhalten Blind Channel tatsächlich immer wieder. Es ist zwar jedem selbst überlassen, was man davon hält, aus meiner Sicht sucht man, besonderes auf der neuen Platte, diese Ähnlichkeit aber ziemlich vergeblich.

Die, die die Band vielleicht schon etwas länger verfolgen, wissen: die Jungs sind tatsächlich schon eine Weile dabei. Ihre erste EP erschien 2014, das Debütalbum 2016. Also nicht ganz so Erfolg über Nacht. „Took eight years to become an overnight success” heißt es auf „Thank You For The Pain“. Acht Jahre gefüllt mit Blut, Schweiß, Tränen und Rückschlägen, die sie letzten Endes stärker gemacht haben. Für diese Zeit und diesen Schmerz sagen sie auf dem letzten Song des Albums auf ihre eigene Art „Danke“.

Gegen Ende des fast 6-minütigen Songs hört man, wie sich die Band auf Finnisch unterhält und der Track, beziehungsweise das Album, endet in einem Monolog von Sänger Joel Hokka in seiner Muttersprache. Frei übersetzt sagt er unter anderem: „Violent Pop hat als eine Art Witz angefangen, aber dann wurde es ein Markenzeichen und eine einzigartige Art, unseren Sound zu beschreiben. Für so viele Jahre haben wir hierfür gekämpft und es fühlt sich surreal an, dass wir es geschafft haben. Das ist genau das, was wir machen wollen. (…) Auch, wenn das Spaß macht, nehmen wir es alles sehr ernst. Der beste Beweis dafür sind die Leute, die uns hassen.

Foto: Kiril Kainulainen / Offizielles Pressebild

ALBUM
Lifestyles Of The Sick & Dangerous
Künstler: Blind Channel

Erscheinungsdatum: 08.07.2022
Genre: , ,
Label: Century Media
Medium: CD, Vinyl, etc

Tracklist:
  1. Opinions
  2. Dark Side
  3. Don't Fix Me
  4. Bad Idea (Alternate Mix)
  5. Alive Or Only Burning
  6. Balboa
  7. National Heroes
  8. We Are No Saints
  9. Autopsy
  10. Glory For The Greedy
  11. Thank You For The Pain
Blind Channel
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FAZIT
Nach dem ESC und langen, ausgiebigen Touren haben sich die Fans in erster Linie eines gewünscht: Neues Material. Und das wurde mit Bravour geliefert. Mit dem Vorgänger "Violent Pop" hatten Blind Channel endgültig ihren ganz eigenen Stil und besonderen Wiedererkennungswert gefunden, den sie auf "Lifestyles Of The Sick & Dangerous" weiterführen. Sie erzählen uns ihre persönlichen Erlebnisse und Geschichten auf ihrem Weg nach oben. Statt wilden Aftershow-Parties und Champagner geben sie uns dabei aber Einblicke auf die „Dark Side“ des Erfolgs. "Lifestyles Of The Sick & Dangerous" ist düster, wütend und voller Emotionen. Aber bringt gleichzeitig auch eine sanfte Verletzlichkeit mit sich und ist dabei vor allem eines: durch und durch ehrlicher Violent Pop!