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Kritik: Alligatoah - "OFF"
Rock und Metal sind für den Mainstream gestorben! So schallte es in unterschiedlichen Ecken der Musikwelt. Das könnte man so ...
VON
Kevin Postir
AM 18/03/2024
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Rock und Metal sind für den Mainstream gestorben! So schallte es in unterschiedlichen Ecken der Musikwelt. Das könnte man so lange glauben, bis es Künstler:innen gibt, die schlichtweg etwas anders machen. So auch Alligatoah, der am 22. März 2024 sein neues Album „off“ auf die Welt schickt und damit die härtere Gitarrenmusik wieder auf’s Tableau bringen möchte. Ob ihm das gelingt, das erfahrt ihr in unserer Rezension.
Um es von Beginn an vorweg zu nehmen: Ja, Alligatoah liefert mit „off“ ein vollumfängliches Metal-Album, welches ausgesprochen gut funktioniert. Hierfür blickt der Musiker mit einer Vogelperspektive auf die Welt und ihre Bevölkerung. Oder sollte man vielmehr sagen, dass es eine Astronauten-Perspektive ist? Denn vor dem Announcement des neuen Longplayers, meldete sich der aus Niedersachsen stammende Musiker von der Welt ab.
Alligatoah mit messerscharfer Gesellschaftskritik
Die suggerierte Außensicht macht sich auch in den Texten auf „off“ bemerkbar. So spricht sich Alligatoah in „KÜSSEN“ für freie Liebe aus und unterstützt die öffentliche Darstellung von Gefühlen, unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder anderen Merkmalen. Das Ganze im Intro unterlegt mit einem beinahe djentigen Riff, Strophen, die äußerst bassig klingen und durch einen Trap-Beat abgerundet werden und einem epochalen, breit produzierten Refrain, welcher starke Hymnen-Elemente aufweist.
„Es kratzt“ stellt wahrscheinlich den roughsten Song eines sonst eher klaren und aufpolierten Albums dar. Die Vielseitigkeit des punkig-wilden Stücks erinnert dabei an musikalische Stücke von System Of A Down. Durch die Verwendung eines rhythmischen Hustens im Song, der Hypochondrie und das Googeln von Krankheiten auf die Schippe nimmt, beweist Alligatoah sowohl Humor als auch künstleriches Feingefühl, welches auf bereits vergangenen Alben deutlich wurde.
Mit „ICH ICH ICH“ wird auf „off“ gleich ein dritter Song geboten, der gesellschaftliche Eigenarten und Beobachten fein säuberlich filetiert. Inhaltlich beschreibt das Stück eine Pseudo-Bescheidenheit, die lediglich auf Grund egoistischer Ziele basiert. Musikalisch weist der Track textfokussierte Strophen auf, bei denen die Musik eher einen untermalenden Charakter besitzt. Die refrainartigen Parts entzaubern das Stück allerdings, da sie die ursprüngliche Stimmung zerstören. Dies kann als Stilmittel gesehen werden, wirkt beim Hören hingegen eher strapazierend. Spannend ist, dass auf diesem Song niemand Geringeres als Mille Petrozza (Kreator) an der Gitarre unterstützt und das Solo einspielte.
Nu Metal is back!
Der ein oder die andere haben es vielleicht schon mitbekommen: Seit einigen Jahren bereits erfährt der Nu Metal ein spürbares Revival. Auch auf „off“ findet das Genre seine Unterstützung. „Niemand“ versprüht ab der ersten Sekunde einen Nu Metal-Sound, der besonders düster erscheint und unter die Haut geht. Dabei gestaltet sich der Track insgesamt perfekt für eine Live-Darbietung und heizt besonders für die ein oder andere Wall Of Death ein. Einzig und allein die verwendeten Claps, welche für einen Spannungsbogen sorgen sollen, wirken etwas plump und fehlplatziert.
Der Song, der bereits vor Veröffentlichung für eine ganze Menge Aufsehen gesorgt hat, ist „So raus“. Darauf enthalten ein Feature mit niemand Geringerem als Nu Metal-Ikone Fred Durst (Limp Bizkit). Auffallend ist, dass auch die Parts, die von Alligatoah gesungen werden, dem charakteristischen Sound von Durst folgen. Dies ist besonders dann zu bemerken, wenn die Stimme zu Beginn eines Wortes hochgepitcht klingt.
An diesem Beispiel bemerkt man einen wichtigen Punkt. „off“ ist keinesfalls der Versuch einer Parodie oder dem Folgen eines Trends. Alligatoah zeigt eine tiefsitzende Leidenschaft für härtere Musikrichtungen. Deutlich wird dies in der angesprochenen Detailverliebtheit, aber auch in den unterschiedlichen Gesangsarten, wie auf „Ich fühle dich“ oder „Daylight“ zu hören. Von Rap über gesprochene Worte ohne viel Melodie bis hin zu Schreien und Shouts liefert dieses Album eine ganze Menge und kann wie ein musikalischer Liebesbrief an den Metal verstanden werden. Auch wenn die Kunstfigur Alligatoah insgesamt stets eine gewisse Distanz hielt, so wirkt „off“ erstaunlich nah und persönlich, reflektiert und beschreibend.
Weitere Features, die einfach passen
„Weiße Zähne“ veranschaulicht die Skepsis gegenüber Menschen, die durch ihr scheinbar perfektes und dennoch eintöniges Auftreten auffallen. Rapper Bausa erhält auf diesem Song einen Gastauftritt. Auffallend ist, dass der Musiker, der sonst durch den starken Einsatz von Autotune einen markanten Sound besitzt, bei diesem Stück darauf verzichtet. Dadurch wirkt der Gesang deutlich harmonischer, natürlicher, die beiden Sänger ähneln sich durch ihre Klangfarbe allerdings verstärkt, wodurch die gesangliche Vielseitigkeit, die ein Feature bieten kann, leidet.
Mit „Menschliches Versagen“ liefert sich Alligatoah eine abwechselnde Gesangsdarbietung mit Guano Apes-Fronterin Sandra Nasić. Dabei beginnt das Stück anfänglich eher ruhig, entwickelt sich im Verlauf jedoch zu einem kunstvoll klingenden Rock-Song, der sich sehen lassen kann.
Durch die Kooperation mit Tarek K.I.Z. auf „Partners in crime“ arrangieren sich zwei Größen des alternativen Raps. Ähnlich wie in „So raus“ scheint es, als würde Alligatoah sich den gesanglichen Grundzügen seines Partners ein Stück weit anpassen. In „Partners in crime“ sind es besonders die morbiden lyrischen Bilder, die man bereits aus zahlreichen K.I.Z.-Tracks kennt, welche nun auch auf „off“ stattfinden. Damit liefert das Album neben dem No Angels-Cover des Songs „Daylight“ zum Ende hin ein starkes Ohrwurm-Potenzial, welches darüber hinaus unter die Haut geht.
Foto im Auftrag von MoreCore.de: Kirsten Otto (Kirsten Otto)
off
Künstler: Alligatoah
Erscheinungsdatum: 22.03.2024
Genre: Crossover, Rap, Rock
Label: Alligatoah / Groove Attack
Medium: CD, Vinyl, etc
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