
Review
Punkrock
Kritik: Propagandhi - „At Peace“
Genau das aufrüttelnde Statement, das 2025 braucht.
VON
Tobias Tißen
AM 27/04/2025
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Als mit „Victory Lap“ das bisher letzte Album von Propagandhi erschien, befand sich Donald Trump gerade in seiner ersten Amtszeit als US-Präsident. Und wir fragten uns: Kann es noch schlimmer kommen?
Tja, eine weltweite Pandemie später tobt seit mehr als drei Jahren Krieg in Europa, ist der Israel-Palästina-Konflikt endgültig ausgeartet und Donald Trump wurde von den US-Wählern tatsächlich ein zweites Mal zum mächtigsten Mann der Welt erhoben. Die acht Jahre seit der letzten Propagandhi-Platte wirken im Rückblick wie eine unendliche und fast schon zu unglaubwürdige Folge „Black Mirror“.
Es gibt viel zu erzählen für die Punk-Aktivisten aus Kanada, die sich seit ihrer Gründung 1986 mit beeindruckender Vehemenz für Themen wie Antifaschismus, Tierschutz, Feminismus, Kapitalismuskritik oder Umweltpolitik einsetzen.
Aber: Trotz der Lage unserer Welt ist „At Peace“ kein lautes politisches Manifest geworden. Es ist das introspektivste Album der Band. Ein Album, das erzählt, wie sich die äußeren Umstände auf das Innere auswirken; wie man in dieser Zeit at peace sein kann. Oder eben nicht – denn im Titel schwingt natürlich ein bitterer Sarkasmus mit, wie Frontmann Chris Hannah uns im Interview verrät.
Weniger Wut, mehr Wucht
Aber nicht nur lyrisch, auch im Sound geht „At Peace“ nicht mehr so straight geradeaus wie die Skatepunk-Alben der 1990er, als Propagandhi mit Vollgas durch Songs wie „Anti-Manifesto“ oder „Resisting Tyrannical Government“ pflügten.
Schon auf „Supporting Caste“ oder „Failed States“ öffneten sie ihren Sound deutlich – technischer, schwerer, sperriger. Aber das ist jetzt nochmal ein anderer Schritt: weniger Attacke, mehr Druck. Mehr Heavy als Thrash. Mehr Durchatmen als Ausrasten – und genau darin liegt die Härte von „At Peace“.
Das offenbart direkt „Guiding Lights“: Der Opener baut sich bedrohlich schleppend auf und walzt sich langsam, stellenweise fast doomig, aber unaufhaltsam ins Ohr. Die Musik spiegelt die Erzählung – von einer Gesellschaft, die nicht plötzlich explodiert, sondern Stück für Stück in Fanatismus abrutscht. Kein Knall, kein Chaos, sondern langsame, kollektive Verrohung.
„Cafés bustling, the streets alive, embracing terror – the spinning fire“, singt Chris Hannah – und zeigt damit, wie normal das alles geworden ist. Wie Terror kein Schock mehr ist, sondern Teil des Alltags.
„At Peace“ – oder eben nicht
Der als erste Single ausgekoppelte Titeltrack ist einer der stärksten Songs auf der Platte – persönlich, bissig, klar auf den Punkt. Chris Hannah rechnet darin erstmal gnadenlos mit denen ab, die sich lieber wegducken, anpassen, schweigen: „Hedge every bet. Lick every boot … Prostrate yourself to the killing machine …“
Danach wird’s privater: Hannah erzählt, wie er gelernt hat, mit allem alleine klarzukommen – nicht weil er’s wollte, sondern weil es oft nicht anders ging. „I’ve had to figure shit out my whole life by myself.“ Das klingt nicht stolz, sondern müde.
Die Musik hält sich bewusst zurück: Ein treibendes Riff, klarer Aufbau, kein großes Drama. Ein großes Plus ist hier – wie in allen 13 Songs – die klare, auf das Wesentliche reduzierte Produktion. Authentizität statt Effekthascherei ist die Devise.
Der Song klingt zugänglich, ohne sich anzubiedern. Und er endet mit einer Zeile, die hängen bleibt: „Gotta kick at the darkness until it bleeds daylight.“ Keine billige Hoffnung – aber ein Grund, weiterzumachen.
Lachen, wenn alles brennt
Trotz der erdrückenden Themen beweisen Propagandhi, dass Humor manchmal die letzte Möglichkeit ist, nicht völlig durchzudrehen – etwas, das die Band seit jeher auszeichnet.
Bestes Beispiel: „Cat Guy“. Mit der skurrilen Frage „If baby Hitler and your family dog were both found drowning in a lake …“ eröffnen Propagandhi eine absurde, aber tiefgründige moralische Zwickmühle. Was folgt, ist musikalisch zunächst simpel – die Instrumentierung stützt den inneren Monolog. Erst zum Ende hin explodieren Gitarren und Drums zunehmend chaotisch, thrashig.
Auf „Stargazing“ wagen Propagandhi sich in musikalisch überraschende Gefilde vor. Die langgezogenen Vocals von Hannah und dramatische Synth-Flächen im Refrain erzeugen eine fast sehnsuchtsvolle Atmosphäre. Zwar wartet man hier vergeblich auf den großen Ausbruch, doch gerade dadurch wird die innere Spannung der Platte weiter erhöht. Ein weiterer Song, der nicht unbedingt im Ohr bleibt, aber auf emotionaler Ebene lange nachwirkt.
(New) Wave of Canadian Political Punk-Metal
Ein weiteres Beispiel für den bitteren Sarkasmus auf „At Peace“ ist „Prismatic Spray (The Tinder Date“). Propagandhi erzählen von einem Tinder-Date in Disneyland, das jäh von einem nuklearen Angriff unterbrochen wird: „A mushroom cloud appears above the Matterhorn.“ Ärgerlich!
Der Track beginnt mit dröhnenden Sirenen und einem Riff, auf das NWOBHM-Heroen wie Judas Priest und Iron Maiden stolz wären. Erst wenn Chris Hannahs markante Stimme einsetzt, wird klar, wer hier spielt.
Von Mussolini zu Trump – unausweichlich Faschismus?
Mit deutlich mehr bitterem Zynismus („My only remaining goal was to leave this world without actually killing someone“) als dunklem Sarkasmus wird es in „Benito’s Earlier Work“ endgültig bedrückend.
Der Song zeichnet die Wandlung Mussolinis vom systemkritischen Denker zum grotesken Faschisten nach – und fragt, ob dieser Weg nicht zwangsläufig ist, sobald man Zugang zu Machtstrukturen erhält. Hannah selbst bringt es in unserem Interview auf den Punkt: „Vielleicht führt unsere Zivilisation zwangsläufig in den Faschismus.“ Eine der zentralen Fragen von „At Peace“.
Musikalisch hält sich der Track im Hintergrund – keine Dramatik, keine Hooks. Stattdessen legt sich die Instrumentierung wie ein bleierner Schleier über den Song. Alles ist darauf ausgelegt, dem Text Raum zu geben.
Ein kurzer Ausbruch vor dem Ende
„Vampires Are Real“ kommt einem klassischen Propagandhi-Track am nähesten: Punkig, schnell, mit fettem Bass-Intro und einer guten Portion Rotz. Gerade durch seine Platzierung im hinteren Drittel der Platte wirkt der Track wie eine kathartische Entladung, ein kurzes Ventil für die angestaute Wut und Frustration.
Zum Abschluss der Platte kehren Propagandhi aber wieder zurück zu dem Sound, der den größten Teil von „At Peace“ ausmacht: Mehr Metal als Punk; mehr Heavy Metal als Thrash Metal; mehr hypnotische Eindringlichkeit als Tempo.
Der Closer „Something Needs To Die But Maybe It’s Not You“ schmeißt uns immerhin mit einer einigermaßen versöhnlichen Botschaft raus, die nochmal zurückführt zu einer der zentralen Fragen der Platte: Ob unsere Gesellschaft zwangsläufig in den Faschismus kippt.
„Creation don’t make no trash“ – niemand wird schlecht geboren. Kein wirklicher Trost, aber immerhin ein Gedanke, an den man sich klammern kann, wenn alles andere aussichtslos scheint.
Foto: Larson Decker / Offizielles Pressebild
At Peace
Künstler: Propagandhi
Erscheinungsdatum: 02.05.2025
Genre: Heavy Metal, Punkrock
Label: Epitaph
Medium: Streaming, CD, Vinyl, etc
- At Peace
- Prismatic Spray (The Tinder Date)
- Rented P.A.
- Guiding Lights
- Cat Guy
- No Longer Yound
- Stargazing
- God Of Avarice
- Benito’s Earlier Work
- Vampire Are Real
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