Review

Progressive

Kritik: Leprous - "Pitfalls"

Es gibt nur wenige Prog Bands, die sich in den letzten Jahren so erfolgreich nach oben gespielt haben wie Leprous. ...

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Es gibt nur wenige Prog Bands, die sich in den letzten Jahren so erfolgreich nach oben gespielt haben wie Leprous. Mit dem 2017 veröffentlichten Album „Malina“ heuerten die Norweger den kanadischen Cellisten Raphael Weinroth-Browne an, der den Sound des Albums maßgeblich prägte. Es folgten Touren mit ihm als Gastmusiker und irgendwie schien es, als sei der Kanadier Teil der Band geworden. Einzig Festivalshows wurden zum Teil, mutmaßlich aus finanziellen Gründen, ohne ihn gespielt. Auch auf „Pitfalls“ ist Raphael Weinroth-Browne fester Bestandteil, der nicht nur als additionales Instrument, sondern wirklich als Teil der Band agiert.

„Below“ eröffnet das Album mit gespenstisch anmutenden Synthesizern, die ein Gefühl der Tranquille und Düsternis mit sich bringen. Einar Solbergs Gesang fügt sich dem traurigen Spiel geschickt. „Below“ passt bestens in den anbrechenden Herbst und klingt wie eine vernebelte Wiese im Morgengrauen. Auch die Single-Auskopplung des Tracks bot sich aufgrund der eingängigen Struktur an. Außerdem greift „Below“ die Bedrückung und die Sentimentalität, die die Musik von Leprous innehat, perfekt auf. Diese fast schon traurig-anmutende Musik wird durch den Einsatz des Cellos und das sehr getragene Tempo untermalt, baut sich jedoch im Verlauf des Songs mit rhythmischen Details auf.

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„I Lose Hope“ und “By My Throne” bringen etwas ganz Neues in die Musik von Leprous, die oft so schwer wie „Below“ ist. Während der erste der beiden Tracks mit einem „quirky“ Drum’n’Bass Feel startet und sich als wahrer Spagat inzwischen Groove und Funk entpuppt, ist „By My Throne“ ein nicht minder grooviger Progtrack, der von Drums und Gitarre getragen werden. Während die Gitarre den komplexen Rhythmus übernimmt, ist es das Schlagzeug, das mit klarer und simpler Zählzeit die Komplexität entzerrt. Die Melodielinien werden zumeist vom Gesang oder dem Cello getragen, während die restlichen Instrumente meist den rhythmischen und akkordischen Background gestalten.

Der Refrain von „I Lose Hope“ ist mit Sicherheit einer der groovigsten und eingängigsten Refrains, die Leprous bisher je geschrieben haben. Aber ähnliche Worte könnte man auch über „By My Throne“ verlieren, der sich noch viel mehr auf die Vokalakrobatik konzentriert und mit vielen „Hey hey“ und „yeaheyeaheyeaheyeah“ Vokalisen ausgeschmückt ist. Auch die bisherigen Leprous-Alben lebten teils sehr von den „ah“-Vokalisen, die Einar Solberg mit Perfektion einzusetzen weiß. Im Pre-Chorus von „By My Throne“ erinnert der Gesang jedoch stellenweise sogar an Serj Tankian, was nicht zuletzt an der Benutzung der orientalischen Skalen liegt. Generell legt Solberg seinen Text unkonventionell auf das rhythmische Grundkonstrukt und experimentiert mehr als zuvor mit seiner Phrasierung, die Teils konträr zu der Phrasierung des Cellos arbeitet.

Als „Alleviate“ veröffentlicht wurde, gab es Kommentare dazu, dass es sich hier um Norwegens ESC-Teilnehmer handeln könnte. Tatsächlich war „Alleviate“ ein erster Hinweis darauf, wie poppig „Pitfalls“ wird. Fast schon kitschig legt sich ein Trommelwirbel in den Pre-Chorus der neben Synthesizern und Gesang nur durch etwas Cellospiel ergänzt wird. Auch die pizzicato Momente des Cellos wirken poppig und erinnern unweigerlich an den Fool’s Garden-Hit „Lemon Tree“. Das große Finale im letzten Refrain des Songs entlockt Einar Solberg die höchsten Töne, die man auf „Pitfalls“ zu hören bekommt. Wenn Norwegen Leprous wirklich zum ESC schicken würden, gäbe es von unserer Seite aus ganz klar 12 Punkte von Deutschland, zumindest aus meiner bescheidenen Sicht, denn auch wenn „Alleviate“ Pop ist, ist es ein wunderschön geschriebener Song, der „catchy“, experimentell und eigen klingt, ohne sich dabei etwas aufzuzwingen.

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„At The Bottom“ erscheint ähnlich träge und unaufregend wie „Observe The Train“ und ist eher wenig spektakulär. Ein Cellosolo sorgt für einen durchaus hörenswerten Part, der sich zu einem groovigen Finale aufbaut und „At The Bottom“ letztendlich nach langem Aufbau doch noch spannend werden lässt. Angenehm ist auch, dass sich der Gesang über weite Strecken erstmal zurückhält und Platz für die Instrumente lässt.

Der Beginn von „Distant Bells“ lässt sich fast schon als Anlehnung an die Neo-Klassik verstehen. Mit einem repetitiven Es beginnend, baut sich der Song mit Pianoklimpereien und dem puristischen Gesang auf. Ein ruhiger Gegenpol, der schnell von der warmen Atmosphäre des Cellos unterstrichen wird, aber dennoch verdammt kalt wirkt. „Distant Bells“ ist auch der Ursprung des Albumtitels, der sich direkt am Anfang versteckt. Es dauert drei Minuten, bis sich „Distant Bells“ in ein Kammermusik-Stück entwickelt, das durch elektronisch erzeugte Beats und Schlagzeug ergänzt wird und so den schmalen Grat zwischen Iamthemorning und Nils Frahm meistert. Erst gegen Ende werden die Gitarren, ebenfalls in fortlaufender Repetition gespinnt, hörbar und bauen den Track weiterhin zu einem sehr experimentellen Hörereignis auf, bis am Ende dann ein überraschend eingängiger Chorus über den vorherigen fünfeinhalb Minuten triumphiert.

„Pitfalls“ beinhaltet kaum noch Metal-Elemente. Die Momente, in denen Leprous noch hart sind, wirken dafür umso einschlägiger, wie es sich etwa am Ende des Albums abzeichnet. Der Break, der „The Sky Is Red“ beendet, baut sich über drei Minuten auf, variiert nicht, bekommt aber Zuwachs im Sinne einer wirklich bombastischen Orchestrierung. Anfangs sind es nur krächzende Geigenbogen auf dem Cello, es folgen Chöre, die die Akzente des Breaks so episch gestalten, dass man das Gefühl hat, den härtesten Leprous-Track aller Zeiten zu hören. Insgesamt lässt sich „The Sky Is Red“ wohl als Metal-lastigster Track des Albums bezeichnen. Die satten 11 Minuten werden mit einem fast schon zu langen Prepare für den Break ausgedehnt.

Foto: Leprous / Offizielles Pressebild

ALBUM
Pitfalls
Künstler: Leprous

Erscheinungsdatum: 25.10.2019
Genre:
Label: Inside Out Music
Medium: CD, Vinyl

Tracklist:
  1. Below
  2. I Lose Hope
  3. Observe The Train
  4. By My Throne
  5. Alleviate
  6. At The Bottom
  7. Distant Bells
  8. Foreigner
  9. The Sky Is Red
Leprous Pitfalls
Leprous Pitfalls
7
FAZIT
Wie auch die vorherigen Alben lebt „Pitfalls“ primär vom Tenor Einar Solbergs. Es benötigt sicher eine gewisse Hörerfahrung und auch das Wohlgefallen an wirklich hohem Männergesang, um mit Leprous und auch mit dem neuen Album „Pitfalls“ warm zu werden. Wer nach „Malina“ gehofft hat, dass die Norweger wieder härter werden, wird auf gewisse Art und Weise enttäuscht.

„Pitfalls“ ist keineswegs ein Metalalbum und auch als Rockalbum ist es nicht wirklich treffend beschrieben. Stattdessen mäandern Leprous zwischen Indie Synth Pop, Art Rock und jeder Menge Pathos, der sich in fast jedem Refrain, den Einar Solberg singt, widerspiegelt.

Neben einigen wirklich guten Tracks finden sich eben auch solche, die eher als Mittelmaß zu werten sind. Dennoch beinhalten alle Songs die gewohnten Trademarks der Band und zeigen eine neue (poppige) Seite, die auf ganz eigene Art zu begeistern weiß.