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Interview

Van Holzen im Interview: „Wir machen die Musik, die uns auf dem Markt fehlt“

Sänger Florian Kiesling über das neue Album, Happy Songs und die bevorstehende Tour.

VON AM 24/11/2021

Vor gut einer Woche veröffentlichten die Alternative-Rocker Van Holzen aus Ulm, ihr drittes Studioalbum „Aus der Ferne“. Wir haben die Gunst der Stunde genutzt, um mit Sänger Florian Kiesling über die neue Platte zu sprechen.

Florian Kiesling von Van Holzen im Interview

Kathrin | MC: Hey Flo herzlichen Glückwunsch zum neuen Album in diesen ungewöhnlichen Zeiten. Hatte die Pandemie auch auf euer Album einen Einfluss?

Flo: Das hatte auf jeden Fall einen Einfluss. Also ich glaube, wir hätten früher schon Musik rausgebracht. Wir haben schon sehr lange gewartet, weil wir dachten, „Okay, warum sollen wir jetzt gerade ein Album mitten in der Pandemie rausbringen, wenn nicht klar ist, wann wir jemals wieder live spielen können?“

Und das hat dem Album und uns als Band richtig gutgetan. Nach zwei Alben, der EP und dem Abi haben wir nur Musik gemacht. Da war es gut, mal Zeit zu haben und nicht immer alle zwei Jahre ein Album rausbringen zu müssen. Dass es jetzt dann doch geklappt hat, ist cool, aber es war einfach ein super entspannter Albumprozess, weil niemand auf irgendeine Platte gewartet hat, weil niemand wusste, wann man wieder touren kann.

Kathrin | MC: Hatten die aktuellen Umstände auch Einflüsse auf die Themen, die ihr auf „Aus der Ferne“ ansprecht?

Flo: Auf jeden Fall, also das hat man auch schon so ein bisschen innerhalb der Band bei „Regen“ gemerkt, dass es in eine andere Richtung geht und dass wir uns thematisch so ein bisschen weiterentwickeln möchten. Wir wollten kein Corona-Album schreiben, wo es dann nur darum geht, wie es ist, Zuhause zu sitzen und Querdenkern zuzuhören, aber wir hatten einfach sehr viel Zeit zu reflektieren und uns Gedanken zu machen: „Wie möchten wir eigentlich in Zukunft leben? Was machen wir überhaupt, wenn so ein winziges Virus die ganze Welt lahmlegen kann?“

Ich finde, dass diese ganze Pandemie in den letzten zwei Jahren super viele Missstände auf der Welt aufgedeckt, verstärkt und gezeigt haben und das hat auf jeden Fall ordentlich in die Texte und die Musik eingespielt. Man hatte einfach sehr viel zum Nachdenken und zum Schreiben. Und musikalisch, eben auch dadurch, dass wir so viel Zeit hatten, konnten wir uns sehr viel mit anderer Musik beschäftigen.

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Kathrin | MC: Worum geht es in eurem neuen Album?

Flo: Also so ganz allgemein könnte man sagen, es geht darum, wie es ist, diese Missstände, von denen ich vorhin gesprochen habe und alles was auf der Welt so schief läuft aus einer sehr privilegierten Sicht zu sehen. Deshalb auch dieses Cover mit dem alten Mann am Fenster. Wir haben uns schon während Corona teilweise so gefühlt, dass wir nach außen in die Welt gucken, in den Abgrund. Und hier in Deutschland ist es zumindest noch einigermaßen ok. Vor allem hier auf dem Land, wir haben hier sehr wenig davon mitbekommen und dann machst du die Nachrichten-App auf und dann geht es da schon rund und davon nicht Teil sein zu müssen, das können vielleicht 0,001 % der Weltbevölkerung behaupten.

Und das haben wir in der Zeit reflektiert. Viele Songs gehen darüber und dann gibt es natürlich auch andere Themenbereiche. Ob es dann zum Beispiel Auswirkungen des Klimawandels sind, oder ob es eben auch Coronamaßnahmen sind, oder Mexiko zum Beispiel. Da können die Leute ihre Läden gar nicht schließen, können gar keinen Lockdown machen, weil sie ansonsten einfach kein Essen haben und kein Geld verdienen und das sind alles so Sachen, die gehören mit zu „Aus der Ferne“ und spielen da eine Rolle.

“Ich möchte nicht, dass mir irgendjemand vorschreibt, was ich zu denken habe.“

Kathrin | MC: Wollt ihr mit euren Texten auch auf eine gewisse Weise anprangern oder mobilisieren oder einfach nur euren Frust loswerden?

Flo: Beides, also was wir nicht mögen ,ist mit erhobenem Zeigefinger zu schreiben und zu sagen: „So soll es sein, so ist es nicht richtig, wie ihr das macht.“ Wir erzählen viel lieber und legen dar, wie die Situation ist und sagen, was wir davon halten und was es auch mit uns macht und wie wir uns dabei fühlen, wenn wir es „Aus der Ferne“ sehen. Ha, da ist der Albumlink. (lacht) Und so schreibe ich Texte sehr gerne. Und dann hört der Zuhörer oder die Zuhörerin, was er oder sie möchte und kann sich da eigene Gedanken machen. Und so höre ich Musik auch am liebsten. Also ich mag so ein bisschen was von demjenigen der es geschrieben hat mitbekommen, aber ich möchte nicht, dass mir irgendjemand vorschreibt, was ich zu denken haben.

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Kathrin | MC: Wir haben schon über Rockmusik gesprochen, aber das Genre ist ja riesig. Wie würdet ihr euren Sound beschreiben und euch innerhalb des Genres einordnen?

Flo: Ich sage immer so ganz grob und genremäßig Alternative Rock mit deutschsprachigen Texten, denn das ist irgendwie die größte Schublade mittlerweile, die fasst am meisten. Und wir machen aber schon, gerade jetzt auch auf der Platte, sehr düsteren Sound. Nachdenkliche Texte, auch kein Gesang, der voll in die Fresse geht, sondern eher ein sehr gelassener Stil und Melancholie schwingt auf jeden Fall immer wieder mit. Wer darauf Bock hat, sich so ein bisschen in Reflexion und düstere Gedanken fallen zu lassen, der findet bei uns auf jeden Fall hier und da düstere Textzeilen, die er mögen kann.

Kathrin | MC: Du sagst es gerade, ihr macht so viel düstere Musik und das nicht erst auf eurem neuen Album. Sitzt ihr denn auch mal zusammen und jammt einfach mal ein paar Happy-Songs im Proberaum oder ist es bei euch immer so bedrückend und düster?

Flo: Ne ist schon so. Also wir haben eine riesige Dropbox mit Songs, da sind auch ganz viele dabei, die einfach fun sind und wir müssen das Düstere ja auch wieder so ein bisschen ausgleichen. Gerade bei „Aus der Ferne“ war es so, dass wir am Anfang ja gar nicht wussten wohin und einfach drauf losgeschrieben haben. Dann ging es aber irgendwann daran: „Okay, jetzt machen wir ein Album.“ Dann überlegt man sich ja auch ein Konzept und so und dann ist es eben bei uns so, dass es wieder düster wurde. Aber gerade das wäre zum Beispiel eine Sache, die man beim nächsten Album ein bisschen in Angriff nehmen könnte und sich da so ein bisschen weiterentwickeln kann.

Und dann kommen auch irgendwelche Happy-Jams infrage. Die gibt es auf jeden Fall auch, aber das mussten wir uns auch sehr hart erarbeiten und uns bewusst dazu entscheiden, fröhliche Jams zu machen. Also früher, als ich eine Gitarre in die Hand genommen hab, war es immer sehr traurig und düster und Moll, Moll, Moll – und es wird besser, auf jeden Fall.

Kathrin | MC: Ihr haltet euren Sound doch sehr minimalistisch. Hat sich das so ergeben, weil ihr nur zu dritt unterwegs seid oder ist das Absicht?

Flo: Es hat sich einfach so ergeben, also wir feiern es einfach, ein Trio zu sein. Wir haben auch ganz früh, als wir angefangen haben, mal versucht, noch einen zweiten Gitarristen in die Band zu holen, aber das hat dann einfach nicht geklappt. Seitdem ist für uns so ein bisschen die Herausforderung, in diesem Minimalismus das Maximale rauszuholen und viel mit verschiedenen Sounds zu arbeiten. Ich mag es irgendwie, dass wir so klein aufgestellt sind und damit möglichst große Songs schreiben oder Songs, die sich nach mehr als nur einer Gitarre, einem Bass und einem Schlagzeug anhören. Das ist die Challenge für uns.

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Kathrin | MC: Für das nächste Jahr ist eine große Tour geplant. Wie sehr freut ihr euch, endlich wieder auf der Bühne stehen zu können?

Flo: Wir haben jetzt vor ein paar Tagen mal wieder angefangen zu proben und mal wieder alles aufzubauen. Wir haben auch schon zwischendurch geprobt, aber jetzt mal wieder das ganze Liveequipment in die Hand zu nehmen und den Staub abzuwischen – ja da kommen schon echt Feelings hoch muss man sagen. Also ich hab auch voll Bock und ich bin gespannt, wie es sich dann anfühlt, auf der Bühne zu stehen, ob man das wie Fahrrad fahren nicht verlernt oder ob es sich erstmal komisch anfühlt.

Wir haben auch noch kein Set, wir haben noch nichts ausgewählt, aber gestern habe ich das erste Mal drüber nachgedacht und ich glaube, es wird wirklich schwer. Vor allem, weil man ja auch noch gar nicht weiß, was dann live was mit den Leuten macht. Also was geht irgendwie ab? Wozu können die Leute moshen und wozu können wir irgendwie ein bisschen Pause machen und entspannen. Und das muss man, glaube ich, so ein bisschen rausfinden.

“Wir machen ja auch die Musik, weil die uns sonst auf dem Markt fehlt.“

Kathrin | MC: Hast du denn einen persönlichen Lieblingssong?

Flo: Das wechselt immer, aber im Moment ist es „Deiner Meinung“. Wir bringen auch noch eine Live-Session raus, die haben wir hier im Studio aufgenommen und da haben wir den auch gespielt und der macht einfach übelst Bock, live zu spielen und ich glaube, das ist zum Beispiel so einer, den werden wir auf jeden Fall dieses Jahr noch auf den Shows spielen. Und ich mag auch einfach inhaltlich, dass es da um die polarisierenden populistischen Politiker*innen dieser Welt geht und das ist irgendwie so ein Thema, dass mich jetzt die letzten Monate, gerade auch in Bezug auf die Bundestagswahl, doch noch mal beschäftigt hat. Und gerade ist es der Song, vielleicht ist es nächste Woche schon ein anderer. Mal gucken. Also, ich muss jetzt auch aufhören. Ich höre jetzt auch das Album nicht mehr, das ist jetzt fertig gehört für mich. Das kommt jetzt raus und dann wird’s live gespielt und dann entscheide ich, welcher Song da am meisten Bock macht.

Kathrin | MC: Du sagst, du musst jetzt aufhören, das Album zu hören. Hörst du das noch häufig?

Flo: Also voll. Bevor es rauskommt, höre ich es wirklich viel. Ich merke das auch, wir haben jetzt das ganze Jahr über einzelne Songs veröffentlicht. Immer wenn ein Song veröffentlicht ist, höre ich den dann weniger. Ich weiß gar nicht so richtig, woran das liegt, aber ich glaube, dann lässt man den los und dann machen die Leute damit, was sie damit machen möchten. Hören ihn oder hören ihn nicht.

Aber es wäre voll gelogen, wenn ich sagen würde, ich höre unsere eigene Musik nicht. Ich meine, wir machen ja auch die Musik, weil die uns sonst auf dem Markt fehlt, also wir machen genau das was wir geil finden und was uns gefällt. Aber wenn die Platte dann rauskommt, flacht das schon sehr steil ab und ich mache dann erstmal was anderes und hören dann vor allem Demos von neuen Songs, die wir schreiben.

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Kathrin | MC: Fällt es euch denn sehr leicht, eure eigene Musik zu hören. Es gibt ja auch Musiker*innen, die fürchten, im Nachhinein noch Fehler zu entdecken. Wie geht es euch damit?

Flo: Also wir sind schon super perfektionistisch, muss man sagen. Das ist eigentlich auch eine krasse Krankheit in manchen Momenten aber gerade nach drei Alben werden wir immer besser darin Dinge, so wie sie dann auch sind, als perfekt anzusehen. Wir haben das Album in zwei Sessions aufgenommen, einmal fünf Songs und dann nochmal sieben und bei der zweiten Session haben wir gesagt, Leute wir müssen mehr Fehler zulassen und nicht alles so super perfekt spielen wollen und auf der Jagd nach dem perfekten Take sein.

Gerade unserem Drummer Daniel, der unfassbar gut Schlagzeug spielt, habe ich gesagt: „Bitte mache doch mal irgendwas, das jetzt nicht so super tight ist, aber halt emotional ist.“ Du musst ja nur in die Platten von Radiohead zum Beispiel reinhören. Die sind so geil finde ich, weil die so kleine Fehler haben und kleine Temposchwankungen und einfach leben. Und deshalb freue ich mich einfach über kleine Imperfektionen, in die ich mich dann später verliebe oder an die ich mich mindestens gewöhne.

Kathrin | MC: Habt ihr Ziele, Träume und Wünsche für die Zukunft, die ihr gerne erreichen oder erfüllen würdet?

Flo: Voll! Also früher haben wir uns jedes Jahr Ziele gesetzt. Irgendwann haben wir damit aufgehört und haben eher so über Werte und „wie soll sich das denn anfühlen in Zukunft?“ gesprochen und ganz ehrlich, wir wollen einfach frei sein, also frei in unseren Entscheidungen und unserer Kreativität. Wir möchten mit Leuten zusammenarbeiten, die es gut mit uns meinen und da Bock drauf haben, auch wenn es natürlich nicht super lukrativ ist für sie und übelst viel Geld abwirft. Das ist auch klar bei Alternative Rock.

Und dann hätte ich Bock, dass man einfach ne feste Hörerschaft aufbaut. Menschen, die Lust haben, Vinyl zu kaufen, die Bock haben die Band live zu sehen und dass man keine Band wird, die sich nur über Streamingzahlen definieren muss, sondern irgendwie sowas Echtes. Dass man da eine kleine Welt baut mit Alben, die schön für sich stehen und doch einen Zusammenhang haben und das wird in Zukunft unser Anspruch an das Projekt Van Holzen sein.

Foto: Ilkay Karakurt / Offizielles Pressebild

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