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La Dispute: Über Existenzfragen und Kontrollverlust
Die große Story zum neuen Album "No One Was Driving The Car".
VON
Maik Krause
AM 03/09/2025
Geschätzte Lesezeit:
- Minuten
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Es ist ein warmer Sommerabend im Juli. Vor dem Musikzentrum in Hannover versammeln sich viele Fans, die noch die Sonne genießen wollen, bevor es in den gut aufgeheizten Raum geht. La Dispute sind zu Gast, allerdings nicht zum ersten Mal, wie Sänger Jordan Dreyer feststellt: “Ich glaube, es war 2014 oder 15 in dieser Venue für die Rooms Of The House-Tour.” Hinter dem Musikzentrum, im Backstage-Bereich, geht es sichtlich entspannt zu. Gitarrist Adam Vass ruht sich draußen auf einer Bank aus, während sich Drummer Brad Vander Lugt unter einem Baum warmspielt. Als er entdeckt wird, lächelt er und grüßt freundlich. Auch Jordan Dreyer scheint entspannt, obwohl das Interview zeitig nah an der Stagetime der Band angesetzt ist.
La Dispute: Über die Unbeständigkeit des Lebens
La Dispute gehören spätestens seit ihrem “Wildlife”-Album zu den großen Namen des Post Hardcore Revivals, die Anfang der 2010er Jahre einen sehr emotionalen Sound vorantrieb. Mit Elementen aus Melodic Hardcore, Indie und Emo spielten sich Bands wie Touché Amoré, Defeater, aber auch Title Fight und Make Do And Mend in die Herzen all derer, die mehr auf einen roheren Sound, vor allem auf ungefilterte Emotionen standen. Was La Dispute jedoch sehr von all ihren Kollegen abhob, war der Storytelling-Ansatz in den Songs, der durch den Sprechgesang von Sänger Dreyer eine spannende Ebene im lauten und leisen musikalischen Gewand bekam. “Wildlife” und allen voran der Song “King Park” entwickelten sich schon schnell nach Veröffentlichung zu Meilensteinen des Genres, an denen sich die Band bis hierhin zu messen hatte. Mit ihrem nunmehr fünften Album “No One Was Driving The Car” lässt die Band aus Michigan nun das nächste Epos los, das sich zugleich von einem komplexen Filmdrama inspirieren ließ.
„Wir versuchen in der Regel ein Medium außerhalb von Musik zu wählen, um das wir alles herum bauen. Wildlife ist ein Buch mit Kurzgeschichten, Rooms of the House ist eine Art Familienroman und Panorama ist eher eine längere Prosa”, erklärt Dreyer. Für “No One Was Driving The Car” begab man sich nun in die Filmwelt und fand Inspiration bei “First Reformed” von Paul Schrader. In dem Drama geht es um einen Pfarrer, gespielt von Ethan Hawke, der in eine Glaubens- und Sinnkrise gerät. Dreyer habe den Film dreimal gesehen und schon nach dem ersten Schauen, kurz nach der Filmveröffentlichung, hinterließ “First Reformed” einen nachhaltigen Eindruck. Dennoch wollte man sich nicht zu sehr bei dem Drama bedienen, sondern sich vielmehr strukturell und thematisch inspirieren lassen. Gerade in den ersten COVID-Jahren habe Dreyer viel über die Unbeständigkeit des Lebens nachgedacht, den Zwang, den Lebensstil den Umständen anzupassen, die zunehmenden Spannungen auf internationaler Ebene, aber auch im Alltag. “In dem Film befindet sich die Figur angesichts der Klimakatastrophe in einer Glaubenskrise, und ich glaube, diese Art von Spannung, die über allem schwebt, hat mich angesprochen. Ich habe viel über mein eigenes Leben nachgedacht und darüber, mich mit den Dingen auseinanderzusetzen, an denen ich mich festhalte, um Ordnung zu schaffen und Erklärungen zu finden.”
Gegen alle Widerstände
Es ist faszinierend Dreyer zuzuhören, welche Themen ihn beschäftigen und wie viel von ihm selbst in den Geschichten steckt, in den Bildern, die er in seinen Texten malt. Es ist subtil, mit viel Distanz, aber doch ein Kommentar auf die Ereignisse, die um uns herum, gerade aber in den USA, passieren. So entfaltet der Album-Titel, “No One Was Driving The Car”, eine ganz neue Wucht mit dem Wissen über seine Herkunft. Er entsprang nämlich dem Zitat eines Polizisten nach dem tödlichen Unfall eines selbstfahrenden Teslas. Ein Event, das stellvertretend ist für die Frage, wie viel Kontrolle wir in unserem Leben überhaupt noch besitzen, aber auch, wem wir diese übertragen haben.
Tatsächlich, und das ist alles andere als überraschend, ist “No One Was Driving The Car” ein höchst komplexes Album, das nicht nur auf musikalischer und inhaltlicher Ebene fordernd ist. Auch der Entstehungsprozess hat der Band einiges abverlangt, da die einzelnen Mitglieder längst nicht mehr an einem Ort leben und Familie haben. Dazu kamen die Jubiläumsshows zu “Wildlife” und “Rooms Of The House”, sodass man sich entschied irgendwie drumherum Zeit freizuschaufeln und an neuen Songs zu arbeiten. Entsprechend zählt Dreyer neben Michigan in den USA, auch die Farm ihres Managers in Großbritannien, Australien und die Philippinen als Orte auf, an denen man aktiv an den Songs zu “No One Was Driving The Car” arbeitete. Immer mit der Prämisse, dass man die Zeit, die man zusammen verbringt, möglichst maximieren kann und zugleich Shows spielt, um wiederum die Reisekosten und Mieten für Proberäume bezahlen zu können.
Doch gerade der Umstand, dass man nach längerer Zeit wieder zusammen schreiben konnte, aber auch an verschiedenen Orten verweilte, sei sehr motivierend gewesen. Und trotz der nicht unkomplizierten Ausgangslage, dass man auch erstmals ein Album selbst produziert hat, das zugleich ein Konzeptalbum ist, hätte man nie einen Moment der Zweifel gehabt: “Ich habe Probleme es so zu erklären, dass es nicht so klingt, als hätte es keinen Spaß gemacht”, erzählt Dreyer, meint damit aber vor allem die Umstände und Herausforderungen, die den Prozess so erfüllend gemacht hätten.
„No One Was Driving The Car“: Archivaufnahmen und politische Direktheit
Zu sagen, dass “No One Was Driving The Car” ein ambitioniertes Album ist, scheint auch aufgrund seiner Länge untertrieben. Rund 70 Minuten in 14 Songs, die sich jeweils in mehrere Akte aufteilen – wenn es nach dem Sänger gegangen wäre, hätten es auch 19 Songs sein können. Doch auch, wenn es am Ende weniger Songs wurden, als ursprünglich geplant, hatte Dreyer einige Seiten an Text zu füllen. Gerade “Environmental Catastrophe Film”, der sich live schon jetzt als neues Highlight etablieren könnte, hat eine Länge von fast neun Minuten. Auf die Frage, wie viele Notizbücher er eigentlich besitzt, muss der Sänger laut lachen und gibt zu: “Es gibt eine Menge davon mit sehr viel Text, aber ich weiß nicht genau, wie viele es sind. Ich habe aber schon immer dazu geneigt, zu schreiben und immer wieder zu überarbeiten, also gibt es einige frühere Versionen von Stücken.” Für dieses Album hätte er aber ein iPad bekommen, das ihm die Arbeit stark vereinfacht hätte, weil er oftmals seine eigene Handschrift lesen könne und einfach weniger Platz benötige. Er sei zwar kein Tech Guy und hätte auch seit langem keinen neuen Computer, aber das Tablet sei einfach perfekt für ihn. Natürlich sei es romantischer, wenn man alles mit Stift und Papier notiert habe, doch gerade im Studio habe ihm die Technik sehr weitergeholfen.
Eines der Elemente, das das neue Album zusätzlich so spannend macht, ist die Verwendung von Samples, die nicht nur der Atmosphäre der Songs, sondern auch dem Thema dienen: “Das Album beschäftigt sich viel mit unserer Heimatstadt Grand Rapids und als wir dort waren, sind wir in die öffentliche Bibliothek und haben im Archiv, mit Hilfe der wunderbaren Bibliothekaren, ein paar alte Audioaufnahmen von Interviews gefunden, die vor vielen Jahren mit Menschen dort geführt worden waren.” Die lange Predigt, die am Ende des Songs “Top-Sellers Banquet” zu hören ist, stamme sogar aus dem persönlichen Archiv der Mutter von Gitarrist Chad Morgan-Sterenberg. “Sein Großvater war Prediger in der Kirche, in der Brad [Vander Lugt, Drums], Chad und ich aufgewachsen sind, einer ganz bestimmten Gemeinde der reformierten Kirche in Michigan. Wir haben einen Ausschnitt aus einer Audioaufnahme genommen, die er beim Durchstöbern des Archivs seiner Eltern gefunden hat.” Tatsächlich hätten schon viele Leute versucht herauszufinden, woher die Samples sind, doch nichts davon würde seines Wissens nach digital verfügbar sein, sondern von alten Kassetten stammen.
Und auch, wenn La Dispute ihre Gedanken vornehmlich in Geschichten verpacken und zur Interpretation freigeben, so trägt vor allem das Ende von “No One Was Driving The Car”, im Song “End Times Sermon”, eine unüberhörbare politische Botschaft. Wieder ist es ein Monolog, in dem ein Mann darüber philosophiert, dass die USA die finanziell reichste Nation sei, vermutlich aber aufgrund des Umgangs miteinander zu den ärmsten gehöre. “Ich denke, dass jedes unserer Alben davon geprägt ist. Wenn man Geschichten über Menschen erzählt, die in dieser Welt leben, und die menschliche Existenz untersucht, ist es ziemlich schwierig, das soziale oder politische Klima, das einen im Alltag beeinflusst, und die Geschichten, die Menschen erleben, nicht zu berücksichtigen.”
Der TikTok-Hype um „King Park“
La Dispute-Songs zeichnen sich seither durch intensive Momente aus, die sicherlich auch auf “No One Was Driving The Car” zu finden sind: das hypnotische Ende von “Autofiction Detail” (“Beating Heart”), der wütende Übergang in den Groove-Part in “Steve” (“That’s the first thing that came back the day I heard”) oder auch der Titel-Track, in dem Dreyer emotional über das Instrumental einer Akustikgitarre brüllt. Doch auch, wenn es aufgrund der Thematik und des Genres eher abwegig ist, hatten La Dispute mit ihrem Song “King Park” einen eigenen TikTok-Hype – ausgelöst durch die Zeile “Can I still get into heaven, if I kill myself?”, die in teils bizarren Videos aufgegriffen wurde. Als das Thema zur Sprache kommt, muss Dreyer schmunzeln. Obwohl ihnen die Frage bislang noch nicht gestellt wurde, hätten sie das Ganze natürlich mitbekommen und regelmäßig zugeschickt bekommen.
“Ich habe ein bisschen Schwierigkeiten mit solchen Sachen. Manchmal fühle ich mich wie ein mürrischer alter Mann, weil sich die Welt nun einmal verändert und die Menschen Dinge anders verarbeiten und anders kommunizieren. Sogar vor TikTok haben Leute Beiträge auf Tumblr über King Park gepostet, die mir zu Denken gegeben haben, weil sie meiner Meinung nach einer ziemlich komplizierten Geschichte einen wichtigen Kontext nehmen, sodass ein Teil von mir sich ein wenig davon abgeschreckt fühlt.” Er verstehe die Entwicklung natürlich, sei aber nicht ganz glücklich damit, dass die Tendenz sei, alles in einen Witz zu verwandeln. Vielleicht sei es aber auch Ausdruck dessen, wie schwer es für uns alle sei, zu verarbeiten, wie turbulent das Leben jetzt ist. Letztendlich führten solche Plattformen, aber auch Streaming dazu, dass mehr jüngere Leute zu den Shows kämen.
La Dispute: Einen Safe Space schaffen und bewahren
Auch das Publikum in Hannover ist ein durchweg bunt Gemischtes. Man kann schnell ausmachen, dass viele anwesende Personen den rasanten Aufstieg der Band Anfang der 2010er Jahre nicht direkt miterlebt haben. Dafür zeigen sich La Dispute nicht nur sehr spielfreudig auf der Bühne, sondern auch direkt in ihren Ansagen. Als er die Band mitsamt Heimatstadt vorstellt, erklärt Dreyer, dass man gerne für Michigan, aber nicht für die USA applaudieren könne. Den Song “I Shaved My Head” nutzt er für eine Ansprache und weist auf die Bedeutung alternativer Orte wie das Musikzentrum als Safe Space für Verfolgte und Minderheiten hin und dass man diese verteidigen müsse. Auf einem Zettel, der neben dem Merchtisch aushängt, positioniert sich die Band zudem klar gegen jeglichen Hass und Sexismus und weist darauf hin, jegliche Übergriffe zu melden. Mit Tummyache bekommt zudem eine junge Band aus Großbritannien die Möglichkeit, sich einem breiteren Publikum als Vorband zu präsentieren.
Schon jetzt hat die Band neue Tour-Dates für Europa im kommenden Jahr veröffentlicht und gepaart mit den Eindrücken an diesem Abend und dem neuen Album vor der Brust, haben La Dispute sämtliche Argumente in der Hand, von weiteren Menschen entdeckt und erlebt zu werden.
Tourdaten
La DisputeNo One Was Driving The Car Tour 2026
Special Guests: Vs Self & Pijn
- 24.02.2026 – DE – Mainz, KUZ Mainz
- 25.02.2026 – DE – München, Backstage Werk
- 26.02.2026 – AT – Wien, WUK
- 02.03.2026 – DE – Dresden, Beatpol
- 03.03.2026 – DE – Leipzig, Täubchenthal
- 06.03.2026 – DE – Berlin, Astra Kulturhaus
- 07.03.2026 – DE – Hamburg, Fabrik
- 10.03.2026 – DE – Köln, Live Music Hall
- 13.03.2026 – DE – Stuttgart, Im Wizemann
Foto: Martin Lead / Offizielles Pressebild
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