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(Old) School’s Out Forever – Die Ärzte live in Mannheim

Aber sind die noch Punkrock?

VON AM 15/09/2022

„Die Welt, aus der wir kommen – die 80er – da war sowas noch lustig.“, scherzt Bela B über den einfachen Humor von Farin, der Sprüche in bester Dad-Jokes-Manier reißt. Gepusht von dieser Aussage geht es jetzt erst recht rund: „Wie nennt man eine Fliege in der Suppe?“ – und alle murren monoton „Fleischeinlage“. „Für die hab ich aber nicht bezahlt!“ treibt es der Schlagzeuger auf die Spitze. Er trägt ein Hemd mit vielen kleinen Mini-Selbstbildnissen.

Die Ärzte
Bild: Offizielle Website von Die Ärzte (https://www.bademeister.com/aktuell/)

Kaum jemand kann sich, glaube ich, so hart selbst abfeiern und sich gleichzeitig aber auch so wenig selbst ernst nehmen wie Deutschlands größte Punkband – die selbsternannte beste Band der Welt. Die Rede ist natürlich von den einzigartigen Die Ärzte, also dem Trio Farin Urlaub, Bela B und Rodrigo Gonzalez. Der Name ist Programm, die Band, die sie Pferd nannten, hat seit ihrer Gründung 1982 Kultstatus.

Aber wie kam es eigentlich dazu, dass eine Punkband die musikalisch streng genommen ganz andere Töne anschlägt zum national bekanntesten Vertreter des Genres wurde? In unserer Feature-Reihe (Old) School’s Out Forever beschäftigen wir uns mit personengewordenen musikalischen Phänomenen, Legenden mit Kultstatus und den Altmeistern der Genres, die uns bis heute begeistern – einfach Bands die, die Grundsteine gelegt haben für alles, was uns heute auf den Bühnen dieser Welt begeistert. Und wir stellen natürlich die Frage: Haben die das heute noch drauf? Rocken sie noch? Oder im Fall der Ärzte: Ist das noch Punkrock?

Am Anfang war das Ä

Let’s go back to the 80s. Fangen wir am Anfang an. 1982 gründete sich im westlichen Teil des geteilten Berlins Die Ärzte. Warum dieser Name ist bis heute nicht wirklich bekannt. Die Legende besagt, dass Bela einfach Bands, die mit Ä beginnen, im Plattenregal vermisst hat. Generell ist die für Ironie und Humor-bekannte Kombo nicht gerade darauf versessenen, ihre teilweise unverständlichen Texte, Anspielungen und Songtitel weiter philosophisch zu erörtern oder zu erklären.

So ist es eigentlich kein Wunder, dass auch ihr Name ohne Erklärung für sich stehen darf, vielleicht muss. Gründungsmitglieder sind Gitarrist Jan Vetter und Schlagzeuger Dirk Felsenheimer (später besser auch bekannt als Farin Urlaub und Bela B), die ein Jahr zuvor bereits zusammen in der Gruppe Soilent Grün zusammen musizierten. Nach deren Auflösung schnappten sie sich den Bassisten Hans Runge (besser bekannt als Sahnie) und stellten so als Trio in minimaler musikalischer Besetzung ein klassisches Punk-Orchester dar.

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Mit den ersten Alben „Debil“ (1984), „Im Schatten der Ärzte“ (1985) und „Die Ärzte“ (1986) feierte die Gruppe ihre ersten Erfolge – sowie ihre ersten Indizierungen. Unvergessen sind Tracks wie „Zu spät“ („Debil“) und „Dein Vampyr“ („Im Schatten der Ärzte“) die, Die Ärzte auch noch heute auf ihren Setlists aufzuführen pflegen.

Dennoch führten diese ersten drei Alben zum vorläufigen Ende der Berliner Band: Die Lieder „Geschwisterliebe“ („Die Ärzte“), „Claudia hat `nen Schäferhund“ und „Schlaflied“ (beide „Debil“) landen auf dem Index, sodass zwar die Beliebtheit zu steigen und der Mythos der Ärzte zweifellos an dieser Stelle beginnt, aber die Band sich aufgrund fehlender Albumverkäufe gezwungen sieht, sich nach ihrem vierten Album „Das ist nicht die ganze Wahrheit…“(1988) für ganze fünf Jahre aufzulösen. Bei den Shows zur vorerst letzten Tour ist die Band bereits mit Hagen Liebig (The Incredible Hagen) am Bass unterwegs. Sahnie verließ Die Ärzte bereits im Jahr 1986 aufgrund bandinterner Streitereien.

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Auch ihr viertes Studioalbum liefert einige Hits, die bis heute live zum Einsatz kommen („Außerirdische“, „Westerland“, „Blumen“) oder zu topaktuellen Diskussionen anregen, indem sie nicht gespielt werden („Elke“). Nach einem Abschiedskonzert auf Sylt wird die beste Band der Welt nun für ganze fünf Jahre in den Boden gestampft.

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In dieser Zeit versuchen sich die Ur-Ärzte Farin und Bela an neuen Bandprojekten (Depp Jones und KING KONG), die allerdings kommerziell erfolglos bleiben. 1993 beschließen die Fun-Punker sich wieder zusammenzuraufen und zusammen mit Depp-Jones-Bassist Rodrigo Gonzalez Die Ärzte wiederaufleben zu lassen – dieses multiinstrumentale Trio soll bis heute ohne weitere Mitgliederwechsel so bestehen. Die Erfolgsgeschichte Deutschlands größter Punkformation geht in die nächste Runde.

Die Ärzte – Ein Traum in Punk?

Die Ärzte starten mit Rod am Bass neu durch, läuten eine neue Ära der Kultband ein. Durch die Trennung und das Comeback beginnt bereits ihr Legendenstatus in der Szene – und das obwohl Die Ärzte eigentlich gar nicht so punkig unterwegs, sind wie man das vielleicht von The Clash, den Sex Pistols oder The Stooges kennt. Denn auch wenn sie musikalisch den Grundregeln des Genres entsprechen (minimale Instrumentierung, Drei-Akkord-Tracks, einfache Texte und Melodien zum Mitsingen) klingen Die Ärzte sehr viel öfter nach zeitgenössischem Pop & Rock und lehnen ihre Musik auch gerne an Rockabilly oder die Klänge der Comedian Harmonists an.

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Und auch wenn Farins gesunde, vegetarische und alkoholfreie Lebensweise schon fast gegenteilig zu der eines klassischen Punks erscheint, werden die Ärzte oft als Deutschlands größte Punkband verstanden. Auch die Band selbst thematisiert gerne das Thema Punk in sämtlichen ihrer Songs und Alben („Planet Punk“ (1995), „Ist Das Noch Punkrock?“, „Alles ist Punk“, „Unrockbar“, „Gute Nacht“), lässt mit „1,2,3,4 – Bullenstaat!“ Und „5,6,7,8, – Bullenstaat!“ sogar extra zwei Punk-Konzeptalbum aus dem Sack. Aber auch wenn einige ihrer Tracks eine politische Neigung haben und Die Ärzte sich als Personen ganz vehement für die gute Sache einsetzen, sind sie an sich mehr eine Fun-Band als reine Polit-Punker. Die Frage, die sich an dieser Stelle natürlich stellt, ist, ab wann ist man denn Punk?

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Bestimmt nicht nur, weil man sich selbst als Punkband darstellt und darüber singt. Aber nicht nur aufgrund ihres Kleidungstils, ihrer ehemalig bunten Haare oder weil die Band DIE linkspolitische und vielleicht wichtigste deutsche Hymne gegen Rechtsradikalismus geschrieben hat („Schrei Nach Liebe“) sind Die Ärzte Punk. Nein. Meiner Meinung nach sind Die Ärzte Punk, weil sie sich nie haben übers Maul fahren lassen und weil sie sich niemals gegenüber Kritiken gebeugt haben – indizierte Songs wurden teilweise trotzdem gespielt, nur musste das Publikum singen.

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Sie sind sich über all die Jahre treu geblieben und auch wenn die Musik sich immer mal wieder mehr an Pop anlehnt als an Punk ist es unmöglich, das typische Ärzte-Geräusch in eine Schublade zu stecken. Der einzigartige Humor, manchmal die tieferliegende Ernsthaftigkeit, die teils wirre Sinnlosigkeit der Texte zusammen mit den oft extrem lustigen, trällernden Klängen und die schönen, bildhaften Geschichten, die sie erzählen, haben das Alleinstellungsmerkmal der Ärzte geschaffen, die gemeinsam mit den ganz besonderen Charakteren ihrer Bandmitglieder und deren legendären Live-Auftritten zu einer unvergleichbaren Fa(n)szination führten. Stichwort: Gesamtkunstwerk. Passend das, dass Ärzte-Tribut-Album den ehrwürdigen Titel „Götterdämmerung“ erhielt. (Achtung: Klassikreferenz!).

Die Ärzte ab den 90ern – eine haarscharfe Erfolgsgeschichte

Zusammen mit Rod sind Die Ärzte ab den 90er also wieder back im Business – so erfolgreich wie nie. Es folgen die Mega-Alben „Die Bestie in Menschengestalt“ (1993) mit dem Kult-Track „Schrei Nach Liebe“ (der allerdings erst 20 Jahre später ein Hit werden sollte) und „Planet Punk“ (1995), sowie das Haar-Konzeptalbum „Le Frisur“ (1996) (was für mich übrigens wieder ein Indiz ist für die Daseinsberechtigung der Ärzte als größte Fun-Punk-Band Deutschlands). Spätestens hier stellt sich nun der immerwährende Erfolg der Berliner Punk-Band offiziell ein, denn ab ihrer Platte „13“ (1998), die erstmals auf ihrem eigenen Label Hot Action Records erscheint, geht jedes Album auf die 1 in Deutschland und erhält (bis auf die aktuellen 2020 & 2021er) Platin, Gold oder Doppelplatin. Der Mythos Ärzte ist in Stein gemeißelt.

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Und auch die Hitdichte nimmt nicht ab – im neuen Jahrtausend produzieren Rod, Farin und Bela so manchen ihrer größten Hits, von „Wie es geht“, „Manchmal haben Frauen…“, „Unrockbar“, „Deine Schuld“, „Junge“, „Lied Vom Scheitern“, „Deine Schuld“ bis zu „Himmelblau“. Alles Tracks, die nicht nur eingefleischten Fans geläufig sind, sondern die ebenfalls in der Mitte der Gesellschaft Einzug erhalten haben. Ihren kommerziell größten Erfolg stellte „Männer Sind Schweine“ (1998) dar, der sogar auf dem Oktoberfest und am Ballermann zum „Besten“ gegeben wird. Das führte dazu, dass die Band selbst den Track nicht mehr live spielt und ihn als „missratenes Kind“ bezeichnet.

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Comeback Nummer 2

Nachdem sich das Trio von 2012 bis 2019 aus dem Geschäft zurückzog, ist die Kultkombo seit 2019 wieder zurück. Als erstes kündigten sie ihre Headliner-Auftritte auf Rock am Ring, Rock im Park und dem Nova Rock an, kam eins zum nächsten und die Berliner brachte ihren Fans frohe Kunde in Form ihrer „In The Ä Tonight“-Tour für 2020 – der denkbar besch*nste Zeitpunkt für ein groß angelegtes und spektakuläres Live-Comeback. Auch wenn sich die Tour innerhalb von Minuten ausverkaufte, musste der Großteil trotzdem abgesagt werden. Dennoch war nicht ganz Schicht im Schacht: Die Ärzte trösteten ihre Fans mit dem Track „Ein Lied für jetzt“, in dem sie ihre Lager als Musiker in der Coronakrise spiegeln und das Versprechen abgeben, ganz bald wieder am Start zu sein. Mit neuem Album und neuer Tour im Gepäck.

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Dieses Versprechen lösten sie in den Folgejahren mit den beiden Platten „Hell“ (2020) und „Dunkel“ (2021) ein. Momentan befindet sich die Kombo auf großangelegter Deutschland-Tour mit dem Namen „Buffalo Bill in Rom“, auf welcher sie anlässlich ihres 40-Jährigen-Bandjubiläums sowohl ganz kleine (ca. 100 Personen in der Schokoladenfabrik Berlin) als auch die ganz großen Locations (ca. 60.000 Personen auf dem Tempelhofer Feld Berlin) rockbar machte.

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So. Warum DIE deutsche Punk-Band, die eigentlich Rock und Pop spielt, so berühmt ist haben wir jetzt hoffentlich geklärt. Aber ob sie es heute noch draufhaben? Das haben wir am 11. September auf dem Mannheimer Maimarktgelände live rausgefunden.

Die Ärzte live am 11.09. in Mannheim

Es ist ungefähr 16.30 Uhr, als wir am Mannheimer Maimarktgelände ankommen. Die Parkplätze befüllen sich mit Autos deren Heckscheiben die Worte „HELL“ tragen, die Brücke, die Parkplatz und Gelände verbindet ist voll mit schwarzen, weißen und roten T-Shirts, auf denen Gwendolines und Schnecken gen sonnendurchflutete Bühne blicken.

Die Tore haben sich bereits eine halbe Stunde zuvor geöffnet und auf dem Infield ist schon so einiges los. Wie auf einem Festival gibt es Fressbuden, dicht belagerte Bierstände und Merchstände mit langen Schlangen – kein Wunder, denn es gibt auf Ärzte-Konzerten immer die Möglichkeit, Alben zu erwerben, die niemals einen Plattenladen gesehen haben. Es ist auch noch mehr als genug Zeit totzuschlagen: Die beste Band der Welt wird erst in dreieinhalb Stunden loslegen.

Live-Support von Lüt & Drangsal

Doch Halt! Auf einmal hallen zwei allzu bekannte Stimmen über das Mannheimer Gelände. Bela und Rod kündigen persönlich die erste Vorband an und sorgen damit fast für mehr Begeisterung als die Norweger von Lüt selbst, die nun die Bühne vor ihrem bisher größten Publikum jemals rocken dürfen. Die skandinavische Punkrockband macht gute Stimmung und heizt das Publikum an, ohne dass jemand die norwegischen Texte eigentlich versteht. Eine kleine Bombe lässt der Sänger dann doch noch platzen: Lüt wird ab sofort ohne ihn auskommen müssen. Dafür wird direkt der Gitarrist als neuer Sänger der Band announced.

Irgendwie wirken die Jungs etwas planlos und überwältigt an der Menge von Menschen, die da vor ihnen steht. Trotzdem liefern die Newcomer in musikalischer Hinsicht einen guten Auftritt ab. Als zweites kündigt Farin den deutschen Singer-Songwriter Drangsal an. Der scheint einige Fans im Publikum zu haben. Die Leute beginnen zu tanzen und es wird immer voller im ersten Drittel vor der Bühne.

Der Himmel ist blau – und der Rest des Konzerts liegt vor uns!

Um 20 Uhr geht’s dann erst richtig los und hinter dem noch wallenden, schwarzen Vorhang erklingen im Licht der untergehenden Sonne die ersten Töne von „Himmelblau“. Einem natürlich gerade an diesem Abend sehr passenden Track, da für das Konzert eigentlich Regen vorhergesagt war. Zum zweiten „Yeahaaa!“ fällt dann der Vorhang und das Geschrei ist groß, als dieser Farin Urlaub, Bela B und Rodrigo Gonzalez entblößt. Die Mannen tragen wieder ihre figuren-typischen Bühnenoutfits. Farin schwarzes Shirt und Jeans, Rod einen roten Anzug und Bela – ja was trägt Bela da eigentlich? Ich traue meinen Augen kaum, denn anscheinend trägt er passend zu schwarz-weißer Hose und Frisur ein Hemd in denselben Farben, aber mit sich selbst, mehrere Male aufgedruckt. Mehr Selbstvergötterung geht auch nicht… oder doch Selbstironie?

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Daran hängen Die Ärzte gleich noch „Noise“ und „Wir sind die Besten“ an, bevor sie ihr Publikum begrüßen. Von Anfang an werden Witze über das Bundesland und die Stadt gemacht, in der sie spielen – die Berliner sind wohl auch die einzige Band, die sich ihrer Sache so sicher ist, dass sie Bock drauf haben, ausgebuht zu werden. Nach spätestens jedem dritten Song gibt es eine kleine Gag-Einlage von Farin und Bela, die teilweise sehr flach ausfällt und sicherlich zum Großteil aber improvisiert ist.

Diese Gagshow ist so beliebt und legendär, dass das Publikum um mich herum auch teilweise ihre Handys zückt, nur um zwischen den Tracks aufzunehmen, wie die beiden Ärzte-Urgesteine sich Beleidigungen, Witze, Fäkalhumor und Provokationen um die Ohren hauen oder einfach auf einfachste und doofste Weise Stimmung im Publikum erzeugen wollen. So werden beispielsweise Laola-Wellen gezündet und zum „Handy-Scheinwerfer“ anschalten oder der Inbetriebnahme des Arm-Scheibenwischers aufgerufen. Und mir würde auch sonst kein Konzert einfallen, auf dem sogar noch Witze gemacht werden, wenn Kinder verloren gehen… (#dürfendiedas?)

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Auf der Setlist tummeln sich dabei dicht an dicht die ganz großen Hits wie „Lasse redn“ oder „Ist das noch Punkrock?“ an gute alte, aber längst nicht vergessene Songs wie die Veganer-Hymne „Blumen“, „Fiasko“, „Heulerei“ oder „Angeber“. Zu „Doof“, welches von Bela B gesungen wird (die Männer wechseln sich nämlich gerne mal am Mikro und am Instrument ab), erscheint auf den zwei Leinwänden immer zum Refrain selbiger Titel auf seiner Stirn). Möchten Rod und Farin Plätze tauschen, cruist der Bassist mit einem BH-behangenen E-Scooter über die Bühne und hängt sich entweder die E- oder Akustikgitarre um. Dieser kleine Gag verleitet gerade Bela dazu, noch einmal zu betonen, wie alt sie doch geworden sind. „In den 80ern hätte ich gedacht wir haben fliegende Taxis oder so… jetzt haben wir Kinderroller mit Motor.“

Die Ärzte haben Spaß auf der Bühne und ganz im Gegensatz zu ihren Kolleg:innen der Szene geben sie sich, abgesehen von ihrem Entertainment-Programm, auch was die Setlist angeht noch die Extramühe, nicht jeden Konzerttag genau die selben Tracks rauszuhauen. So variieren die 36-42 (!) Songs, die sie pro Abend spielen, immer ein klein wenig zwischeneinander. So gibt es bei uns in Mann- Entschuldigung… Personenheim, noch Tracks wie „Meine Freunde“ (passend zur Genderdebatte) und „Außerirdische“ zu hören.

Kurz darauf bahnt sich außerdem der Titel an, der dank BILD-Zeitung mal wieder eine Diskussion über Cancel-Culture ausgelöst hat – immerhin ging die Kritik des renommierten Boulevard-Blatts direkt an Die Ärzte, dafür, dass sie ihren eigenen Song nicht mehr spielen wollen. Und als auch an diesem Abend das wilde Publikum mit Rufen und Schildern nach „Elke“ verlangt, wird dies schmunzelnd von den Ärzten abgelehnt. Aber mit einem Versprechen: „Wenn die BILD-Zeitung eingestampft wird, spielen wir wieder ‚Elke‘!“ Jo, das wäre dann sogar für mich okay!

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Die Ärzte begeistern noch mit knapp zwanzig weiteren Songs aus ihrem breiten 40-jährigen Repertoire, manche punkiger, manche langsamer, manche poppiger oder rockiger, manche enden abrupt mit einem kurzen Death Metal-Schrei. Zu „Friedenspanzer“ erleuchten Bühne und Leinwände in Gelb und Blau. Die Ärzte entertainen ihr gut 30.000 Personen starkes Publikum ohne eine wirklich einstudierte und prunkvolle Show zu haben, es gibt kein Feuerwerk, keine Pyro, keine Nebelmaschine.

Der Abend endet mit zwei Zugaben in welchen die Berliner Punkrocker nochmal ihre größten Tracks wie „Mach die Augen zu“, „Junge“, „Schrei Nach Liebe“ und „Zu spät“ abliefern. Mit „Dauerwelle vs. Minipli“ darf auch ein Track des Kultalbums „Le Frisur“ nicht fehlen. Zum Abschluss gibt’s das „Gute Nacht“-Lied des Trios zu hören und ganz im Sinne dessen, kann ich euch hier nur berichten: Es war schön!

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Die Ärzte aus Berlin: Zurecht deutsches Punk-Kulturgut?

Farin, Bela und Rod sind drei Namen die nahezu jede Person, jedes Kind aus Good Old Germany problemlos aufsagen und zuordnen kann. Jede:r weiß was los ist wenn die ersten Töne von „Schrei Nach Liebe“, „Männer Sind Schweine“ oder „Junge“ laufen. Und trotz dieses ganzen Ruhms, des Erfolgs, der Pausen und der Mitgliederwechsel sind Die Ärzte sich bis heute treu gebliebenen und haben sich auch nicht wirklich stark verändert.

Klar, die Musik und Vocals klingen etwas mehr nach Harmonie und weniger nach Garagenhall, die Witze sind bestimmt auch heute eher Dad-Humor und auch die Texte werden zunehmend ernster und beschäftigen sich nicht mehr zwingend mit Zeug, das niemand mehr versteht – aber diese Art von Weiterentwicklung würde ich eher als eine zwingende und logische deuten, als zu sagen, Die Ärzte sind heute kein Punk mehr. Aus musikalischer Sicht waren sie das sowieso nie wirklich.

Aber aus dem, was Die Ärzte als Personen sind, was ihre Seele ausmacht, wie sie sich geben und was die Fans unter ihnen verstehen und an ihnen vergöttern, sind sie mehr Punk als jede andere deutsche Band, die sich so nennen wollte und werden es, wenn sie so weiter machen wie bisher, wovon nach eigenen Aussagen momentan auszugehen ist, auch definitiv bleiben.

Bild: YouTube / „die ärzte – NOISE (Offizielles Video)“

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