Review

AlternativeRock

Kritik: Van Holzen - "Aus der Ferne"

Obwohl das Trio aus Ulm erst vor kurzem ihr Abitur unter Dach und Fach gebracht hat, dürfen sich die Jungs ...

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Obwohl das Trio aus Ulm erst vor kurzem ihr Abitur unter Dach und Fach gebracht hat, dürfen sich die Jungs von Van Holzen mit „Aus der Ferne“ am Freitag bereits den dritten eigenen Langspieler in die Vitrine stellen.

Und eines kann ich an dieser Stelle schon vorwegnehmen, ohne zu viel zu verraten: Fröhliche Sounds in Dur und Happy-Songs zum Tanzen sind auf besagtem Album nicht vertreten. Wie man es aus dem Debüt „Anomalie“ (2017), der zweiten Platte „Regen“ (2019) und ihrer bisher wohl bekanntesten Single „Herr der Welt“ bereits kennt, überwiegen auch in diesem Album eine drückende Stimmung und Texte am Rande des Abgrunds, die sich durch düstere Soundlandschaften kämpfen.

Van Holzen wagen einen kritischen Blick „Aus der Ferne“

Von Anfang an graben sie sich tief in die Abgründe der Menschheit. Selbstbewusst teilen sie ihren Weltschmerz, der in Zeiten von politischer Mobilisierung und Fridays for Future besonders die eigene Generation ansprechen sollte. Und dennoch bekommt man bei all der Melancholie beinahe das Gefühl, Sänger und Frontmann Florian Kiesling hätte bereits mehrere Jahrzehnte Lebenserfahrung auf dem Buckel. Seine Texte sind erwachsen, intelligent, tiefgründig, selbstreflektiert und voller schmerzverzehrter Bilder („Nagel“).

Die schwere musikalische Untermalung schafft es wieder einmal, diesen düsteren Vibe der Lyrics einzufangen und ihnen auf authentische Weise Leben einzuhauchen. Dominiert von schweren Drums und verzerrten Saiteninstrumenten schieben sich die Songs deshalb im immer gleichen Tempo eher moderat durch das Album.

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Van Holzen stellen sich symbolisch ans Fenster, um einen Blick „Aus der Ferne“ zu erhaschen. Von außen wagen sie einen emischen Blick auf die Gesellschaft. Mit den Worten: „Ich dachte lang, wir kennen uns so gut, jetzt blendet mich der Schimmer eines Aluhuts“, weigern sie sich in dreistimmiger Harmonie die „Arche“ der Verschwörung zu betreten. Auch im Fall der Verbreitung von Fake News versucht das Trio zu „verstehen, warum man hasst und wahre Fakten schnell verdreht“. („Computer“).

Auch musikalisch legen die Jungs zwischendurch immer mal wieder etwas an Härte nach und schauen dabei bspw. vom „Mars“ auf die Erde herab. Böse Shouts leiten den Untergang der Erde ein, bis es heißt: „Die Erde hat ihren Zweck erfüllt, als nächstes wird der Mars vermüllt“. Stampfende Drums treiben den erschütternden Text voran, der die Menschheit als auch die Klimapolitik gleichermaßen anprangert: „Die Erde liegt in Trümmern, ich wünschte, dass wir daraus lernen. Obwohl sie so viel weiß, schafft sich die Menschheit ab.“ Verärgert brüllt Kiesling seine Wut heraus („Biss“) und richtet den gehobenen Zeigefinger auf die ängstliche Menschheit, die tatenlos zuschaut, wie die Welt verbrennt.

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Doch auch persönlich lassen die Jungs tief blicken. Auf der Suchen nach seinem „Hirn“ ruft Kiesling: „Irgendwo da muss es sein. Ich hab mein Hirn verloren, wer sammelt es wieder ein.“ und ergänzt resignierend: „„Es denkt mir sowieso viel zu viel.“ Stattdessen möchte er sich viel lieber zurückziehen. Von Zweifeln geplagt will er „Schlafen“, damit er „das Leben nicht spürt“ und von einem Leben träumen kann, in dem er frei sein kann.

Intelligenter deutscher Alternative Rock

Van Holzen spielen schweren, intelligenten, deutschen Alternative Rock. Minimalistischer Sound, der sich auf die drei wichtigsten Instrumente der Rockmusik konzentriert und mit anspruchsvollen Lyrics eine grandiose Symbiose eingeht. Was Leichtes für Zwischendurch ist „Aus der Ferne“ definitiv nicht.

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Ohrwürmer sucht man hier zwar eher vergebens, dafür kann man sich von den schweren Fluten der Songs mitreißen lassen und in den Strudel der Verzweiflung abtauchen. Und auch wenn alles so schwer wirkt, reichen die Jungs hin und wieder auch die Hand, um uns zurück in die Realität zu holen.

Wer Belanglosigkeiten erwartet, die sich an eingängige Melodien klammern, wird hier ebenfalls enttäuscht. Die Texte der Jungs regen zum Nachdenken an und werden von verzerrten Gitarren, stampfenden Drums und Florian Kieslings tiefer Stimme perfekt ergänzt.

Foto: Ilkay Karakurt / Offizielles Pressebild

ALBUM
Aus der Ferne
Künstler: Van Holzen

Erscheinungsdatum: 12.11.2021
Genre:
Label: Omn Label Services (Rough Trade)
Medium: CD, Vinyl, etc

Tracklist:
  1. Gini
  2. Schlafen
  3. Gras
  4. Nagel
  5. Dauerhaft
  6. Deiner Meinung
  7. Arche
  8. Biss
  9. Computer
  10. Hirn
  11. Maß
  12. Letztes Jahr
Van Holzen Aus der Ferne
Van Holzen Aus der Ferne
9
FAZIT
Van Holzen bieten in „Aus der Ferne“ das, was sie in ihrer bisherigen Musikkarriere perfektioniert zu haben scheinen: Minimalistischen Rocksound und intelligente Texte.

Sicherlich ist auch diese Platte kein Album für jedermann und jede Situation, denn Van Holzen machen, was sie für richtig halten, ohne sich den Anforderungen der breiten Masse unterzuordnen. Dennoch überzeugen sie mit ihrem gänzlich eigenen Sound und authentischen Texten mit Tiefgang. Eine großartige Deutschrock-Platte, die Neugierig macht auf das, was die junge Band in Zukunft noch so abliefern wird.