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AlternativeGrungePost-Hardcore

Kritik: Thrice - "Horizons/East"

Wie viel Entwicklung verkraftet eine Fanbase? Wo anderorts wütend über die Abkehr von der meist härteren Gangart geschimpft wird, zählen ...

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Wie viel Entwicklung verkraftet eine Fanbase? Wo anderorts wütend über die Abkehr von der meist härteren Gangart geschimpft wird, zählen Thrice zu den wahrlich gesegneten Bands, die es nicht nur schaffen, konstant starke Platten fernab fester Genrekonventionen zu veröffentlichen. Vielmehr haben sie sich dadurch den Respekt von Kolleg*innen und Fans erarbeitet, der ihnen eine gewisse Freiheit ermöglicht einfach auch das zu tun, was ihnen am meisten Freude bereitet: anspruchsvolle und unkonventionelle Songs zu schreiben. Mit ihrem neusten Album “Horizons/East” unterstreichen die vier Kalifornier ihren beinahe unantastbaren Status erneut.

“Die 100%ige Thrice Erfahrung” nennt Drummer Riley Breckenridge es, als er erklärt, warum es eben doch hilfreich sein kann, wenn man die Zügel selber in der Hand behält. Kein Produzent, der eigene Ideen einstreut. Kein gemietetes Studio, das Budgets frisst. Und vor allem die absolute Freiheit ,gewisse Dinge einfach umzusetzen, wie man es sich selber vorstellt. Dass Thrice damit gut fahren können, beweisen “Beggars” und der legendäre “Alchemy Index”. Beide Platten wurden ebenfalls im eigenen Studio aufgenommen und gehören zu den Highlights der mittlerweile elf Alben umfassenden Diskografie.

Sehr atmosphärisch und fordernd

Schon der Opener “Color of the Sky” glänzt durch seine intensive Atmosphäre, die durch ein düsteres Synthie-Intro eingeleitet und dann von Dustin Kensrues dunkler Stimme gebrochen wird. Weit im Hintergrund kündigt sich das Schlagzeug an, bevor die Band dann gemeinsam in den Song einsteigt. Während die Instrumental-Fraktion förmlich gegen die Synthie-Wand ankämpft, schwebt Kensrue über dem Ganzen, was eine unheimliche Stimmung erzeugt. Die tolle Produktion tut hier ihr übrigens, sodass die verschiedenen Sound-Ebenen wunderbar zur Geltung kommen. 

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Mit “Scavengers”, der als erste Single vorab veröffentlicht wurde, folgt einer der Hits der Platte. “I will find you in the black light. Of that cold, dry land. Nevermind who held you last night. Come and take my, come and take my hand.” Nicht nur lyrisch, sondern auch musikalisch geben sich Thrice auch hier recht düster und nehmen damit in gewisser Weise Bezug auf “To Be Everywhere Is To Be Nowhere”. Gleiches gilt für “Buried In The Sun”, einer der härteren Songs der Platte, der in bester Fugazi-Manier den Bass in den Vordergrund setzt, während Dustin Kensrue bissig ins Mikro keift “2, 4, 6, 8, USA! (all right!)”.

Hommage an den „Alchemy Index“

“Northern Lights” ist einer dieser Songs, der stellvertretend dafür steht, das Thrice gerne “andere Wege” gehen wollen. Ähnlich wie beim “Alchemy Index” (“Air/Earth”) ist der Sound hier sehr organisch und natürlich, da eben auch vermeintlich unwichtige Nebengeräusche beim Ein- und Anspielen zu hören sind und es sich beinahe wie eine Liveaufnahme anfühlt. “Wir wollten erreichen, dass es so klingt, als ob wir gemeinsam in einem Raum sitzen. Möglicherweise hätten wir das mit einem Produzenten anders gemacht”, erklärt Riley Breckenridge dazu. Auch “Still Life” hätte stimmungstechnisch einen Platz auf “Air“ oder “Earth” finden können, strahlt der Song eine Schwere und Melancholie aus, während Kensrue eine schaurige Geschichte erzählt, die in ihrer Bedeutung frei erscheint und doch Bilder von einem verlassenen Schlachtfeld aufkommen lassen. 

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Während “The Dreamer” dramatisch in den Strophen, dafür aber mit angezogener Handbremse in den Refrain geht, sucht “Summer Set Fire To The Rain” eher die Weite. Hier spielen Thrice auch ihre ganze Stärke aus und bewegen sich zwischen treibendem Post-Rock-Riffs und einem Finale, das auch dem einen oder anderen Fan der härteren Phasen der Band gefallen dürfte. Sagte man Thrice zuletzt gewisse Einflüsse von Radiohead nach, so werden diese wohl bei “Robot Soft Exorcism” am deutlichsten. Angetrieben von einem beinahe hypnotisierendem Beat, der zunächst synthetisch klingt, dann aber instrumental aufgenommen wird, geben sich Thrice hier zunächst geheimnisvoll bis der Refrain die Anspannung auflöst und sich im Verlaufe immer weiter öffnet.

Ein Album, das sich entfalten muss

“Horizons/East” ist ein Album, das vor allem von seinen Bildern lebt, das es schon in den ersten Sekunden zu malen beginnt und, natürlich, auch von den letzten beiden Jahren inspiriert ist. Anders als aber viele andere Platten, die sich eben auch mit der Pandemie und den Folgen für uns und unser Miteinander auseinandergesetzt haben, schaffen es Thrice eher subtil vorzugehen. Das liegt vor allem auch an den gewohnt starken Lyrics, die viel Raum für Interpretation lassen. 

Doch auch, wenn der Horizont für sich ein Bild der Weite (oder Begrenzung) symbolisiert, so klingt “Horizons/East” alles andere als leicht und einfach. Das Album fordert die volle Aufmerksamkeit und vor allem auch einige Wiederholungen, um es wirklich greifen zu können. Dabei erfinden sich Thrice alles andere als neu, sondern besinnen sich auf ihre Stärken und holen dabei Grunge, Post-Rock, Post-Hardcore und sogar Jazz-Fans ins Boot. Dustin Kensrue probiert viel mit seiner Stimme und sorgt auf der Ebene für viel Abwechslung, der eine oder andere Part wirkt dann aber doch etwas repetitiv, vor allem dann, wenn es in die tieferen Töne geht.

Instrumental kann man dafür (wieder einmal) nichts bemängeln. So ist es doch schade, dass es am Ende nur zehn Songs auf das Album geschafft haben, das mit “Unitive/East” einen ungewöhnlichen Abschluss findet und möglicherweise ein Vorgriff auf eine “West”-Platte ist, die uns Riley im Interview zugesagt hatte.

Foto: Matty Vogel / Offizielles Pressebild

ALBUM
Horizons/East
Künstler: Thrice

Erscheinungsdatum: 17.09.2021
Genre: , ,
Label: Epitaph Records
Medium: CD, Vinyl, etc

Tracklist:
  1. The Color Of The Sky
  2. Scavengers
  3. Buried In The Sun
  4. Northern Lights
  5. Summer Set Fire To The Rain
  6. Still Life
  7. The Dreamer
  8. Robot Soft Exorcism
  9. Dandelion Wine
  10. Unitive/East
Thrice Horizons/East
Thrice Horizons/East
9.5
FAZIT
Thrice präsentieren mit "Horizon/East" ein nahezu perfektes Album für die kühlen Herbsttage. Beeindruckend ist vor allem die starke Produktion, die die Band in Eigenregie übernommen hat und dabei viele Elemente einbringen kann, die das Album insgesamt zu einem echten Erlebnis machen.