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AlternativePost-HardcoreRock

Kritik: The Used - "Heartwork"

Eine kurze Warnung vorweg: Diese Review ist lang. Doch der Reviewapfel fällt nicht weit vom Albumstamm und ich verspreche euch, ...

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Eine kurze Warnung vorweg: Diese Review ist lang. Doch der Reviewapfel fällt nicht weit vom Albumstamm und ich verspreche euch, dass dieser Apfel schmeckt und er voller Blink-182, Fever 333 und Beartooth Vitamine steckt. Verspürt ihr an dieser Stelle Heißhunger? Dann gönnt euch eure Portion Heartwork!

Flashbacks überkommen mich, als ich das Albumcover der neuen Platte von The Used sehe. Das, was ich sehe, gefällt mir; es ist ein Herz am Strick. Für mich stellt sich in diesem Augenblick die Frage, ob das 2004 erschienene Album “In Love and Death” ein Comeback erlebt oder ob der Titel “Heartwork” eine Anspielung auf das damalige Album “Artwork” (2009) sein könnte?

Oh Herr, was eröffnen sich bei den sage und schreibe 16 (!) Songs bloß für Möglichkeiten?!

The Used lassen auf „Heartwork“ das experimentierfreudige Fan-Herz höherschlagen

Apropos „Herr im Himmel“: Den Einstieg macht die Band mit dem Song „Paradise Lost by John Milton“, einem Powerpaket, das schnelle Rhythmen und einen sehr entschlossenen Bert McCracken präsentiert. Der Name des Tracks lässt vor allem die Herzen der Literaten unter uns höher schlagen.

Frontmann Bert McCracken outete sich in einem Interview als riesiger Fan des Dichters John Milton, der in „Paradise Lost“ die Geschichte des Sündenfalls nacherzählt. Wenn das Album nicht schon durch diesen ersten Track geheimnisvoll und interessant wirkt, wodurch bitte dann? Wer sich mehr implizite Action mit Literatur wünscht, der sollte sich „1984 (Infinite Jest)“ nicht entgehen lassen.

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Die Reihenfolge der Songs auf dem Album ist ziemlich gut durchdacht. Ich empfinde besonders die ersten Songs der Platte als energetisch, geladen und entsprechend überzeugend. Bereits mit Track Numero 2 wollen The Used beweisen, dass sie auch nach 20 Jahren Bandbestehen noch immer im Geschäft sind.

„Blow Me“ catcht mich innerhalb der ersten Sekunden durch die härteren Gitarrenriffs und überzeugt auch in Sachen Screams. Verstärkung holen sie sich von Jason Butler, auch bekannt als Frontmann der Band Fever 333. Die beiden Sänger bilden ein toughes Team, bei denen das Zuhören einfach Spaß macht. Außerdem stelle ich fest, dass der Song meine noch winterschlafenden Festivalgefühle erwachen lässt.

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Nicht ganz so wild führt „BIG, WANNA BE“ die Hörer über langsame Tunes und mit leicht synthetischen Zügen zu einem melodisch sehr eingängigen Refrain, der nur so zum Mitgrölen einlädt.

Etwas aufgeweckter geht es in „Bloody Nose“ zu, bei dem einen das Gefühl nicht loslässt, einen düsteren Traum zu träumen. Mir gefällt die Kombination aus tiefen, rockigen Gitarren und einer souligen Untermalung der Stimme, begleitet von dramatischen Geigen. Bis hierhin ist wirklich jeder Song ein Treffer; und nicht weniger interessant geht es weiter.

Die Musiker verraten in einem Interview mit den Kollegen von hardDrive Radio, dass es sich mit “Heartwork” um ihr bisher härteste, aber zugleich auch softeste Album aller Zeiten handelt. Ich würde diese Aussage definitiv so unterschreiben, denn ab dem fünften Track verändert sich sich der Stil gewaltig.

Es wird im Chorus zunehmend poppiger – und das muss nicht jedem liegen. Trotzdem ist es lobenswert, dass sich die Musiker trauen, mit ihrem achten Album in die Vollen zu gehen und noch andere Facetten zu zeigen, auch wenn sie damit vielleicht nicht jeden alten Fan abholen. Dass die Single ironischerweise dann auch noch „Wow, I Hate This Song“ heißt, bringt mich zum Schmunzeln, obgleich der tiefere Sinn anders verstanden werden will.

„My Cocoon“ ist mit einer Länge von 01:01 ein ausschließlich synthetisches Intermezzo und sollte als Vorgeschmack für den nächsten Song gesehen werden. Erneut darf man McCracken beim Wort nehmen und das Sinnbild des Kokons mit der musikalischen Wandelbarkeit der Band interpretieren.

Ein Ergebnis könnte der daran anknüpfende Track „Cathedral Bell“ darstellen und man erlebt eine Seite der Band, die kein Fan zuvor gehört hat: Der Song ist weit, weit weg vom Emo- oder Hardcore-Genre und distanziert sich auch vom Rock. Stattdessen erleben wir eine, wie schon angekündigt, poppige Seite, die sogar mehr dem R‘n’B zugeschrieben werden kann. Doch stelle ich eine Sache ganz besonders fest: Der Song hat seinen Tune und obwohl die Band ursprünglich woanders zu Hause ist, machen sie ihre Sache auch in anderen Lagern gut – basta! Klar ist mit mehr Kritik zu rechnen, je länger die Band Bestand hat.

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Für mich ist es bewundernswert, dass sich The Used immer noch trauen, sich neu zu erfinden und ihre Sache dabei gut machen. Mit „Cathedral Bell“ ist der Band ein radiotauglicher Hit gelungen, der mal „etwas anderes“ ist. Aber Leute, mal Hand aufs Herz: Bei 16 Songs darf man ja auch experimentierfreudig sein, oder?

Es folgen weitere Stücke, die andere stilistische Geschütze auffahren. In „1984 (Infinite Jest)“ machen die Musiker Gebrauch von Industrial im Wechsel zu romantisierenden Klavierklängen.

Noch experimenteller wird es aber bei dem gleichnamigen Titelsong „Heartwork“. „The Used goes Poetry Slam!“ – So könnte man den Song beschreiben.

Eingeleitet durch afrikanischen Beats hört man bei knapp eineinhalb Minuten McCracken sprechen, wessen Stimme elektronisch verzerrt ist. Der Song fällt durch alle Raster und ist eher mit einem musikalisch hinterlegten Gedicht zu vergleichen.

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Für mich endet das Album genauso stark, wie es angefangen hat. Bei „The Lighthouse“ holen sich die Boys Unterstützung von Mark Hoppus (Blink-182). Von Percussions begleitet, zaubert die Band etwas, was vor allem die leichten Gemüter unter uns begeistern wird.

Einen weiteren Ohrwurm bekomme ich bei dem folgenden, ebenfalls pop-rockigen Track „Obvious Blasé“, der mit niemand anderem als mit Travis Barker himself (Blink-182) aufgenommen wurde.

Wo ein Endspurt ist, ist auch ein Caleb Shomo (Beartooth) nicht weit, der in „The Lottery“ The Used einen Besuch abstattet. Der Track ist, was beinahe zu erwarten war, von härterer Natur und erhält vor allem durch die progressive Gitarre eine erfrischend, orientalische Note. Vom gleichen, dynamischen Schlag ist auch der vorletzte Track „Darkness Bleeds (FOTF)“. Er entspricht in etwa der Power, die man schon zu Beginn des Albums wahrgenommen hat.

Einen insgesamt ruhigen und emotionalen Abschluss findet das Album in „To Feel Something“, einem sehr atmosphärischen Song. Seine Dynamik baut sich stetig auf, bis die Stimmgewalt von McCracken durch den ständigen Wechsel von Clean-Gesang und Screams volle Fahrt aufnimmt.

Foto: Brian Cox / Offizielles Pressebild

ALBUM
Heartwork
Künstler: The Used

Erscheinungsdatum: 24.04.2020
Genre: , ,
Label: Hassle Records
Medium: CD

Tracklist:
  1. Paradise Lost, a poem by John Milton
  2. Blow Me
  3. BIG, WANNA BE
  4. Bloody Nose
  5. Wow, I Hate This Song
  6. My Cocoon
  7. Cathedral Bell
  8. 1984 (infinite jest)
  9. Gravity's Rainbow
  10. Clean Cut Heals
  11. Heartwork
  12. The Lighthouse
  13. Obvious Blasé
  14. The Lottery
  15. Darkness Bleeds, FOTF
  16. To Feel Something
The Used Heartwork
The Used Heartwork
9
FAZIT
The Used hauen mit "Heartwork" eine der stärksten Platten ihrer Diskografie raus. Die Band entfernt sich einmal mehr vom ursprünglichen Emo-Core und man hat trotzdem das Gefühl, dass sie noch nie authentischer und gestandener waren. Viele der Tracks sind dank ihrer poppig-rockigen Sounds unerwartet zugänglich. Hin und wieder könnte manch einer die härteren Screams vermissen, aber die tauchen in ausgewählten Songs dafür umso stärker in den Vordergrund.

Auch wenn “Heartwork” nicht als Fortsetzung der Alben “In Love and Death” oder “Artwork” verstanden werden muss, und die Jungs von The Used sich stattdessen neu erfinden zu versuchen, verweist die Band dabei immer wieder auf ihre Wurzeln zurück. Unterm Strich spiegelt “Heartwork” die Erfahrenheit und Reife der Band in vollem Umfang wider, weshalb die Platte zweifelsfrei einen oder mehrere Lauscher wert ist.