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Kritik: The Hirsch Effekt - "Solitaer/Gregaer"

Die Pandemie hat viele Bands dazu gezwungen, nicht nur wie gewohnt beim Songwriting kreativ zu werden, sondern auch bei der ...

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Die Pandemie hat viele Bands dazu gezwungen, nicht nur wie gewohnt beim Songwriting kreativ zu werden, sondern auch bei der Vermarktung der Songs. Zwei Jahre ohne Aussicht auf Live-Shows. Da mussten auch The Hirsch Effekt sich etwas überlegen, um nicht in Vergessenheit zu geraten. Doch Kreativität ist bekanntlich eine der ganz großen Stärken des Trios und so entstand nicht nur die schon 2021 erschienene EP „Gregaer“, sondern auch die ganz neue EP „Solitaer“. Letztere beinhaltet drei neue Songs sowie eine Neuaufnahme von „Gregear“, dem Titelsong der EP aus dem letzten Jahr. Die beiden EPs erscheinen jetzt zusammen unter dem Titel „Solitaer/Gregaer“.

Solitaer: Social Distancing beim Songwriting

Während „Gregaer“ in Zusammenarbeit mit einem Orchester und insgesamt über 20 Mitmusiker:innen entstand und somit während der Pandemie vor allem eine logistische Herausforderung war, ist „Solitaer“ das Experiment, aus der Not – Social Distancing – eine Tugend – eine neue Form des Songwriting – zu machen.

Und so entstand im Hause The Hirsch Effekt die Idee, drei Songs zu schreiben. Allerdings nicht wie üblich gemeinsam, sondern jeder für sich allein – Musik und Lyrics. Man durfte gespannt sein, was bei diesem Experiment herauskommt.

Ein Song pro Bandmitglied

Song Nummer 1 der bereits vorab als Single veröffentliche „Palingenesis“. Bei The Hirsch Effekt muss man mit Begriffen wie „typisch“ oder „klassisch“ in der Rege vorsichtig sein. Doch „Palingenesis“ eignet sich schon sehr gut als Opener. Der Song ist nicht übermäßig kompliziert gehalten, aber immer noch so komplex, dass er sich gut in das Portfolio der Band einfügt. Der Song, den Bassist Ilja John Lappin geschrieben und eingesungen hat, befasst sich inhaltlich damit, wie er sich während der Pandemie gezwungen sah, sich mit einer Sinnkrise auseinanderzusetzen. Diesem Kampf ist der Song gewidmet und die Wucht, mit der die Krise zuschlug, ist in jedem Takt zu hören.

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„Nares“ stammt aus der Feder von Gitarrist Nils Wittrock. Auch hier spielt die Pandemie lyrisch eine Rolle. Allerdings weniger persönlich als gesamtgesellschaftlich. Der Song ist eine Abrechnung mit all denjenigen, die sich mit einer unfassbaren Ignoranz wissenschaftlichen Fakten entgegenstellen. Deren Auffassungsgabe dürfte der Musik und ihrer Komplexität übrigens kaum gewachsen sein. Ganz so straight wie im ersten Song geht es nämlich allenfalls die erste Hälfte des Stücks weiter. In der zweiten Hälfte wird dann erst einmal Tempo herausgenommen und der Track geht einem fast schon psychodelischen Ende entgegen, bevor die letzten Take noch einmal richtig Fahrt aufnehmen.

Der Drummer als Songwriter

„Amorphus“ ist eine ganz besondere Premiere, denn Schlagzeuger Moritz Schmidt hat diesen Song nicht nur geschrieben, sondern erstmals auch selbst alle Stimmen eingesungen. Der Song geht thematisch in eine ähnliche Richtung geht wie „Nares“, hat aber vor allem das wenig strategisch Vorgehen der Politik in der Pandemie im Blick. „Amorphus“ hat von den drei Songs wohl die meisten Brüche innerhalb des Songs. Das ist aber keineswegs negativ gemeint, denn es fügt sich am Ende alles sehr harmonisch zusammen. Man kann also ohne Weiteres von Sollbruchstellen sprechen. Das Ganze klingt übrigens unter anderem so, weil der Song letztlich ein Potpourri vieler verschiedener Ideen, die der Drummer schon seit einigen Jahren in der Schreibtischschublade hatte. Experiment geglückt.

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Neben den bereits bekannten Songs der „Gregaer“-EP gibt es als Bonus auch noch den Titelsong in einer neuen Version, die auf das Orchester verzichtet und sich daher soundmäßig eher bei den ganz neuen Songs ansiedelt. Gerade im letzten Drittel ist durch das fehlende Orchester ein deutlicher Unterschied hörbar. Was einem letztlich besser gefällt, dürfte Geschmackssache sein. Beide Versionen haben ihre Stärken.

Solitaer/Gregaer: Ein geglücktes Experiment von The Hirsch Effekt

Ob The Hirsch Effekt auch in der Post-Pandemie-Ära das Songwriting in Einzelarbeit erledigen? Wenn man nur nach dem Ergebnis, das die Band auf „Solitaer/Gregaer“ verewigt hat, geht, dann spricht wenig dagegen. Wahrscheinlich wird es aber nicht so kommen. Denn die Kreativweltmeister können bekanntlich alles sein, aber nicht langweilig. Und während wir der äußerst gelungenen EP lauschen, arbeiten The Hirsch Effekt bestimmt schon an neuen Songs. Auf welche Art und Weise auch immer.

Foto: Basslord Pictures / Christoph Eisenmenger – Offizielles Pressebild

ALBUM
Solitaer / Gregaer (EP)
Künstler: The Hirsch Effekt

Erscheinungsdatum: 26.08.2022
Genre: ,
Label: Long Branch Records
Medium: CD, Vinyl, etc

Tracklist:
  1. Palingenesis
  2. Nares
  3. Amorphus
  4. Gregær (Solitaer Version)
The Hirsch Effekt Solitaer / Gregaer
The Hirsch Effekt Solitaer / Gregaer
8
FAZIT
Es sind zwar "nur" drei neue Songs und ein neu arrangierter Song, doch das genügt schon, um wieder einmal zu beweisen, dass The Hirsch Effekt keine gewöhnliche Band sind. In Sachen Kreativität macht dem Trio niemand etwas vor und die Songs sind nicht nur musikalisch und lyrisch eine ganz besondere Erinnerung an die Pandemie. Sie zeigen auch, wie vielseitig und doch zueinander passend eine Band und ihre Songs sein können. Sehr empfehlenswert!