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Kritik: Stray From The Path - Euthanasia

“Euthanasia” – Sterbehilfe. Ist es wirklich schon so weit? Steht der Menschheit oder zumindest denjenigen, die nicht zu den reichsten ...

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“Euthanasia” – Sterbehilfe. Ist es wirklich schon so weit? Steht der Menschheit oder zumindest denjenigen, die nicht zu den reichsten 1% gehören, ihr Ende bevor? Geht es nur noch darum, möglichst sanft in den nahenden Untergang geführt zu werden? Fragen über Fragen, die wohl auch Stray From The Path – eine der politisch relevantesten Bands der letzten 20 Jahre – nicht beantworten können. Dass die Hardcore-Crossover-Connaiseure uns ein zehntes Album bescheren und darauf unermüdlich predigen, was in der Welt und besonders in den USA schiefläuft, ist dieses Mal alles andere als selbstverständlich.

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Die Liste an Rockbands, die im Laufe der Jahre musikalisch ruhiger oder gar poppiger werden, ist sicherlich endlos lang. Stray From The Path aber gingen den umgekehrten Weg und kamen schließlich beim beinharten “Internal Atomics” (2019) an, das ihre musikalische Entwicklung auf beeindruckende Weise einfing. Aber wie soll es weitergehen, wenn man als mittelgroße Band einen Peak erreicht hat und inmitten einer Pandemie zuhause hockt? Erschlagen von Horrormeldungen fiel es Gitarrist Thomas Williams und Drummer Craig Reynolds schwer, überhaupt die Motivation zu finden, ihre Instrumente in die Hand zu nehmen.

Geschrieben im Livestream

Dank der außergewöhnlichen Idee, ihre Fans über Twitch am Schreibprozess teilhaben zu lassen, wurde es am Ende doch noch was mit ihrem zehnten Longplayer “Euthanasia”. Und natürlich wäre mittlerweile kein Stray From The Path-Album vollkommen ohne Produzentenlegende Will Putney, dessen einziges Ziel es ist, das Maximum aus der Band rauszuholen. Das Ergebnis spricht für sich: Mit ihrer neuen Platte schaffen es die US-Amerikaner erneut, ein gnadenlos hartes Album abzuliefern, das nochmal düsterer, bedrohlicher und auch proggier als sein Vorgänger daherkommt.

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“Blacklisted. The world put a target on my back and in an instant, I went from falling in line to falling off the track.” Auf “Euthanasia” spürt man wieder die geballte Wut und Enttäuschung der Band darüber, wie die Welt mehr und mehr aus den Fugen zu geraten scheint. Neben Themen wie Gesellschaft (“Law Abiding Citizen”), Armut (“Bread and Roses”) und der nahenden Apokalypse (“Ladder Work”) knöpfen sich Stray From The Path auch wieder nicht zu knapp ihr Heimatland vor. So werden in “Chest Candy” die Rekrutierungsstrategien des US-Militärs, und im dritten Teil der “Badge & A Bullet”-Reihe die unermüdliche Polizeigewalt in den Staaten missbilligt.

Stray From The Path sind wütender denn je

Wie Stray from the Path dabei ihren Unmut musikalisch einfangen, ist erneut schlichtweg beeindruckend. Als Songwriting-Duo haben sich Williams und Reynolds mittlerweile soweit eingegrooved, dass beide gleichermaßen zur Geltung kommen und für ein Highlight nach dem anderen sorgen. Während der Opener “Needful Things” ganz im Zeichen von verkopften Drumgrooves steht, bilden das Zentrum von “Salt In Your Spit” verspielte Riffs und außergewöhnliche Gitarreneffekte. Auch wenn es nur wenige Verschnaufpausen gibt: Es ist kaum kalkulierbar, wann und wie hart man von der nächsten Breitseite erwischt wird.

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Ein gutes Beispiel dafür, wie uns die Band an der Nase herumführt, ist der aus dem Nichts lospolternde Blastbeat bei “III”. Aber auch bei der Leadsingle “Guillotine” behalten sich Stray From The Path den tatsächlichen Höhepunkt für das Finale vor. Ungewöhnlich wird es ebenfalls beim Knochenbrecher “Chest Candy”, bei dem der eigentliche Breakdown vergleichsweise mild zu den vorigen zwei Minuten daherkommt. All diese Ausbrüche bahnen sich zudem wunderbar über die unter der Oberfläche brodelnden Build-Ups und die düstere Grundatmosphäre an. Trotz des klaren Fokus darauf schafft es die Band dennoch, auf “Euthanasia” genügend Abwechslung zu bieten.

Unheil lauert an jeder Ecke

So präsentieren uns Stray From The Path mit “Law Abiding Citizen” eine waschechte Groovenummer im Geiste von Rage Against The Machine. “Bread and Roses” kommt als atmosphärischster Track der Platte sogar mit einem gesungenen Chorus daher. Besonders interessant wird es dann beim Closer “Ladder Work”, der neben einem spacigen Intro einige Slipknot-esque Samples von Benno Levine (Vein.fm) featured. Ganze sechs Minuten nehmen sich die Long Islander für dieses dystopische Finale Zeit und kehren der Menschheit und einer in Flammen stehenden Erde enttäuscht den Rücken zu. “We could’ve thrived. We could’ve shined.”

Eingebettet wird das Ganze durch die absolut makellose Produktion von Will Putney, der hier einmal mehr seinen Status unter Beweis stellt. Es gibt wirklich nicht viel zu meckern an “Euthanasia”. Die einzigen beiden Kritikpunkte bilden zum einen ein winziger Qualitätsabfall kurz vor Schluss und zum anderen die gelegentliche Reizüberflutung durch zu viele Impulse.

Konkret könnte man damit vor allem im Falle von “Neighbourhood Watch” festhalten, wie sich die Dringlichkeit der Lyrics und die Verspieltheit der Instrumentals manchmal gegenseitig im Weg stehen. Nicht umsonst gleicht es sich im “klassischeren” Hardcore besser aus, wenn Songs bewusst straighter geschrieben sind und der Fokus automatisch mehr auf den Gesang fällt.

Ein nahezu perfektes Album

Das ist aber an der Stelle definitiv meckern auf hohem Niveau. Stray From The Path übertreffen sich hier wieder einmal selbst und liefern eine wirklich herausragende Scheibe ab. Besonders schön ist auch zu beobachten, wie sich “Euthanasia” und sein etwas geradlinigerer Vorgänger “Internal Atomics” ergänzen und verschiedene Ausprägungen des aktuellen Sounds der US-Amerikaner repräsentieren.

Dass ihre Musik nur durch die miserable Weltlage entstehen konnte, verleiht der Platte auch im Nachklang noch eine ganz besondere Wirkung. Am Ende des Tages kann man nur hoffen, dass ihre Stimmen nicht erlöschen, egal wie schlimm es in den kommenden Jahren noch werden mag.

Foto: Gabe Becerra / Offizielles Pressebild

ALBUM
Euthanasia
Künstler: Stray From The Path

Erscheinungsdatum: 09.09.2022
Genre:
Label: UNFD
Medium: CD, Vinyl, etc

Tracklist:
  1. Guillotine
  2. Needful Things
  3. May You Live Forever
  4. III
  5. Bread & Roses feat. Jesse Barnett
  6. The Salt in Your Spit
  7. Law Abiding Citizen
  8. Chest Candy
  9. Neighbourhood Watch
  10. Ladder Work
Euthanasia
Euthanasia
9.5
FAZIT
Es ist kaum zu fassen, wie sehr Stray From The Path über sich hinaus gewachsen sind und auch mit Album Nummer 10 nichts von ihrer politischen Relevanz und ihrem musikalischen Geschick eingebüßt haben. “Euthanasia” strotzt vor Energie und Spielfreude, ohne dabei jemals seinen düsteren Hintergrund zu vernachlässigen. Ihren Crossover-Sound führt die Band dabei aufs nächste Level und lässt nebenbei noch vereinzelt neue Einflüsse zu, während sie ihre gesammelte Wut und Enttäuschung über die aktuelle Weltlage von der Leine lassen.