Review

MetalcorePost-Hardcore

Kritik: Polar - "Everywhere, Everything"

Dass die Pandemie keiner Band auf dieser Welt wirklich geholfen hat, liegt in der Natur der Sache. Allerdings traf das ...

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Dass die Pandemie keiner Band auf dieser Welt wirklich geholfen hat, liegt in der Natur der Sache. Allerdings traf das Timing des weltweiten Lockdowns ab März 2020 manche Künstler:innen härter als andere. Und so hätten sich Polar wohl kaum einen schlechteren Zeitpunkt dafür aussuchen können, alles auf 0 zu herunterzufahren. Immerhin war man gerade mitten im touring cycle des hochgelobten 2019er-Albums „Nova“ und hatte trotz aller widrigen Umstände – endgültiger Brexit ab Januar 2020 – jede Menge geplant. So befand sich die Kombo auch gerade auf Europa-Tour mit After The Burial, Spiritbox und Make Them Suffer, als es hieß: Nichts geht mehr.

Zurück mit neuem Sound

Und das war dann auch für lange Zeit das letzte Lebenszeichen der Band aus dem Süden Englands. Ganz sicher alles andere als eine einfache Zeit für Polar, die sich seit ihrer Gründung 2009 zwar eine treue Fangemeinde erspielt, aber auch nicht den Status hat, dass man eine so lange Pause mit Merchverkäufen und Streaming-Konzerten mühelos überbrücken könnte. Umso erfreulicher ist es, dass Polar jetzt mit ihrem neuen und insgesamt bereits fünften Album „Everywhere, Everything“ zurück sind.

Das Album startet mit den sphärischen „Winds of Change“. Instrumental durchaus typisch für Polar, neu ist aber der Gesang, der sich hier eher am britischen Post-Hardcore orientiert. Auf den ersten Blick wirken Polar nicht nur im Songwriting etwas verspielter. Vielmehr ist auch der Mix jedenfalls nach dem ersten Eindruck nicht mehr ganz so brachial und rau wie noch auf den vorherigen Veröffentlichungen. Diese Feststellung lässt sich auch auf „Burn“ übertragen. Der Song lässt in Sachen Songwriting definitiv Parallelen zu früheren Songs erkennen und lebt von den Singalongs im Refrain. Der Sound ist aber in der Gesamtschau nicht mehr ganz so wuchtig, nicht mehr ganz so brutal. Ob einem das gefällt, ist wie so oft in erster Linie Geschmacksache. Es wird Fans geben, die den alten Sound vermissen. Stimmig ist der Sound auf „Everywhere, Everything“ aber in jedem Fall.

Die Stimme von Woody als Markenzeichen

Mit „Gods and Heathens“ gehört einer der schon vorab als Single veröffentlichten Songs zu den Highlights der Platte. Auch wenn der Song relativ viel Anlauf braucht, um sich im Refrain voll zu entfalten, zeigt er besonders gut, was Polar schon immer ausgemacht hat und ganz offensichtlich auch im Jahr 2023 ausmacht. Songs, die sich entwickeln und steigern und dann – unterstützt durch die einzigartige Stimme von Sänger Adam „Woody“ Woodford zu mitreißenden Hymnen werden. Dass Polar auch einen Gang zurückschalten können, zeigen sie gleichwohl im Titeltrack „Everywhere, Everything“. Während man die fehlende Brutalität im Sound bei den schnelleren Tracks hin und wieder vermisst, kommt der diversere Sound einem solchen Stück in jedem Fall entgegen. Und so gerät auch dieser Song zu einem ganz besonderen Moment der Platte, zeigt er doch die musikalische Vielfältigkeit der Band.

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Mit „Rush“ und „Dissolve Me“ finden sich in der zweiten Hälfte des Albums zwei weitere Songs, die schon vorab veröffentlicht wurden. Gerade „Rush“ zeigt noch einmal deutlich, dass Polar auf „Everywhere, Everything“ durchaus eine Weiterentwicklung gelungen ist. Die alten Rezepte wurden nicht vollständig ausgetauscht. Sie wurden vielmehr verfeinert. „Rush“ zeigt gerade in Sachen Gesang und Gesangsrhythmik eine Seite, die man so bisher nicht von Polar und Adam Woodford kannte. Der gesangliche Support, der auch dieses Mal wieder von Ellie Price (Ex-Signals) kommt, rundet nicht nur diesen Song perfekt ab. „Dissolve Me“ hingegen ist Polar, wie man sie kennt. Gerade in Sachen Gitarrenarbeit geht die Band hier aber noch einmal über das Niveau der anderen Tracks hinaus.

All Killer, No Filler

In der Gesamtschau fällt positiv auf, dass „Everywhere, Everything“ sich auf konstant hohem Niveau hält. Bekanntlich werden Alben nicht selten gegen Ende noch einmal mit durchschnittlich oder vermeintlich experimentellen Songs aufgefüllt. Das ist bei Polar nicht der Fall. Klar ist, dass ein Song wie „Deliverance“ etwas mehr Anlaufzeit benötigt. Doch wer sich darauf einlässt, wird insbesondere mit dem spannenden Kontrakt zwischen Strophen und Refrain belohnt. Und auch wenn „Baptism of Fire“ schon so etwas die der typische Rausschmeißer ist, der nicht sofort im Ohr bleibt, zeigen sich selbst hier viele gute und vor allem kreative Elemente. So schwierig die letzten drei Jahre auch für die Band waren; verlernt haben die Herren nichts. Und viel Zeit fürs Songwriting zu haben war in diesem Fall ganz offensichtlich ein Glücksfall. Glück im Unglück sozusagen.

Foto: Tom Green / Offizielles Pressebild

ALBUM
Everywhere, Everything
Künstler: Polar

Erscheinungsdatum: 13.01.2023
Genre: ,
Label: Arising Empire
Medium: CD, Vinyl, etc

Tracklist:
  1. Winds Of Change
  2. Burn
  3. Gods & Heathens
  4. Everywhere, Everything
  5. The Greatest Sin
  6. Rush
  7. Dissolve Me
  8. Deliverance
  9. Snakes Of Eden
  10. Baptism Of Fire
Polar Everywhere Everything
Polar Everywhere Everything
8
FAZIT
Lange Zeit war es still um Polar. Doch verlernt hat das Metalcore-Quartett in der Zeit nichts. Vielmehr ist eine Weiterentwicklung erkennbar. "Everywhere, Everything" kann auf vielen Ebenen überzeugen – Songwriting, Lyrics, Ohrwurmqualität. Gleichwohl fehlt dem Sound der Songs und damit auch dem Alben an manchen Stellen die Brutalität, die Polar in der Vergangenheit ausgemacht hat. Das ist schade, macht den guten Gesamteindruck aber nicht zunichte.