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Kritik: Pianos Become The Teeth - "Drift"

In einem Sommer wie diesem – der wie ein Befreiungsschlag nach zwei langen Pandemiejahren wirkt – will man schon fast ...

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In einem Sommer wie diesem – der wie ein Befreiungsschlag nach zwei langen Pandemiejahren wirkt – will man schon fast jede freie Minute in Gesellschaft verbringen. Ob auf Konzerten oder einfach nur im Freibad – man möchte wieder das Miteinander genießen und sich in positiven Gefühlen suhlen. Aber laufen wir dabei Gefahr, das Chaos in der Welt oder im eigenen Kopf vergessen? Ganz auf die ruhigen, intimen Momente zu verzichten, in denen man sich ganz sich selbst hingibt, ist demnach wahrscheinlich nicht die beste Idee. Den perfekten Soundtrack für diese Momente bringen uns Pianos Become The Teeth.

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“Für mich fühlt sich die Platte wie eine einzige, lange Nacht an.” So beschreibt Frontmann Kyle Durfey das neueste Werk der Rockband aus Baltimore, die sich seit ihrer Gründung im Jahr 2006 stets musikalisch weiterentwickelt hat. Starteten die US-Amerikaner noch im Screamo/Post-HC, so gingen sie ab Mitte der 2010er neue Wege und vermengen seither Emo, Post-Rock und Indie zu einem einzigartigen, emotionalen Hörerlebnis. Ihre letzte Platte “Wait For Love” (2018) bot dabei mit Songs wie “Fake Lighting” und “Charisma” große Chorusmomente, ohne dabei auf einen punkigen Grundton zu verzichten.

Eine atmosphärisch-emotionale Reise

“Drift” ist nun der Name ihres neuesten Werkes, das weitaus introvertierter und experimenteller als sein Vorgänger daherkommt. Pianos Become The Teeth haben mit ihrem fünften Studioalbum definitiv keine leicht zu entschlüsselnde Platte vorgelegt. Innerhalb der ungewöhnlichen Strukturen bewegt sich die Band auf beeindruckende Weise zwischen verschiedenen Dynamiken und Stimmungen, die sie entweder verschwimmen oder plötzlich kippen lassen. Die teils vertrackten Instrumentals schaffen es jedoch zu jeder Zeit irritierte Hörer*innen wieder mitten ins Geschehen zu ziehen.

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Der Opener “Out Of Sight” ist gleich ein gutes Beispiel dafür, wie intensiv die schwer zu greifende Atmosphäre der Platte wirkt. Die Band baut zunächst eine gigantische Klangwelt aus Keys, Flächen, Kalimbas und Naturgeräuschen auf, die in der zweiten Hälfte durch einen verspielten Drumgroove aufgebrochen wird. Drummer David Haik legt generell auf “Drift” eine regelrechte Tour-de-Force-Performance hin. Bereits die Vorabsingle “Genevieve” konnte durch ein einzigartiges, rhythmisches Feel mit vielen unerwarteten Wendungen punkten. Auch “The Tricks” besticht hauptsächlich über die Drums, die binnen weniger Sekunden einen ordentlichen Sog erzeugen.

Pianos Become The Teeth wagen viel

Neben der starken Rhythmusfraktion überzeugt “Drift” vor allem durch gut eingesetzte Kontraste und die Experimentierfreudigkeit der Band. Während immer wieder die Gitarren die Stimmung durch hoffnungsvolle Melodien (“Buckley”, “Pair”) aufhellen, sind es oft bassbetonte, knarrende Samples (“The Tricks”, “Mouth”), die wieder alles in Dunkelheit tauchen. Hin und wieder sprenkeln die US-Amerikaner diverse Soundeffekte und Percussionsounds ein, um noch kleine Highlights im Mix zu setzen. Sogar ein im Hintergrund platziertes Saxophon-Solo beim Song “Skiv” wirkt nicht wirklich fehl am Platz.

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Ebenfalls positiv hervorzuheben ist die abwechslungsreiche Dynamik des Albums: Oft beginnen Songs sehr dezent und nehmen sich wie im Fall von “Easy” beinahe die gesamte Lauflänge um anzuschwellen. In “The Days” und “The Tricks” hingegen bauen Pianos Become The Teeth etwas plötzlichere Lautstärkewechsel ein, die sich dem Ohr aber niemals zu sehr aufdrängen. Die wenigen Ausbrüche der Platte sind im Gesamtkontext hervorragend platziert, erinnern in Ansätzen ein wenig an vergangene Post-Hardcore-Tage und kommen gerade bei “Genevieve” mit einer markerschütternden Intensität daher.

Kein gewöhnliches Emo-Album

Insgesamt lässt sich der Sound des Albums als Mix aus Emo, Shoegaze und Post-Rock bezeichnen, der vor allem Fans von Foxing oder American Football gefallen könnte. Unüberhörbar ist jedoch der Einfluss von Bands wie Radiohead. Dieser äußert sich zum Einen in der organischen Produktion und dem klaren Fokus auf die führenden Elemente im Mix, zum anderen durch Songs wie “Mouth” oder explizite Momente wie die übereinander gelegten Vocals bei “Out Of Sight”. Auch stimmlich lassen sich einige Parallelen zu Radiohead-Frontmann Thom Yorke, als auch zu R.E.M.-Sänger Michael Stipe feststellen.

Ob man am Ende mit einer Platte wie “Drift” warm wird, ist wahrscheinlich von vielen Faktoren abhängig. Unbestreitbar ist jedoch, dass sie auf vielen Ebenen beeindruckt und absolut unique wirkt. Lediglich zu kritisieren ist der kurze Post-Punk-Knüppler “Hate Chase”, der ein wenig zu stark aus den sonst doch sehr harmonischen Auf- und Abbewegungen der Platte rausfällt. Außerdem machen es Pianos Become The Teeth den Hörenden ab und an ein wenig zu schwer sich zwischen Stimmungswechseln und kryptischen – wenn auch sehr poetischen – Lyrics zurechtzufinden. Wie sehr dies das Hörerlebnis schmälert, ist im Zweifel wahrscheinlich individuell abhängig.

Foto: Micah Wood / Offizielles Pressebild

ALBUM
Drift
Künstler: Pianos Become The Teeth

Erscheinungsdatum: 26.08.2022
Genre:
Label: Epitaph
Medium: CD, Vinyl, etc

Tracklist:
  1. Out Of Sight
  2. Genevieve
  3. The Tricks
  4. Easy
  5. The Days
  6. Mouth
  7. Skiv
  8. Hate Chase
  9. Buckley
  10. Pair
Drift
Drift
8.5
FAZIT
Pianos Become The Teeth melden sich zurück und haben uns mit ihrem fünften Studioalbum “Drift” ein wahrlich außergewöhnliches - wenn auch manchmal schwer greifbares - Stück Musik mitgebracht. Gespickt mit vertrackten Drumgrooves, eindringlichen Gitarrenmelodien und dezenten Samples bringen uns die US-Amerikaner hier eine intime Platte, die ihre volle Stärke und Intensität über Dynamik, Kontraste und Experimentierfreudigkeit ausspielt.