
Review
Deathcore
Kritik: Mental Cruelty – „Zwielicht“
Es wird groß, es wird pompös und es wird wieder geballert! Das Quintett aus Karlsruhe meldet sich mit ihrem fünften ...
VON
Tamara Jungmann
AM 18/06/2023
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Es wird groß, es wird pompös und es wird wieder geballert! Das Quintett aus Karlsruhe meldet sich mit ihrem fünften Longplayer „Zwielicht“ zurück und feiert damit zusätzlich den Einstand ihres neuen Schreihalses Lukas Nicolai. Mental Cruelty schlagen somit personell, aber auch musikalisch ein neues Kapitel der Bandgeschichte auf. Welche Geschichten sie uns daraus vortragen, erfahrt ihr in den folgenden Zeilen.
Mit Mental Cruelty ins „Zwielicht“
Nicht jeder Band ist es vergönnt, einen Weg aus der Krise zu finden. Mental Cruelty ist dies aber gelungen und sie beweisen mit ihrer neuen Scheibe „Zwielicht“, dass Musik vor allem eins ist: Therapie. Der Mann der Stunde heißt Lukas Nicolai, der dem Vierer lyrisch und gesanglich eine neue Perspektive aufzeigt. Aber Nicolai bleibt nicht die einzige musikalische Neuerung der Deathcorer.
Blackened Deathcore – also der Musikstil der Black Metal, Death Metal und Core verbindet – erfreut sich einer immer größeren Anhängerschaft. Mit „Zwielicht“ haben Mental Cruelty ein Paradebeispiel für diese Art der sumpfigen, düsteren Metal-Oper geschaffen. Und auch wenn das Viergespann damit am Puls der Zeit ist und sich in eine Reihe mit Bands wie Lorna Shore stellt, beschwört das vorliegende fünfte Studioalbum eine einzigartige und vereinnahmende Atmosphäre von Schatten und Verhängnis, die in vergangene Welten führt.
Epik und Folklore – aber mit Breakdowns!
Das gemäßigte Harte, sich in Breakdowns zermalmende, gespickt mit Screams, Grunzen und Squeals in Verbindung mit einer epischen, fast schon größenwahnsinnig anmutenden Orchestration von Bläsern, Streichern und Schlaginstrumenten, ist die musikalische Essenz von „Zwielicht“. Mit dem Intro „Midtvinter“ voran, präsentiert sich die Kombo pompös, aber nicht abgehoben und gibt die Tonalität der Platte vor. Neben den epischen Klängen der klassischen Instrumente darf es aber auch, passend zu den abgehandelten Themen, altertümlich werden, wie in dem Titelgeber „Zwielicht“. Dieser stellt in seiner auf Deutsch vorgetragenen Balladen-Form einen willkommenen Ausreißer dar, der nicht unpassend wirkt, sondern sich in das mythische Konzept einfügt.
Folklore, orchestrale Elemente und sakrale Chöre zieren die knapp 50 Minuten, ab und an dürfen auch etwas modernere Synthie-Töne, wie in „Symhony Of A Dying Star“, die Melodie bestimmen oder akustische Gitarrenklänge. Trotz dessen finden Mental Cruelty auch zu ihrer gewohnten Härte zurück und lassen auf ihrem majestätischen Feldzug keine Gelegenheit aus die Prügelkeule zu schwingen: Eine unermüdliche Doublebass, schreddernde und singende Gitarrenwände zusammen mit der vollen Dröhnung donnerndem Bass bilden das Fundament für Nicolais fauchende Screams, rülpsende Growls, andächtige Sprechparts und allerfeinste Pig Squeals á la Will Ramos. So deckt die Band eine ganze Bandbreite an Emotionen ab – mal böse und explizit („Obsessis A Daemonio“), mal verzweifelt („Forgotten Kings“), mal etwas verträumter und hoffnungsvoller („Nordlys“, „A Tale Of Salt And Light“, „Symphony Of A Dying Star“).
Göttersagen und biblische Qualen
Und natürlich kommt diese Musik nicht irgendwie zustande, sondern umgibt die sagenhaften und mythischen Geschichten der zehn Tracks. Mit den Texten, die zum größten Teil von Sänger Lukas Nicolai selbst stammen, geht es einmal quer durch die Historie und die Faszination göttlicher Erscheinungen – von biblischen Plagen und Erzählungen („Pest“, „A Tale Of Salt And Light“), Satanischem („Obsessis A Daemonio“), griechischer Mythologie („Forgotten Kings“) bis zu Sagen aus dem Norden („Nordlys“).
Die Lyrics, zu dem sich im Mittelalter verorteten Barden-Stück „Zwielicht“ stammen von Gitarrist Marvin Kessler, genau wie die für den darauf folgenden Banger „Symphony Of A Dying Star“, so fügen sie sich vielleicht nicht von der Bedeutung, aber in ihrem Stil dennoch in den Rest des Albums ein. Und hier wartet eine weitere Überraschung, denn die Gänsehaut-stimulierenden Cleanvocals (z.B. auch in „Mortal Shells“) stammen nicht von Nicolai, sondern von Gitarrist Nahuel Lozano. Und diese sind so atemberaubend, dass man sich nur fragen kann: warum nicht schon früher?
Mental Cruelty: Aus dem Schatten ins Rampenlicht
„Zwielicht“ besitzt so viele Gefühle, Gänsehautmomente, faszinierende Themen und erfolgreiche musikalische Experimente, dass man dieses Stück Vinyl, CD, MP3, wie auch immer, fühlen und lieben muss. Mental Cruelty haben sich offensichtlich von den Ketten ihrer Vergangenheit losgerissen und sich auf ein neues Abenteuer eingelassen, bei welchem sie ihren Ideen freien Lauf lassen – erfolgreich! Das fünfte Studioalbum fährt alles auf: Abwechslung, Experiment, Klassik, Moderne, Härte, Zartheit. Mit Lukas hat sich die Band einen unglaublich starken Sänger an die Front geholt, dessen Stimmfarbe und -varianz seinesgleichen sucht.
Statt weiter Erbsen zu zählen: Lassen wir uns einfach von Mental Cruelty mit auf diese spektakuläre Reise nehmen!
Foto: Kriss Jakob / Offizielles Pressebild
Zwielicht
Künstler: Mental Cruelty
Erscheinungsdatum: 23.06.2023
Genre: Deathcore, Extreme Metal
Label: Century Media Records
Medium: CD, Vinyl, etc
- Midtvinter
- Obsessis a Daemonio
- Forgotten Kings
- Pest
- Nordlys
- Mortal Shells
- Zwielicht
- Symphony of a Dying Star
- The Arrogance of Agony
- A Tale of Salt and Light
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