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AlternativeRock

Kritik: iDKHOW - "Razzmatazz"

Hebt eure Gläser! iDKHOW laden ein zu ihrem Debüt und haben sich für ihre Fans mit dem Album „Razzmatazz“ etwas ...

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Hebt eure Gläser! iDKHOW laden ein zu ihrem Debüt und haben sich für ihre Fans mit dem Album „Razzmatazz“ etwas ganz Besonderes überlegt.

Für Panic! At The Disco-Anhänger war es nur eine Frage der Zeit, bis das Musiker-Duo rund um den Ex-Panic!-Bassisten Dallon Weekes und Ex-Falling in Reverse-Drummer Ryan Seaman mit einer ersten Platte ihren neuen Weg bahnen würden. Seither (genau genommen seit 2017) haben iDKHOW (kurz für I DONT KNOW HOW BUT THEY FOUND ME) mit einigen Singles und ihrer 2018 erschienenen EP („1981 Extended Play“) zahlreiche Klicks auf Spotify in Millionenhöhe erzielen können. Da liegt es auf der Hand, dass die Zuhörerinnen und Zuhörer schon zähneknirschend auf neuen Stoff der Band warten, doch nun hat das Warten ein Ende:

Zeitreisende, ein dubioses Unternehmen und dann noch eine unheimlich mysteriöse Gestalt, die ihr Unwesen treibt – damit ist nicht nur der ein oder andere Sci-Fi- Krimi beschrieben, sondern in diesem Fall auch das Konzept(-album) der Band.

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Wie bitte? Das erste Album soll gleich etwa ein Konzeptalbum sein? – „Vielleicht“ würde ich direkt erwidern, denn ein thematisches Konzept liegt der Band definitiv zugrunde, so viel ist klar. Aber handelt es sich bei „Razzmatazz“ auch wirklich um ein Konzeptalbum? Entweder führt ihr euch das gute Stück selbst einmal zu Gemüte oder ihr taucht im Folgenden ganz einfach mit uns ein in die Welt der MoreCore-Reviews!

Direkt mit dem ersten Track des Albums „Leave Me Alone“, der auch schon als Singleauskopplung erschienen ist, wird man in eine Rahmenhandlung eingeführt, die mit einer Konversation zwischen einer sprechenden Roboter-Jukebox und einer Frau beginnt. Die Frauenstimme bittet den Roboter die Platte „Razzmatazz“ abzuspielen und direkt befinden wir uns in dem musikalischen Thema des Albums: „Leave Me Alone“ erinnert stark an einen gemütlich Pop-Funk der 80er Jahre. Der Song ist nicht zu aufregend, aber ikonisch, denn er hat die typisch signifikanten Synth-Elemente, wie man sie von iDKHOW gewohnt ist.

“Razzmatazz“ als konzeptuell – musikalischer Krimi?

Doch jetzt einmal Butter bei die Fische! Inwiefern soll „Razzmatazz“ denn ein Krimi sein? Wir kommen nun zu der nicht wenig kreativen Storyline der Band: In den Tiefen des Internets wird gemunkelt, iDKHOW seien zeitreisende Musiker, die durch die halbe (Musik-)Weltgeschichte reisten und den ein oder anderen Song schon in den 70er/80er Jahren veröffentlicht hätten. Außerdem würden sie während ihrer „Reisen“ von angsteinflößenden Kreaturen verfolgt, den sog. „White Shadows“. Ziemlich abgespaced findet ihr? Schaut euch gerne die „Videobeweise“ an und überzeugt euch doch einfach selbst davon!

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Grundsätzlich fällt auf, dass die beiden Musiker es in wirklich jedem Song schaffen, ein gewisses „Sci-Fi“-Thema mit stilistischen Retro-Elementen gelungen miteinander zu verknüpfen. Das klingt erst einmal sehr widersprüchlich, doch hört man sich das Gesamtergebnis an, glaubt man gar nicht, wie gut sich diese Themen in dem Synth-Pop aus dem Hause Fearless Records einbringen lassen.
IDKHOW verstehen sich im wahrsten Sinne des Wortes als Künstler, die nicht nur viel Wert auf das Storytelling legen, sondern auch auf das Abstimmen der Geschichte mit den musikalischen Stilen.
Das merkt man auch an dem zweiten Track „Indoctrination“ (zu Deutsch „Belehrung“), der keinen eigenständigen Song darstellt. Stattdessen ist 72 Sekunden lang eine Computerstimme zu vernehmen, die hintergründig von einer Fahrstuhlmelodie der 80er Jahre begleitet wird.

Ob ihr’s glaubt oder nicht: Einen gruseligen Touch hat das Ganze schon, denn die Computerstimme beglückwünscht die Hörenden (doch meint sie eigentlich die Künstler von iDKHOW) zu ihrer Teilnahme am Zeitreise-Projekt der Firma Tellexx und erklärt auch, dass die sog. „White Shadows“ die Entwicklung des Projekts überwachen. Zwar taugt der Track musikalisch gesehen nichts, trotzdem verursacht er bei mir pures Kopfkino wie aus einem Film Quentin Tarantinos/Robert Rodrigues.

Weiterhin bleibt es mit „Mad IQ“ gemütlich. Stilistisch erinnert der Song an einen moderneren Synth-Pop. Ein deutschsprachiges Äquivalent dazu könnte zum Beispiel die österreichische Band Bilderbuch darstellen. Anhänger des Genres dürften somit auf ihre Kosten kommen.

Begleitet werden die Synthbeats von einem sanften Frauenchor, aber alles bleibt abgestimmt funky. Wenn ein Song nicht gerade durch seine synthetischen Züge oder gar durch verrückte Space-Themen heraussticht, greifen iDKHOW gerne auf die lieblichen Töne des Klaviers zurück. Immer dann, wenn das Klavier zum Einsatz kommt, verändert sich der Stil der Band deutlich und es wird etwas ruhiger und zunehmend pathetischer, beinahe wie in einem Musical. Das mag daran liegen, dass die Stimmgewalt Weekes erst mit dem Piano so richtig in Fahrt kommt. Schwer zu sagen, ob im Umkehrschluss behauptet werden kann, dass die technisch-künstlichen Klänge der Synthesizer Weekes gesanglich etwas hemmen, aber zumindest empfinde ich seinen Gesang mit der Klavierbegleitung wie im Song „Nobody Likes The Opening Band“ als sicherer, gar „freier“ und verspielter.

Nach dieser kurzen romantischen Klavier-Liaison wird’s wieder poppig: Mit „New Invention“ gehen die Jungs aus Salt Lake City einen Genreschritt auf Tame Impala zu. Mich holt der relativ monotone Synthbeat der Single im Vergleich zum vorigen Song nicht ab, da mir die Höhepunkte des Songs fehlen.

Für das Konzept der Band oder gar des Albums ist der Song jedoch nicht wegzudenken: Wer weiß, in welchem Jahr der Song „wirklich“ aufgenommen wurde, aber Fakt ist, dass die „White Shadows“ nach wie vor hinter dem Duo her sind, wie man anhand des folgenden Videobeweises erkennen kann:

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IDKHOW kann romantisch, ohne kitschig zu wirken

„From The Gallows“ ist eine ruhige Ballade und geht erfrischender Weise sogar noch weiter in die Vergangenheit, indem unsere Zeitreisenden uns zeigen, wie man sich zu Swing bewegt. Das dafür unerlässliche Trompetensolo findet hier seinen Platz, genauso wie das Piano und erneut einem sehr gefühlvollen Sänger. Aber kein Grund zur Panik – zu kitschig wird es dann doch nicht, zumindest dann nicht, wenn man dunkle, ominöse Computerstimmen weniger attraktiv findet. Positiv anmerken muss ich, dass ich ihnen den 60er Jahre Swing wirklich abkaufe – was ja auch ein weiterer Beweis für eine Reise durch Raum und Zeit sein könnte.

Aufgeweckter, aber nicht weniger gefühlvoll sind die beiden Romantiker in „Clusterhug“, einem Song, der eine leichte Indierock-Note innehat. Ich habe beim Hören Bands wie Phoenix in den Ohren.
Das Highlight des Songs: Das synthetische Solo, welches sich überraschend gut im Song macht, obwohl es dort eigentlich nichts zu suchen hätte. So oder so – das künstliche Computer-Summen bleibt uns zum Ende des Songs nicht erspart, denn das gehört nach wie vor einfach zur Thematik. Ich bin bis zu diesem Zeitpunkt (ganz unerwartet) ein Fan der ruhigeren Strecken des Albums.

„Sugar Pills“ versetzt uns technisch wieder in den Elektropop der 80er Jahre zurück und bleibt trotzdem mit seinem modernen poppigen Sound in unserer Gegenwart. Instrumentell gesehen ist der Song eine Synth-Spielerei, bei der es ziemlichen Spaß macht, ihr zuzuhören. Gegen Ende hat der Track ein kleines Schmankerl für alle Theoretiker des Zeitreisekonzepts: Eine männliche, leicht verzerrte Stimme aus einer anderen Zeit, gibt den Zuhörerinnen und Zuhörer auf den letzten zehn Sekunden noch einen Gedanken mit auf den Weg:

„One thought does occur from time to time – not entirely frivolously – would it not be more illuminating to play the whole thing backwards?“

Naja, eine offensichtlichere Andeutung auf eine Reise in die Vergangenheit kann wohl kaum gemacht werden. Doch apropos Andeutungen: Der Bandname iDKHOW kommt auch nicht von ungefähr, denn I DONT KNOW HOW BUT THEY FOUND ME soll seinen Ursprung in einem Zitat aus dem Film „Zurück in die Zukunft“ haben.

„Kiss Goodnight“ überzeugt als charmante und moderne Interpretation eines Synthwave Popsongs. Man stelle sich vor, man sitze in einem Auto der 80er Jahre und fährt nachts den Highway entlang. Die einprägsame Melodie besticht durch einen aufrichtigen oder zumindest glaubwürdigen Weekes.

Immer wieder ertappe ich mich dabei, wie ich nach Verbindungen zu stilistisch verwandten Bands suche: In diesem Fall könnte „Kiss Goodnight“ das Produkt einer Symbiose aus The 1975 und LCD Soundsystem darstellen. Das Ergebnis darf sich jedenfalls sehen lassen und ist für einen Feierabend-Tune mehr als annehmbar!

Und auf einen ruhigeren Song folgt erfahrungsgemäß wieder eine „ab in die 80er-Jahre-Disco“-Motivation: „Lights Go Down“ schickt uns auf einen weiteren funkigen Trip. Ähnlich wie in „New Invention“ schafft der Song es zwar, einen Tapetenwechsel zu vollziehen, aber leider fehlt dem Track eine Prise „Action“, um seine Hörerinnen und Hörer vom Hocker zu reißen.

„Razzmatazz“ – ein Ying Yang zwischen ruhigeren Balladen und funkig- groovigen Melodien

Kommen wir nun zu meinem persönlichen Lieblingssong: Kaum ertönen die ersten Anschläge des Klaviers in „Need You Here“, hat der Song meine Aufmerksamkeit in Null Komma nix auf sich gezogen. Ich kann nur nickend behaupten, dass der Indiepop-Song, der sich irgendwo zwischen Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft verloren hat, hervorragend abgestimmt ist. Der Song bestätigt, dass dem Duo ruhigere Strecken definitiv liegen und Weekes dabei gesanglich sogar zur Bestform auflaufen kann.

„Razzmatazz“ generell scheint als Album aus einem Ying und Yang zwischen ruhigeren Balladen und funkig-futuristischen Melodien zu bestehen. Dies merkt man auch im darauffolgenden Track „Doors“, der nur 1:30 Minuten lang ist. Man könnte meinen, dass der Song das Ende des Albums markiert, da wir an dieser Stelle den sanftesten Part auf der LP erreicht haben. Doch bevor „Razzmatazz“ sich wirklich dem Ende neigt, wird es noch einmal so richtig interessant, was die Theorie des Zeitreisens angeht. Denn noch immer steht die Frage im Raum, ob iDKHOW ihr Debüt-Album zugleich als Konzept geplant haben, welches sich stringent durch das gesamte Album erstreckt. Konzeptalben haben für mich schon etwas Herausforderndes und wirken dadurch „erfrischend“: Sie laden inhaltlich zum Rätseln ein und geben den Hörerinnen und Hörern zusätzlichen Platz für Interpretationsspielraum.

Das Interlude „Tomorrow People“ besteht aus einer Ansprache des ominösen Technikunternehmens „Tellexx Corporation“ und richtet sich mit seinem Dank und seinen Absichten direkt an die Hörenden des Albums:

„Ladies and gentlemen and everyone inbetween, we thank you for listening to our presentation of Razzmatazz by I DONT KNOW HOW BUT THEY FOUND ME. Your friends of the Tellexx corporation worked tirelessly around the clock, rewinding us all with advancements in the temporal arts, national defence, aviation, oceanics, dimentional modulation, thought reform, automotive and manufacturing. Hurtling us into a brighter past, a better present and a more productive future. And before too many tomorrows go by, we hope to see you again, whereever or whenever you may be. To search, to discover, to develop, to broaden our knowledge of the world we live in and the universe we occupy, to make reality of imagination – this is Tellexx – the tomorrow people.“

Zu was für ein Ergebnis die Tellexx Corporation gekommen ist, findet sich im letzten und gleichnamigen Song des Debutalbums „Razzmatazz“ wieder: iDKHOW wurden als Versuchskaninchen komplett in die Welt des Synthwaves zurückversetzt! Das glaubt ihr nicht? Dann wird es wohl Zeit für einen letzten Videobeweis:

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Zumindest könnte man bezogen auf den dazugehörigen Videoclip der Single-Auskopplung davon ausgehen, dass die Jungs mittlerweile vollständig in der Zeit (nämlich ganz nostalgisch in einer Hörkassette) steckengeblieben sind. Zum Glück gilt diese Tatsache nicht für deren Musik, denn wir befinden uns noch immer im modernen Pop mit leicht synthetischen Retro-Sounds.
Den letzten Track der Platte verstehe ich als Statement der Band, um sich zu einem Synth-Pop zu bekennen, der in die Moderne ausbrechen möchte. Allerdings fehlen für meinen Geschmack im Song „Razzmatazz“ erneut die aufregenden Momente, in denen es den beiden Künstlern tatsächlich auch gelingt auszubrechen.

Foto: iDKHOW / Offizielles Pressebild

iDKHOW News

ALBUM
Razzmatazz
Künstler: iDKHOW

Erscheinungsdatum: 23.10.2020
Genre: ,
Label: Spinefarm
Medium: CD, Vinyl, etc

Tracklist:
  1. Leave Me Alone
  2. Mad IQ
  3. Nobody Likes The Opening Band
  4. New Invention
  5. From The Gallows
  6. Clusterhug
  7. Sugar Pills
  8. Kiss Goodnight
  9. Lights Go Down
  10. Need You Here
  11. Door
  12. Razzmatazz
iDKHOW Razzmatazz
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FAZIT
Ob es sich bei IDKHOW um eine Konzeptband handelt? – Definitiv! Denn schon vor der Albumveröffentlichung spielten die Künstler nur zu gern das Spiel der „zeitreisenden Musiker“. Die LP „Razzmatazz“ nahm dann das bereits bestehende Imagekonzept der Band erfolgreich auf und schafft es, auf ca. 41 Minuten ihre Fans mit auf ihre persönliche (Zeit-)Reise zu nehmen. Könnte man „Razzmatazz“ demnach auch als Konzeptalbum bezeichnen? – Ohja!

Trotzdem bleiben einige Tracks auf der Strecke, und zwar dadurch, dass es ihnen an Spannungselementen mangelt. Auf der anderen Seite erlebt man ein solch ausgeklügeltes Konzept nicht alle Tage, weshalb ich für dieses kreative Werk einen Extrapunkt vergeben möchte. Schließlich dürfte man iDKHOW als „zeitreisende Künstler“ ein Alleinstellungsmerkmal zuschreiben, das sich in diesem Synth-Pop-Album außerordentlich gut miterleben lässt.

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