Review

Melodic HardcorePost-Hardcore

Kritik: Fjørt - "nichts"

Es wäre der perfekte Abschluss gewesen: Als Fjørt Ende August den vermeintlich letzten Song ihrer “Ein Tag. Alle Platten.”-Shows in ...

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Es wäre der perfekte Abschluss gewesen: Als Fjørt Ende August den vermeintlich letzten Song ihrer “Ein Tag. Alle Platten.”-Shows in Hamburg anstimmten, lag ein Gefühl von Abschied in der Luft. Auch im Vorfeld wurde gemunkelt, ob man sich noch ein letztes Mal aufbäumen wollte, nachdem Corona die letzten Jahre alles andere als wohltuend, vor allem für “kleine und mittlere” Bands und Künstler:innen, gewesen war. Doch das Trio verfolgte einen anderen Plan und präsentierte mit “Lod” und “Bonheur” gleich zwei Songs, die ein Vorgeschmack auf das mittlerweile vierte Album “nichts” waren. Schon diese Singles bewiesen, dass Fjørt seit “Couleur” (2017) kein bisschen an ihrer Wut eingebüßt haben. Ganz im Gegenteil.

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Fjørt: Raus aus der Komfortzone

Gleich der Opener und Titeltrack “nichts” gibt die gewohnt unangenehme Richtung vor, die Fjørt auch auf ihrer neuen Platte verfolgen. “Und wenn wir nicht stark sind. Und wenn wir nicht dies sind. Und wenn wir nicht das sind. Und wenn wir nicht wahr sind. Dann tu so, als ob.” Kryptisch, wie man es von den Aachenern kennt, erwischt man sich dabei, wenn einem immer wieder neue Bilder vor den Augen flackern, die man mit den Worten verbindet, die so uneindeutig eindeutig zu sein scheinen.

“nichts” (Substantiv) – “nicht das mindeste, geringste, in keiner Weise etwas.” heißt es in einer der Definitionen, die jedem Songtitel beiliegen, und so ist “nichts” ein wiederkehrendes Element, das regelmäßig in den Texten zu finden ist und damit auch den roten Faden bildet. Diesen verfolgt die Band auch musikalisch, obwohl sie sich auf diesem Album mehr denn je aus ihrer Komfortzone bewegen. Lauter und leiser als auf “nichts” waren Fjørt bis hierhin nur selten. “sfspc” erinnert deswegen in Momenten, in denen Sänger und Gitarrist Chris Hell leise und vorsichtig singt, an Casper und “Alles war schön und nichts tat weh”. “salz” ist dagegen ein regelrechter Mindfuck, wenn Hell im Verlauf immer hysterischer schreit und in einen Singsang verfällt. Ein Song, wie eine Achterbahnfahrt, die keine Zeit zum Verschnaufen lässt, sowohl instrumental als auch lyrisch.

FJORT - nichts (Vinylbox)

Doch während “salz” noch vor Wut schäumt und wohl von Ungerechtigkeit handelt, ist “feivel” die Resignation nicht abzustreiten. Hier untermalen Fjørt das Storytelling mit großen und melancholischen Soundwänden, während sie einen in “schrot” am Nacken packen und ordentlich Prügel verteilen, ob der Klima-Ignoranz: “Folter mich zur Hölle. Zieh mich blank. Hab zu geben, hab zu geben, ist doch so viel an mir dran.”
“schrot” ist einer der schnörkelloseren Songs der Platte und erinnert an Kosslowski, einem früheren Projekt von Sänger und Bassist David Frings. Dieser gibt sich auf “kolt” selbstkritisch, stellt sich und seinen eigenen Beitrag in Frage und gibt Fjørt mit seinem Sprechgesang eine ganz neue Note. Diese bekommen sie auch auf “bonheur”, das durch sein Sample leichte Industrial Vibes aufkommen lässt, während “fünfegrade” im Refrain an die späten Escapado erinnert.

Den Finger in die Wunde drücken

Fjørt schaffen es auf “nichts” ihr Storytelling noch weiter zu perfektionieren, einem dabei aber mal mehr, mal weniger unterschwellig den Spiegel vorzuhalten. Doch gerade in den selbstreferentiellen Momenten, wenn sich die Band ihrer selbst bewusst ist, Fehler eingesteht oder, wie in “lakk”, ihren Manager Malek Scharifi und das Label direkt ansprechen, durchbrechen sie den Schutzwall nachhaltig. Spätestens hier stellt man fest, dass die Band wohl in jeder Zeile “leider” Recht behält: “Und Herr Scharifi, wertes Grand Hotel Van Cleef, ich würd so hellauf gerne texten von ner Hoffnung, die mich trägt. Ich weiß, das zieht ja die Patte, aber schaut’s euch doch an.”

Mit “tau” und dem wütenden und vor allem epischen “lod” endet “nichts” brachial und lässt den Zuhörenden ratlos zurück, um wohl sofort eine neue Runde zu wagen. Denn trotz der unangenehmen Themen, die Fjørt auf der Platte ansprechen, macht “nichts” als Gesamtwerk ähnlich süchtig wie zum Beispiel “Stage Four” von Touché Amoré oder “Wildlife” von La Dispute. Dazu gehört ebenso die Detailverliebtheit, die über das Musikalische hinausgeht und auch das Artwork umfasst, das als Begleitwerk in seiner Simplizität und Gestaltung beeindruckt. 

 

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Fotos im Auftrag von MoreCore.de: Maik Krause

ALBUM
Nichts
Künstler: FJØRT

Erscheinungsdatum: 11.11.2022
Genre:
Label: Grand Hotel van Cleef
Medium: CD, Vinyl, etc

Tracklist:
  1. nichts
  2. sfspc
  3. salz
  4. feivel
  5. schrot
  6. kolt
  7. wasser
  8. bonheur
  9. fünfegrade
  10. lakk
  11. fernost
  12. tau
  13. lod
FJØRT
FJØRT
9
FAZIT
Fjørt präsentieren ein großartiges viertes Album, auf dem sie sich stilistisch zwar treu bleiben, aber doch eine spürbare Entwicklung vollziehen. Thematisch nehmen sie kein Blatt vor dem Mund, lassen aber genug Spielraum für Interpretationen, was schon immer den Reiz der Band ausgemacht hat. Fans werden mit dem Album höchst zufrieden sein. Wer sich mit Fjørt bislang noch gar nicht beschäftigt hat, wird aber vermutlich ein wenig brauchen, um sich auf das Gehörte einzulassen.