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IndustrialRock

Kritik: Emigrate - "The Persistence Of Memory"

Mit einer Woche Verspätung bringen Emigrate ihren vierten Longplayer an den Start. Dieser stellt laut Frontmann Richard Kruspe eine Sammlung ...

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Mit einer Woche Verspätung bringen Emigrate ihren vierten Longplayer an den Start. Dieser stellt laut Frontmann Richard Kruspe eine Sammlung an Titeln und Ideen aus der Historie der Bandgeschichte dar, passenderweise der Titel “The Persistence of Memory”. Deshalb hätte das Album übrigens in dieser Form fast niemals das Licht der Welt erblickt. Wie ein Sammelsurium klingt das Album trotzdem nicht.

Wer mehr erfahren will liest hier unser Review zum neuen Werk des perfektionistischen Rammstein-Gitarristen.

Dass Richard Zven Kruspe, der Gitarrist und das Mastermind bei Rammstein, seine kreativen Ideen und Energien nicht nur in ein Bandprojekt stecken kann, machte er 2005 öffentlich mit der Gründung seines Solo-Projekts Emigrate. Dieses sollte zunächst nur eine einmalige Nummer werden, doch mit dem Erfolg des ersten Albums “Emigrate” entschied sich Kruspe anders.

Zwar hört man den typischen Rammstein-Gitarrenstil des Virtuosen heraus, Emigrate vereint allerdings mehr progressive Crossover-Genres miteinander, als es Kruspe bei seiner Hauptband möglich ist. Das Solo-Projekt bewegt sich im Industrial-Bereich, aber mit starken Pop- und Elektro-Einflüssen.

Emigrate betreiben Recycling – im musikalischen Sinne

In knapp 16 Jahren Bandgeschichte haben sich da dann doch so einige Nummern und Ideen angesammelt, die letztendlich nicht zu Ende gedacht wurden. Bei anderen Künstlern wären diese womöglich im Papierkorb gelandet – nicht so bei Richard Kruspe: „Eine gute Idee bleibt eine gute Idee“, sagt er selbst.

Ursprünglich als Bonus-Material für eine Collection Box gedacht, erscheinen neun ausgewählte Tracks, die Emigrate nun umgebaut und frisch gestrichen raus hauen. Was da so bei rumgekommen ist, erfahrt ihr in den folgenden Zeilen.

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Wie bereits das Artwork des Covers verspricht, bewegt sich “The Persistence of Memory” irgendwo zwischen Himmel und Erde. Klänge, Melodien, Rhythmen sorgen für sphärisches Feeling, welches in manchen Songs durch elektrische Einflüsse noch verstärkt wird.

Mit “Rage” gelingt ein guter melodischer Einstieg, der bereits als eine musikalische Zusammenfassung fungiert: Typischer Emigrate-Sound aus fröhlichem Industrial Rock mit elektronischen Einflüssen, der fast schon poppig klingt.

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Den Elvis– und Pet-Shop-Boys-Klassiker “Always On My Mind” veröffentlichten Emigrate bereits vor einiger Zeit. Laut Kruspe war Till Lindemann dafür aber ursprünglich gar nicht vorgesehen.

Nachdem der Rammstein-Gitarrist aber nicht an das Original-Material von Elvis herankam, wurde spontan umgedacht – da lag die Entscheidung nahe den Stimm-intensiven Kollegen ins Boot zu holen. Und gerade als Duett geht die Rechnung auf: Meiner Meinung nach gewinnt der Track durch den Einstieg Kruspes und den darauffolgenden Doppel-Gesang um einiges an Stärke und Tiefgang.

Emigrate 2021: Mehr Elektro als Industrial

Auch “Freeze My Mind” und “You Can’t Run Away” erschienen bereits als heiße Teaser für das Album. Warum? Ich würde sagen aufgrund ihres Aushängeschild-Charakters: Die Tracks sind klassisch Emigrate-mäßig auf den Punkt, der eine etwas rockiger und schneller, der andere etwas elektronischer (“You Can’t Run Away” hat schon fast einen Touch von Muse). Und beide bekommen durch Kruspes emotionale Stimme einen dramatischen und fast Leid klagenden Stil in ihren (Pre-)Chori. Trotzdem bleibt der industrielle Rock-Rhythmus aufrechterhalten, sodass die Tracks absolut tanzbar bleiben.

“Yeah Yeah Yeah” ist meiner Meinung nach der schwächste Track auf dem Album und dient lediglich als musik-thematische Brücke zu “Come Over”. Der fünfte Track der Platte sticht vor allem dadurch heraus, dass sich Kruspe in diesem ausschließlich dem Elektrosound zuwendet – es scheint keine klassischen Musikinstrumente mehr zu geben. Der gesamte Song klingt außerirdisch und roboter-artig. Er ist sanft, romantisch, ruhig und langsam – trotzdem folgt er noch diesem industriellen Tanzrhythmus-Schema. Die Lyrics wirken einfach und der Track an sich auch etwas eingängig. Kruspe beendet den Song mit einer Astronauten-ähnlichen Verabschiedung, was wieder das Grundthema des Albums aufnimmt.

“Hypothetical” als rockiger Ausbrecher

Meiner Meinung nach der beste und prägnanteste Track von “The Persistence of Memory” ist “Hypothetical”, da er die rockigste und dynamischste Nummer darstellt. Der harte Einstieg durch starke Gitarrenriffs und aggressiver Stimme sorgt für Power und harmoniert mit dem stampfenden Rhythmus. In der Bridge wird ein starker Spannungsbogen aufgebaut, der sich durch Schreien im Refrain wieder auflöst. Der Track gibt dem Album Abwechslung und einen lebendigen Kontrast.

Das Ende des Albums wird durch “Blood Stained Wedding” und “Let You Go” eingeläutet. Hier wird wieder das typisch sphärische Thema eingeholt. Der vorletzte Track baut auf E-Bass während sich der Outro-Track mit Trompeten zu Beginn sehr feierlich anhört. Letztendlich geht Richard Kruspe aber keine Experimente mehr ein und baut auf den typischen Klang der Platte: Bisschen rockig, bisschen elektronisch, bisschen Dramatik.

Zusammenfassend lässt sich über den vierten Longplayer von Emigrate sagen, dass Kruspe sich und seinem Stil treu bleibt. Das Erhabene, das Perfektionistische und Verträumt-Dramatisch-Romantische kommt an. Meiner Meinung nach beginnt das Album allerdings stark und nimmt von Track zu Track an Prägnanz und Besonderheit etwas ab. Lediglich “Hypothetical” bildet hier eine Ausnahme und bricht durch Tempo und Rock-Thema stark heraus.

Die Tracks grenzen sich gerade gegen Ende kaum noch voneinander ab und klingen auch oft ähnlich und bieten weniger Variation. Das visuelle Grundthema des Richard Kruspe, der vom Weltraum aus über den Dingen schwebt, wird musikalisch aber definitiv umgesetzt.

Bild: Offizielles Cover-Artwork zu „The Persistence Of Memory“

ALBUM
The Persistence Of Memory
Künstler: Emigrate

Erscheinungsdatum: 12.11.2021
Genre: , ,
Label: Sony Music/Emigrate Production Gmbh
Medium: CD, Vinyl, etc

Tracklist:
  1. RAGE
  2. ALWAYS ON MY MIND (feat. Till Lindemann)
  3. FREEZE MY MIND
  4. I'M STILL ALIVE
  5. COME OVER
  6. YOU CAN'T RUN AWAY
  7. HYPOTHETICAL
  8. BLOOD STAINED WEDDING
  9. I WILL LET YOU GO
Emigrate The Persistence Of Memory
Emigrate The Persistence Of Memory
7
FAZIT
Emigrate zeigen auf “The Persistence of Memory” genau das, was sie können und tun möchten. Nicht umsonst ist es das kreative Auslebe-Projekt von Rammstein-Gitarrist Richard Kruspe, der einfach tut und lässt was er will. Dafür bleibt er dennoch stark in seinen persönlichen Sphären und klammert sich immer stärker an einen progressiven Elektro-Sound, was eine stetige Entwicklung zu seinen Vorgängern zeigt. Ich denke, wir können davon ausgehen, dass es sich in Zukunft bei Emigrate weiter exponentiell in diese Richtung gehen wird.