Review

AlternativePost-HardcoreRock

Kritik: Don Broco - "Amazing Things"

Das richtige Album zur richtigen Zeit: Nach eineinhalb Jahren Ab- und Stillstand hat gefühlt jeder Artist mindestens eine, wenn nicht ...

VON

Das richtige Album zur richtigen Zeit: Nach eineinhalb Jahren Ab- und Stillstand hat gefühlt jeder Artist mindestens eine, wenn nicht zwei oder gar drei neue Platten in petto, die darauf warten, den post-pandemischen Musikmarkt zu fluten.

Dementsprechend hoch liegt die Messlatte für eine solch innovative Band wie Don Broco. Ob das Quartett den Erwartungen nach ihrer hochgelobten Durchbruch-LP “Technology” 2018 gerecht wird?

Storytime mit Don Broco

“Bruce Willis”, “Uber”, “Swimwear Season” – auf den ersten Blick liest sich die zwölf Titel fassende Tracklist wie das Spielbrett einer Scrabble-Partie.

Dabei ist es unter anderem dieser Patchwork-Charakter, der diese Platte so spannend macht. Inhaltlich werden nämlich unterschiedlichste Themen angesprochen – von toxischer Fankultur („Manchester Super Reds No.1 Fan“) über Alltagsrassismus („Uber“) bis hin zum alltäglichen Konflikt zwischen Klimaverantwortung und Komfort.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Letztere Thematik wird in “Swimwear Season” aufgegriffen. Was mit einem unglaublich eingängig groovigen Keyboard und samtig dumpfen Vocal-Effekten beginnt, wird mit einem charakteristischen “Broco-Breakdown” unerwartet heavy.

Hauptsache heavy

Eingebettet in experimentellen Soundkombinationen ist somit das sowohl inhaltliche als auch klangliche Potpourri nahezu perfekt. Darüber schwebend jedoch stets die einzige Prämisse, die sich die Jungs beim kreativen Prozess gesetzt haben: Hauptsache heavy.

Kein Wunder, dass die Kombo das Hörvergnügen mit ihrem wohltuend aggressiven Boxring-Track einläutet. Darauffolgend verpasst uns die damals erste Single-Auskopplung massive Flashbacks an das in unser Hirn gebrannte David Beckham-Doubel.

Auch “Bad 4 ur Health”, in dem wir zu Beginn durch eine unglaublich groovy Bassline softe Retro-Vibes auf die Ohren bekommen, rastet später mit Frontmann Rob Damianis energetischen Shouts und einer verspielten Bridge extrem Moshpit-würdig aus. “Revenge Body” hingegen erreicht, verfeinert mit raffinierten Synthesizern, eine eher subtilere Härte.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Ein bizarres Highlight der Platte bildet eindeutig “Bruce Willis”, denn was wäre ein Don Broco-Album ohne einen bemerkenswert seltsamen “WTF-Track”? Der zunächst etwas schmierig anmutende, übermaskuline Sprechgesang von Rob und eine für einige sicher etwas befremdliche Bandbreite an Stimmeffekten gepaart mit bouncy Old School Hip-Hop-Elementen kumuliert zu einem wunderbar experimentellen Klopper. Den genialen Stirb-Langsam Chorus “Yippee-Kay-Yay, motherfucker” werden wir sicher so schnell nicht los. Live-Energie garantiert!

Don Broco: Ungefiltert, persönlich, ernst.

Allerdings belassen es die Boys aus Bedford nicht nur bei lauter, wütender Gesellschaftskritik. Stattdessen schrecken sie auch vor ernsteren Themen nicht zurück, wie einige Tracks beweisen.

“Anaheim” verpackt das von Imposter Syndrome und hohen Erwartungen ausgelöste Gefühlschaos, in dem sich die Band immer wieder während dem Songwriting-Prozess befinden, in einem mitreißend emotionalen Song.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Wer sich an ihre Beiträge zu „Punk Goes Acoustic Vol. 3“ erinnert, wird wissen, dass diese Kombo “stripped down” nicht lediglich mit Akustikgitarre und Cajon definiert. Eingebettet in sanften, langen Beats stehen hier die Stimmen von Damiani und Co-Vocalist/Drummer Matt Donnelly ganz klar im Fokus. Hallende Stimmeffekte und ein Gänsehaut-Gitarrensolo Build-Up machen den Feuerzeugmoment perfekt.

Den Selbstzweifeln entgegnet “One True Prince” auf eine mindestens ebenso rührende Weise, dass es okay ist. Mit epischen Deftones-esquen Vocal Effekten und einem überdimensionalen Tonartwechsel wird uns hier nämlich sowohl lyrisch als auch musikalisch vorgeführt, wie klein unsere Rolle doch in dieser Welt ist. Dennoch ist dies nicht falsch zu verstehen, denn obwohl wir innerhalb des Universums so unbedeutsam scheinen, ruft uns Matt zu: “And we’re about to do amazing things”. Singleauswahl: 10/10.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Spätestens das sehr untypische, abrupte Outro in “How Are You Done with Existing?” bewegt auch hier zur Replay-Taste. Während die bittersüßen Harmonien zwischen Robs und Matts Vocals hier besonders zum Vorschein treten, hinterlässt der verzweifelte Dialog, der schließlich ein schlagartiges Ende nimmt, ein dumpfes Gefühl in der Magengrube. “Don’t give it up. – I’m not giving up.”

Ein eindrucksvoll bewegendes Finale

Schlussendlich wird der Sinnsuche in “Easter Sunday” noch mehr Tiefe verliehen: Mit dem bestürzend traurigen Hintergrund, dass Matts Vater innerhalb kürzester Zeit drei seiner Brüder an Covid-19 verlor, erörtert dieser Song auf eine bewegend ehrliche Art die Zweifel an einem übergeordneten Sinn, angesichts all des Leids, welches uns aktuell begegnet.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Akzentuiert mit einem Kirchenchor, der uns “Sick and tired hearing the choir” entgegen singt, findet diese unglaubliche Platte ihr wirklich fulminantes Ende.

Bild: Don Broco / Offizielles Pressebild

ALBUM
Amazing Things
Künstler: Don Broco

Erscheinungsdatum: 22.10.2021
Genre: , ,
Label: Sharptone Records
Medium: CD, Vinyl, etc

Tracklist:
  1. Gumshield
  2. Manchester Super Reds No.1 Fan
  3. Swimwear Season
  4. Endorphins
  5. One True Prince
  6. Anaheim
  7. Uber
  8. How Are You Done with Existing?
  9. Bruce Willis
  10. Revenge Body
  11. Bad 4 Ur Health
  12. Easter Sunday
Don Broco Amazing Things
Don Broco Amazing Things
8
FAZIT
Bizarr, heavy, und vor allem eins: Großartig. Auch wenn die LP für manche beim ersten Hören eher unzusammenhängend erscheinen mag, lohnt sich das zweite Hören dafür umso mehr. Denn mit “Amazing Things” liefern Don Broco genau das, was sie versprechen.

Ein stilistisch abwechslungsreiches, lautstark-spaßiges und zugleich bewegendes Album, welches die zahlreichen gesellschaftlichen sowie persönlichen Herausforderungen unserer Zeit in innovativen, kathartisch-treibenden Sounds transportiert.