Review

Death Metal

Kritik: Cattle Decapitation - "Death Atlas"

Seit jeher nutzen Musiker ihre Kunst, um auf Missstände in der Welt aufmerksam zu machen. Dabei wenden sie verschiedene Methoden ...

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Seit jeher nutzen Musiker ihre Kunst, um auf Missstände in der Welt aufmerksam zu machen. Dabei wenden sie verschiedene Methoden und Sichtweisen der Erzählung an, um Probleme direkt oder indirekt anzusprechen. Die Hardcore-Bewegung der späten Achtziger und frühen Neunziger zum Beispiel war ein Sprachrohr, um auf soziale Ungerechtigkeit  der “Lower Class” aufmerksam zu machen und ein Ventil für die dadurch aufgestaute Wut. Auch der Death Metal ist Plattform und Sprachrohr, um Missstände in der Welt aufzuzeigen. So sind vor allem Bands wie Death oder Cynic für ihre kritischen Texte bekannt, die aber im Gegensatz der Direktheit im Hardcore, durch eine pessimistisch-philosophische Sichtweise den Fokus auf das Thema legen. Dreht man nun weiter am Härtegrad kommt man beim Thema kritischer Inhalte jedoch kaum an einer Band vorbei: Cattle Decapitation. Mit ihrer Betonung auf Tier- und Umweltschutz rütteln sie mit jedem Album an den Gepflogenheiten der aktuellen Zeit. Nun steht ein weiteres Machwerk der fünf Amerikaner an und behandelt ein Thema, welches nicht zeitgemäßer sein könnte.

Cattle Decapitation sind seit ihrer Gründung im Jahr 1996 zu einer der bedeutendsten Death Metal-Bands des letzten Jahrzehnts geworden. Die mehr als sieben Studioalben und diversen EPs zeugen von einer Historie voller musikalischer und thematischer Extremen. Mit einem markanten Songwriting, welches durch Geschwindigkeit und Komplexität heraussticht, beweisen Cattle Decapitation jedes Mal nochmal eine Schippe drauflegen zu können. Besonders Sänger Travis Ryan wuchs mit jedem Album auf textlicher und gesanglicher Ebene über sich hinaus. Ihr Album „Monolith of Inhumanity“ definierte beim Release einen neuen Sound, der das Rohe und Stumpfe des Deathgrinds mit einigen epischen Gesängen und Instrumenten kombinierte. Verfeinert mit ihrer durchaus nihilistisch-misanthropischen Haltung schuf diese Mischung eine eigene Art von Hörbarkeit und katapultierte sie in die Köpfe der Death Metal-Fans. Auch ihr letzter Longplayer „The Anthropocene Extinction“ führte die Formel des Vorgängers fort und brachte ihnen Platz 55 der deutschen Albumcharts ein. Cattle Decapitations neues Album „Death Atlas“, welches heute via Metal Blade Records erscheint, knüpft da an und verspricht ein weiteres Fest der Brutalität.

Bereits die erste Runde durch das neueste Machwerk der Amerikaner nimmt mich mit auf eine Reise in ein nicht so unrealistisches Endzeitszenario. Auf 14 Tracks wird das Thema Klimawandel und das Aussterben der Menschen durch ihn, teilweise sehr grafisch aber auch depressiv und beklemmend beschrieben. Das Songwriting ist wieder um einiges epochaler als bei „The Anthropocene Extinction“ und wechselt immer wieder zwischen wütenden Death Metal und traurigen Abschnitten, die stark an Black und Post Metal erinnern. Auch die Produktion setzt in Sachen Definition nochmal einen oben drauf. Zusatzinstrumentalisierung und atmosphärische Interludes halten die Immersion zwischen den Songs aufrecht und sorgen für einen roten Faden. Ob diese Immersion aber auch beim zweiten Blick erhalten bleibt, erfahrt ihr in den folgenden Zeilen.

Death Atlas startet mit dem Intro “Anthropogenic”, welches uns direkt auf einen Kurs Richtung Untergang bringt. Während ein Piano bereits die Einleitung zum danach folgenden Song spielt, stampfen elektronische Beats auf einen nahenden Untergang zu. Untermalt wird das ganze von Ausschnitten verschiedenster Sprachen der Erde. “The Geocide” explodiert darauf mit einer rasenden Bassdrum, einem erschütternden Schrei und dem musikalischen Thema des Intros auf den Gitarren. Cattle Decapitation gehen direkt in die Extreme und überzeugen mit einer unglaublichen Geschwindigkeit und Brutalität. Sänger Travis predigt wie ein unheiliger Prophet auf uns herab, während seine Vocals dämonischer nicht sein könnten. Der epische Chorus wickelt in eine fragile Sicherheit, jedoch ist diese nur eine kurze Verschnaufpause für die darauffolgenden Gitarrensoli. Alles in allem eröffnen Cattle Decapitation ihr Album mit allen altbekannten Kniffen aber auch interessanten Neuerungen.

Auch “Be Still Our Bleeding Hearts” und “Vulturous” schließen sich dieser Mischung an. Bebende Drums, Maschinengewehr-Riffs und immer eine gute Portion Garstigkeit bei den Vocals lassen einen mit offenem Mund zurück. Dazu gesellen sich die eindrucksvollen Soli und atmosphärische Lead-Gitarren im Hintergrund, die dem stumpfen “Geballer” die nötige Substanz verleihen.

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Nach dem ersten Interlude “The Great Dying”, welches uns wie bereits erwähnt im Narrative des Albums behält, geht es mit dem zuvor ausgekoppelten Song “One Day Closer To The End” weiter. Dieser erinnert mit seinem Instrumental stark an den Stil von „The Anthropocene Extinction“. Hier hören wir auch zum ersten Mal den bereits angesprochenen Clean-Gesang des Albums und tatsächlich wirkt dieser trotz des extremen Musikstils weder aufgesetzt noch kalkuliert. Vielmehr verstärken sie den depressiven Eindruck der Textstelle “One day we all will mean nothing, Shallow graves to tomb the suffering. And the pale horse’s reins pulling my heart strings”.

Mit “Bring Back The Plague” folgt direkt auch die zweite Auskopplung von Death Atlas. Cattle Decapitation sehen auch hier keine Notwendigkeit einer Einleitung und legen sofort los. Frei nach der Devise “Erst schießen, dann fragen” geht es mit Blast Beats und gurgelnden Vocals in das Elend des schwarzen Todes. “Absolute Destitute” knüpft dort nahtlos an und bringt eine weitere Welle purer Zerstörung mit sich.

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Mit dem zweiten Interlude “The Great Dying II” geht es in den letzten Abschnitt des Albums. “Finish Them”,  “With all Disrespect” und “Time’s Cruel Curtain” malen uns mit ihrer rücksichtslosen Brutalität eine finale Katastrophe und das Ende der Menschheit aus. Spätestens hier gibt es kein Zurück mehr und Cattle Decapitation verfallen in einen Zustand der puren Aggression. Vorbei ist die Zeit für Melancholie und eine Art von Unausweichlichkeit wird innerhalb der drei Songs vermittelt.

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Das letzte Interlude “The Unerasable Past” erinnert uns noch einmal mit einer robotischen Stimme und hoffnungslosen Clean-Vocals von Gast Jon Fishman (Phish) an die schweren Folgen des Klimawandels. Untermalt wird das Ganze von Violinen sowie einem düsteren Piano, die wie bereits beim Intro das musikalische Thema des nachfolgenden Songs wiedergeben. Der Titelsong beendet das Album mit vollkommener Resignation. Cattle Decapitation sprechen zur Gottheit “Atlas” und berichten vom “Reset to Day one”. Alle Lebewesen sind ausgelöscht und die Erde brennt wie zu Beginn ihrer Entstehung. Die Folgen der “Anthropocene Era” schließen das Kapitel der Menschheit auf der Erde ab und Travis verfällt mit einer klagenden Stimme ein letztes Mal in Melancholie. So endet der Song und somit das Album “Death Atlas” auf einer beklemmenden Note.

Bei der Produktion setzten Cattle Decapitation wieder mal auf einen alten Bekannten: Produzent Dave Otero war bereits an der Entstehung von „The Anthropocene Extinction“ beteiligt und wurde auch dieses Mal für die Produktion angeheuert. Eine große Änderung beim Sound ist nicht zu hören. Ein wenig mehr Definition wurde den Gitarren spendiert und auch die Stimme bekam der epischen Untermalung entsprechend ein paar Effekte mehr. Wie auch beim Vorgänger-Album leidet das Low-End von Bass und Bass Drum, was angesichts der teilweise unmenschlichen Geschwindigkeit absolut verkraftbar ist.

Beim Songwriting legen Cattle Decapitation auf eine glaubhafte Darbietung und einen anhaltenden Eindruck beim Hörer. Laut Travis Ryan ging es ihm bewusst darum, die Menschen mit dem emotionalen Gewicht zu schocken und ein Bewusstsein für Umweltschutz sowie kommende Generationen zu erschaffen. Sofern man sich auf das Thema dieses Album einlässt, sind diese “Schocker” auch durchaus gelungen. Gerade die Gitarre unterstützt diese dystopische Momente mit Gitarrenriffs die starken Einfluss aus dem Post- und Black Metal ziehen. Zwischen diesen Sequenzen der Melancholie bricht immer wieder eine verzweifelte Wut aus, die mit schrillen Geschrei und einem donnernden Schlagzeug dargestellt wird. Diese Wechsel der Emotionen lassen mich zugegeben nicht kalt und jeder Übergang trifft wie ein Schlag in den Magen.

ALBUM
Death Atlas
Künstler: Cattle Decapitation

Erscheinungsdatum: 29.11.2019
Genre:
Label: Metal Blade Records
Medium: CD, Vinyl

Tracklist:
  1. Anthropogenic: End Transmission
  2. The Geocide
  3. Be Still Our Bleeding Hearts
  4. Vulturous
  5. The Great Dying
  6. One Day Closer to the End of the World
  7. Bring Back the Plague
  8. Absolute Destitute
  9. The Great Dying II
  10. Finish Them
  11. With All Disrespect
  12. Time's Cruel Curtain
  13. The Unerasable Past
  14. Death Atlas
Cattle Decapitation Death Atlas
Cattle Decapitation Death Atlas
8.5
FAZIT
Cattle Decapitation scheuen seit Beginn der Bandgeschichte nicht davor zurück, die Grenzen zu überschreiten. Gerade thematisch wurde es sehr schnell sehr grafisch. Mit “Death Atlas” schaffen sie es diese Extremen wiedermal in allen Gesichtspunkten zu erreichen und das mit einem Thema, welches aktueller nicht sein könnte. Die fünf Amerikaner malen eine Zukunft aus, bei der es zumindest mir eiskalt den Rücken runter läuft und scheuen nicht davor zurück, den Finger in die Wunde zu drücken.

Der Klimawandel ist real und kann schwerwiegende Folgen für alle Lebewesen haben. In meinen Augen schaffen Cattle Decapitation, dieses Verständnis zu wecken und das in einem Genre welches durch seine fast schon comichafte Darstellung von Gewalt, nicht gerade für tiefgreifende Themen bekannt ist. Ein gelungene Weiterentwicklung und ein neuer Maßstab für künftige Veröffentlichungen.