Review

Metalcore

Kritik: Bury Tomorrow - "Cannibal"

Bereits so einige große Bands der Core-Szene entwickelten den Drang, sich mit der Zeit neu zu erfinden. Allen voran sind ...

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Bereits so einige große Bands der Core-Szene entwickelten den Drang, sich mit der Zeit neu zu erfinden. Allen voran sind Bring Me The Horizon zu erwähnen, aber auch Parkway Drive haben mit ihren letzten Alben eine neue Richtung eingeschlagen. Bury Tomorrow sehnt es jedoch anscheinend nicht nach großen Veränderungen – zumindest im Sound. Bei ihrem neuesten Longplayer können Fans der Band genau das erwarten, was sie die letzten fünf Alben lieben gelernt haben.

Bereits im Vorfeld der Veröffentlichung hat Sänger Dani Winter-Bates verkündet, dass die Band mit diesem Album einen detaillierten und unverschleierten Einblick in seine schwersten Momente der letzten Jahre liefere: „Die Wiederherstellung geistiger Gesundheit ist das, was Leben rettet. Ich möchte, dass die Menschen Licht in der Dunkelheit sehen. Wenn sie sich damit beschäftigen, können sie in der Diskussion darüber Trost finden. Darüber zu sprechen, bringt Normalität und positive Bewegung in das Thema“.

Die fünf Engländer versprechen, dass das Album das bislang persönlichste Kapitel der Bandgeschichte wird.

Bury Tomorrow nehmen die Hörer auf „Cannibal“ mit auf eine persönliche Reise

Der Titel des Albums – „Cannibal“ – soll sinnbildlich für das Aufgefressenwerden stehen. Einerseits durch die eigenen quälenden Gedanken und andererseits durch den unsolidarischen Umgang der Menschen miteinander.

Mit „Choke“ knallt der erste Track von „Cannibal“ härter als gewohnt aus den Boxen. Danis Shouts sind rauer und aggressiver. Wütend spuckt er in den ersten Zeilen des Albums seinen Frust über die eigenen zurückgehaltenen Worte aus. Sich verstecken zu müssen und die eigenen Emotionen zu verheimlichen führe bei ihm zum Gefühl, zu ersticken und innerlich zu zerbrechen. Der Chorus wird in gewohnter Bury Tomorrow-Manier von Jason Camerons weichem Cleangesang getragen und geht direkt ins Ohr. Das simple Reimmuster im Chorus von „Choke“ ist schnell zu merken und bleibt hängen.

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Es folgt der titelgebende Track „Cannibal“. Der Chorus scheint zum Mitsingen konzipiert und schwingt wie ein Jingle leicht dahin. Im Kontrast dazu beschreibt Dani mit seinen Lyrics, wie die abwertenden Kommentare anderer Menschen ihn innerlich auffressen. Seine Shouts in den Strophen sind beißend. Sie klingend schmerzverzerrt und passen zur Botschaft des Songs.

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Für den selbsternannten Auftrag des Albums, unverblümt über schwere Momente zu sprechen, bleiben die Lyrics jedoch erstaunlich vage und verstecken sich hinter Metaphern, wie man es aus alten Bury Tomorrow-Songs kennt, die sich zwischen mystischer Erzählung und verschleierter Gesellschaftskritik bewegen. Dieses Muster zieht sich auch durch die kommenden Tracks.

Die Vorab-Single „The Grey“ ist ein typischer BT-Song: Der zum Mitsingen designte Chorus trifft auf harte Gitarren-Riffs. Gerade der Mittelteil baut Spannung auf und lässt ausladende Circle Pits auf Live-Shows erwarten.

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Auch „Imposter“ kommt im gewohnten Sound daher. Inhaltlich geht es hier um das Imposter-Syndrom: Die Angst, nur eine Rolle zu spielen, die andere früher oder später aufdecken und das wahre Ich als unzureichend identifizieren. Diese Angst hat Sänger Dani lange auch in seiner Rolle als professioneller Musiker beschäftigt.

Mit dem vierten Song auf „Cannibal“ will er sich dieser endlich stellen:

„Please Imposter can’t you tell
That I’m spinning in this hell
Constant moments I can see
Cutting tears inside of me“

Die Gitarren liefern harte Riffs und temporeiche Soli, Danis Shouts stechen ins Trommelfell. Der Chorus aber bricht mit der aggressiven Stimmung der Strophen und den Lyrics. Es wirkt, als fehle Sänger Jason die stimmliche Varianz, um die Emotionen aus der Strophe mitzunehmen. Der Cleangesang bleibt wie immer sanft süßlich. Gut zum Mitsingen und Kopfwippen – im Gesamteindruck jedoch ein Bruch zum Rest.

„Better Below“ nimmt die seichte Mitsing-Stimmung mit und wirkt insgesamt sehr poppig. In den Strophen suchen Bury Tomorrow kurzweilig neue Ufer auf und klingen schon fast nach Being As An Ocean.

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Im nächsten Song, „The Agonist“, zwingt Dani seinen unerbittlichen inneren Kritiker auf die Bühne. Niemand werde ihn je so hart richten wie er es selber tue, sagt der Frontmann der Band.

„Pray
That the flame doesn’t burn
Beg
That the axe doesn’t swing
Ask
For your end to come quick“

Der Shout-and-Response-Part des Songs wirkt wie bereits tausend Mal gehört – steht Bury Tomorrow aber trotzdem gut. Härte, Dynamik und Spannungsbogen können die Fünf einfach gekonnt abliefern.

Mit „Quake“ versuchen sie sich an einem leicht veränderten Sound. Wie auch auf vorherigen Alben werfen die Südengländer einen ruhigen Track in den Ring. Im Vergleich zu älteren Balladen fügt sich dieser mit harten Shouts und einem atmosphärischen Mittelteil gut in das Album ein und erweitert die musikalische Spannbreite auf „Cannibal“.

Die letzten Songs des Albums wirken unauffällig. Als typische Bury Tomorrow-Songs laufen sie gut durch, bleiben aber weniger stark hängen als die ersten Tracks. Mit „Gods & Machines“ thematisiert die Band die Wirkung von Social Media und den Druck der perfekten Selbstdarstellung.

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„Voice & Truth“ überzeugt durch technische Schärfe und beeindruckenden Soli des Leadgitarristen Kristan Dawson. Das Album endet mit „Dark, Infinite“ und einigen klassischen, brutalen Breakdowns.

Anmerkung der Redaktion: Solltest du selbst das Gefühl haben, dass du dich in einer belastenden Situation befindest, dann kontaktiere bitte umgehend die Telefonseelsorge (www.telefonseelsorge.de). Unter der kostenlosen Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhältst du anonym Hilfe von Beratern, die mit dir Auswege aus schwierigen Situationen finden und eine tolle Stütze sein können. Danke, dass du es versuchst!

Credit: Music For Nations / Sony – Offizielles Pressebild

ALBUM
Cannibal
Künstler: Bury Tomorrow

Erscheinungsdatum: 03.07.2020
Genre:
Label: Sony Music
Medium: CD, Vinyl, etc

Tracklist:
  1. Choke
  2. Cannibal
  3. The Grey (VIXI)
  4. Imposter
  5. Better Below
  6. The Agonist
  7. Quake
  8. Gods & Machines
  9. Voice & Truth
  10. Cold Sleep
  11. Dark Infinite
Bury Tomorrow Cannibal
Bury Tomorrow Cannibal
8
FAZIT
Insgesamt verfolgen Bury Tomorrow auf „Cannibal“ den inzwischen etablierten Band-Sound. Textlich und musikalisch zieht sich eine klare rote Linie durch die elf Tracks. Hymnenhaft und episch kommen die Songs wie bereits auf dem Vorgängeralbum „Black Flame“ daher. Besonders überzeugend sind die neu eingeführten, härteren Shouts sowie die kleinen Experimente, die Bury Tomorrow in Songs wie „Quake“ eingehen. Die Gitarrenparts wirken technischer und ausgereifter und überzeugen besonders in den anspruchsvollen Soli.

Sänger Dani Winter-Bates geht den mutigen Schritt, mit seinen Lyrics offen über seine psychische Gesundheit und seine dunklen Momente zu sprechen. Etwas mehr Mut hätte die Band dagegen in der Vertonung dieser Texte wagen können. Oft scheint der Bruch zwischen dem gesungenen Inhalt und dem von Jason Camerons Cleangesang getragenen Chorus die Botschaft der Songs zu entkräften. Wünschenswert wäre gewesen, die aufgebaute Stimmung aus den Strophen auch im Cleangesang wiederzufinden. Dieser kommt jedoch immer sehr einheitlich daher. Genau dieser Gesang ist jedoch seit Jahren Bury Tomorrows Markenzeichen. Möglicherweise wäre ein Wandel dort eine zu große Abkehr von ihren breit geschätzten Wiedererkennungsmerkmalen.

Wo sich aktuell viele Bands von ihren Metalcore-Wurzeln emanzipieren, ist für alle, die Stabilität im klassischen Mix aus melodischen Gesang und brutalen Breakdowns suchen, auf Bury Tomorrow immer noch Verlass.