Review

PunkrockRock

Kritik: Anti-Flag - "Lies They Tell Our Children"

30 Jahre Anti-Flag – das Jubiläum im Jahr 2023 ist doch schon Grund genug, sich intensiv mit Album Nr. 13 ...

VON

30 Jahre Anti-Flag – das Jubiläum im Jahr 2023 ist doch schon Grund genug, sich intensiv mit Album Nr. 13 der Polit-Punker aus Pittsburgh, PA zu beschäftigen. „Lies They Tell Our Children“ steht in den Startlöchern und erscheint am 06. Januar. Parallel dazu gibt es auch eine kleine Akustik-Tour der beiden Fronter Justin Sane und Chris #2. Die Tour beinhaltet dabei einzig und allein Stopps in Deutschland. Mit Ausnahme der Show in Düsseldorf am 09. Januar ist sie allerdings schon restlos ausverkauft.

Anti-Flag? Auch 2023 immer noch relevant!

Das allein dürfte Zeichen genug sein, dass Anti-Flag auch im Jahr 2023 immer noch relevant sind. Und das aus gutem Grund. Selbst wenn die Band zur „Rock against Bush“-Zeit Anfang und Mitte der 2000er in Sachen Bekanntheit ihre Hochphase hatte, gab es auch davor und danach genügend politische und gesellschaftliche Themen, die sich die vier Herren immer wieder gerne vorgenommen haben.

Warum die Band in all der Zeit in Sachen Erfolg hinter befreundeten Bands wie Billy Talent oder Rise Against zurückgeblieben sind? Vermutlich weil diese die Message immer schon etwas wohliger verpackt haben. Sowohl lyrisch als auch musikalisch. Anti-Flag nehmen hingegen kein Blatt vor den Mund. Das zeigt sich schon im Opener „Sold Everything“, der im Singer/Songwriter-Stil daherkommt und zumindest musikalisch Lagerfeueratmosphäre vermittelt. Textlich macht die Band aber klar, was Sache ist. „Fuck the Pittsburgh Police and the president,too“.

Ein wahres Feature-Feuerwerk

In der Folge geht es dann auch musikalisch zur Sache. Besonders interessant: Gleich die ersten fünf Songs des Albums enthalten äußerst interessante Features. Der Community-Gedanke war Anti-Flag schon immer wichtig, jetzt haben sie ihn auch auf ihre Songs übertragen. Dabei sei angemerkt, dass sich die Gäste mal mehr, mal weniger auffällig einbringen. In „Modern Meta Medicine“, einer knallharten Abrechnung mit dem US-amerikanischen Gesundheitssystem, fällt der Part von Killswitch Engage-Sänger Jesse Leech nicht sonderlich auf. Überzeugen kann der auch musikalisch harte und schnelle Song dennoch.

In „Laugh.Cry.Smile.Die“ und „The Fight Of Our Lives“ fallen die Parts von Silversteins Shane Told und Rise Against-Fronter Tim McIlrath hingegen deutlich und positiv auf. Nicht zu vergessen auch das für Anti-Flag eher untypische, aber gelungene Gitarrensolo von Bad Religion-Legende Brian Baker, das „The Fight Of Our Lives“ noch einmal abrundet. Punkrock ist eben alles andere als tot.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Viel Bekanntes, aber auch neue Ansätze

Und was zeigen die Songs abseits der Gastparts? In erster Linie das, was man von Anti-Flag und insbesondere Justin Sane erwarten kann. Einprägsame Melodien, viele Singalong-Parts, eher einfache Songstrukturen. Hier werden Fans und Kritiker:innen gleichsam auf ihre Kosten kommen. Lyrisch sind Anti-Flag allerdings auch auf „Lies They Tell Our Children“ keineswegs so einfältig, wie man auf den ersten Blick meinen könnte. Über allem steht die Kapitalismuskritik als zentrales Motiv. Doch die einzelnen Songs haben alle eigene und äußerst differenzierte Schwerpunkte und Ansichten zu Imperialismus oder dem Kampf für mehr Arbeitnehmerrechte. Hier lohnt es sich, einmal genauer hinzusehen.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Ganz besonders prägt sich auch „Victory or Death“ ein. Nicht unbedingt, weil sich Die Toten Hosen-Sänger Campino hier verewigt. Sondern eher, weil die gerade genannten Eigenschaften eines Anti-Flag-Songs hier in Perfektion ausgespielt werden. Der Gesamtsound des Album ist im Übrigen keinesfalls schlecht. Aber „glatt gezogen“ trifft es als Beschreibung schon. Auch hier könnte man einwenden und fragen, ob das noch Punkrock ist. Andererseits haben Anti-Flag auch nie einen Hehl daraus gemacht, die Musik auch und vor allem als Ventil für ihre Aussagen zu nutzen. Und da kann es sicher nicht schaden, wenn der Sound die an den Mainstream gewohnten Ohren nicht übermäßig strapaziert.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Anti-Flag: Eine Weiterentwicklung im Songwriting

In der zweiten Hälfte des Album beweist die Band im Übrigen, dass sie keinesfalls auf Features angewiesen ist, um überzeugende Songs vorzulegen. Das kämpferische „Hazardous“ bleibt hier schon nach dem ersten Hören hängen. „Shallow Graves“ entwickelt sich auch ungeachtet des Gastparts von Tré Burt zu einem echten Geheimtipp der Platte.

Anti-Flag zeigen hier, dass sie nicht nur älter geworden sind, sondern vor allem auch eine musikalische Weiterentwicklung stattgefunden hat. Auch Chris #2 selbst ist davon überzeugt, dass die Band über die Jahre einfach besser darin geworden sei, die Songideen aus den Köpfen aufs Papier zu bringen. Und so ist „Shallow Graves“ eben ein Song, der nicht nur an Bruce Springsteen erinnert, sondern eben auch ein kompletteres und komplexeres Songwriting aufweist.

Auch „Only In My Head“ beweist zum Abschluss des Albums noch einmal, dass es der Band inzwischen jenseits der klaren und wichtigen politischen Haltung auch immer wieder gelingt, sich selbst zu reflektieren und das auch in Songs umzusetzen. Eine weitere Facette, die der Band gut steht. Und da Anti-Flag diese auf „Lies They Tell Our Children“ gut und in einem angemessenen Verhältnis verteilen, dürften Fans glücklich sein und Kritiker:innen nahezu verstummen. So startet man gerne ins neue Jahr. Vor allem dann, wenn es ein Jubiläum ist.

Foto: Josh Massie / Offizielles Pressebild

ALBUM
Lies They Tell Our Children
Künstler: Anti-Flag

Erscheinungsdatum: 06.01.2023
Genre: ,
Label: Spinefarm Records
Medium: CD, Vinyl, etc

Tracklist:
  1. SOLD EVERYTHING
  2. MODERN META MEDICINE (feat. Jesse Leach von Killswitch Engage)
  3. LAUGH. CRY. SMILE. DIE. (feat. Shane Told von Silverstein)
  4. THE FIGHT OF OUR LIVES (feat. Tim McIlrath von Rise Against + Brian Baker von Bad Religion)
  5. IMPERIALISM (feat. Ashrita Kumar von Pinkshift)
  6. VICTORY OR DEATH (WE GAVE 'EM HELL) (feat. Campino von Die Toten Hosen)
  7. THE HAZARDOUS
  8. SHALLOW GRAVES (feat. Tré Burt)
  9. WORK & STRUGGLE
  10. NVREVR (feat. Stacey Dee von Bad Cop/Bad Cop)
  11. ONLY IN MY HEAD
Anti-Flag Lies They Tell Our Children
Anti-Flag Lies They Tell Our Children
8.5
FAZIT
Seit 30 Jahren als Band aktiv, jetzt mit Album Nr. 13 am Start. Dass Anti-Flag auf "Lies They Tell Our Children" das Rad nicht vollkommen neu erfinden, war abzusehen. Doch zum einen gelingt es der Band, wichtige und aktuelle Themen musikalisch in ein modernes und mitreißendes Gewand zu packen. Und zum anderen mischt die Band auch wieder viel Rock in den Punk, wodurch das Album vielseitig und -schichtig wird. Die Daseinsberechtigung ist so auch mindestens für die nächsten 30 Jahre gesichert.