Review

Punkrock

Kritik: Anti-Flag - "20/20 Vision"

Ein altes Jahr endet, ein neues Jahr beginnt und alle fragen sich, was 2020 wohl bringen mag. Zum Glück gibt ...

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Ein altes Jahr endet, ein neues Jahr beginnt und alle fragen sich, was 2020 wohl bringen mag. Zum Glück gibt es gleich zu Beginn des Jahres das neue Album der Jungs von Anti-Flag. Diese bringen mit „20/20 Vision“ auf elf Songs ihre Ideen zum neuen Jahr auf den Markt und setzen damit ein ganz großes Ausrufezeichen. Wir hatten die Möglichkeit gehabt, vorab schon einmal in die Vision der Band hören zu dürfen und wollen euch selbstverständlich daran teilhaben lassen.

Wer die vierköpfige Band aus Pittsburgh während ihrer nun mehr als 25-jährigen Bandgeschichte und den damit verbundenen zwölf Alben verfolgt hat, weiß, dass politischer Wandel und das Aufzeigen sozialer Missstände schon immer ein Bedürfnis für Anti-Flag war. Bassist Chris #2 sagt dazu, dass die Band dabei immer Wert darauf gelegt hat, Probleme anzusprechen, die unabhängig von aktuellen Regierungen bestehen, sondern größer sind, als die aktuelle politische Situation.

Auf „20/20 Vision“ zieht die Band allerdings einen klaren Strich, der bereits bei Betrachtung des Albumcovers deutlich wird. Dieses zeigt nämlich POTUS Donald Trump, mit zwei roten „X“ vor dem Gesicht, die ein wenig an Stacheldraht erinnern. Auf diesem Album nimmt die Band bewusst und deutlich eine Gegenhaltung zur aktuellen Regierung der USA um Trump und Vize Mike Pence ein, so Chris #2. Für die Band ist es demnach nur noch möglich eine klare Meinung zur Politik aus dem Weißen Haus zu haben. Entweder man ist dafür oder dagegen.

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Mit „Hate Conquers All“ startet das Album gleich mit einem richtigen Knaller, der sowohl gradlinig als auch ausdrucksstark zeigt, worum es in den folgenden Tracks gehen soll. Die ersten Töne des Albums beinhalten eine Originalaufnahme von Donald Trump, gefolgt von Groupshouts, die sowohl die Wut des Albums, als auch den politischen Zeitgeist aufgreifen.

Ein Song, der in eine ähnliche Kerbe schlägt, ist „Christian Nationalist“. Um das Gesamtbild des Textes aufzubauen, beginnen Anti-Flag den Track mit Kirchenorgeln. Textlich behandelt der Song Personen, die sich hinter ihrem christlichen Glauben verstecken, wenn sie sich rassistisch äußern. Die Band schlüsselt es recht eindeutig auf: Derjenige, der sich rassistisch äußert, ist ein Rassist.

Ganz egal, welcher Religion die Person zugehörig ist. Dieses Verstecken deckt die Band gekonnt auf und legt damit den Finger in die Wunde, was durchaus das Ziel gewesen sein dürfte. Es geht der Band dabei darum, dass es ihrer Meinung nach sinnvoll für eine Gesellschaft wäre, zu wissen, welche Teile der Gesellschaft rassistisch eingestellt sind. Es müsse eine Rechtfertigung stattfinden, so Chris #2.

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Der Titelsong „20/20 Vision“ hat ebenfalls eine politische Aussage, betrifft die Band allerdings auch direkt. Es wird die Entwicklung angesprochen, die Anti-Flag in der Musikwelt in den letzten Jahren beobachtet haben. So werden musikalische Elemente, die aus dem Punk stammen, nun auch in eher konservativen und rechten Songs verwendet. Dies trifft die Anti-Flag schmerzlich, da sie sich selbst als eine der Band sehen, die den Weg des Punks über die letzten Jahre mitebnete und mitbeeinflusste. Zusätzlich sprechen sich die Vier mit Zeilen, wie „Carry on for the people or the gun“, für eine friedliche Gesellschaft aus und appellieren somit an den Hörer.

„Un-American“ ist ein Song, der in seinem gesamten musikalischen Gewand hervorsticht und daher auch im Kopf bleibt. Um den Kontrast zum Titel herzustellen, vereint das Stück diverse „typisch amerikanische“ Musikelemente und besitzt daher einen gewissen Country-Vibe. Hauptsächlich sind akustische Gitarren und Rasseln zu hören, während Sänger Justin Sane davon singt, dass man aus dem amerikanischen Traum aufwachen müsse und nicht die Augen vor aktuellen Geschehnissen verschließen solle. Hinzu kommt, dass sich die Musik trotz des gewollten Kontrastes zum Text aufbautechnisch am Gesang orientiert. So kann man im Hintergrund beispielsweise eine Marschtrommel hören, wenn es im Text um das Marschieren geht, oder es ertönt ein Knall, wenn es um das Hören eines Schusses geht. Der Song macht daher einen sehr stimmigen und vielschichtigen Eindruck und zeigt, dass aus musikalischer Sicht weit mehr hinter der „20/20 Vision“ steckt, als eine leicht verdauliche Parole.

Ein Song, der ebenfalls einen frischen Wind in das Album bringt, ist „The Disease“. Dieser ist zwar deutlich punkiger und animiert gleich zum Tanz, wirkt allerdings durch die musikalische Gestaltung und beispielsweise durch die Verwendung von Stimmverzerrung im Mittelteil recht modern und auflockernd im Bezug auf das Gesamtbild des Albums. Weitere musikalische Experimente sind allerdings nicht zu finden. Während die eine Marschrichtung von „20/20 Vision“ eher darauf abzielt, Missstände gezielt anzusprechen, richtet sich der andere Teil der Songs direkt an die Zuhörer, besonders an diese, die eine schwere Zeit durchmachen oder für ihre Meinung aufstehen.

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„Don’t Let The Bastards Get You…“ ist einer dieser Songs, der sich für Meinungsfreiheit stark macht und den Hörer dazu ermutigen soll, seine Stimme zu erheben. Trotz des recht deutlichen Tones, der im Text angeschlagen wird, ist der Gesamtsound des Songs eher positiv, in einem mittleren Tempo gehalten und besitzt einen Hymnencharakter, da er sehr einprägsam ist.

„Unbreakable“ ist ebenfalls ein Track, der an die eigene Stärke appelliert und textlich dafür spricht, den eigenen Weg zu verfolgen. Ein eher klassisches Thema des Punks, welches sich auch in der Musik widerspiegelt. Den Abschluss des Albums bildet „Resistance Frequencies“, der unterm Strich quasi eine Zusammenfassung des gesamten Albums darstellt. Mit seinem „folkigen“ Sound, bereichert durch zusätzliche Instrumente wie Bläser, versprüht der Song ein positives Gefühl, wenngleich er ernste Fragen aufwirft; nämlich, ob der Zuhörer passiv zu den aktuellen weltweiten Entwicklungen steht, oder ob er aktiv etwas bewirken möchte.

Anti-Flag selbst wollen sich weiterhin aktiv positionieren und sagen selbst über das Album, dass es in der Zukunft hoffentlich auch als eins in Erinnerung bleibt, das sich gegen die derzeitigen Entwicklungen stellt und nicht mit dem Strom schwimmt. „Resistance Frequencies“ ist definitiv ein gelungener Protestsong, der allerdings weniger wütend klingt und generell in einem eher massentauglicheren Gewand daher kommt. Der Sound des abreißenden Tonbandes bietet zwar einen gelungenen, wenn auch kurzen Bezug zum Beginn des Albums, generell ist die Darstellung allerdings weniger neu.

Foto: Jake Stark / Offizielles Pressebild

ALBUM
20/20 Vision
Künstler: Anti-Flag

Erscheinungsdatum: 17.01.2020
Genre:
Label: Spinefarm
Medium: CD, Vinyl

Tracklist:
  1. Hate Conquers All
  2. It Went Off Like A Bomb
  3. 20/20 Vision
  4. Christian Nationalist
  5. Don't Let The Bastards Get You Down
  6. Unbreakable
  7. The Disease
  8. A Nation Sleeps
  9. You Make Me Sick
  10. Un-American
  11. Resistance Frequencies
Anti-Flag 20/20 Vision
Anti-Flag 20/20 Vision
7.5
FAZIT
Auch wenn Anti-Flag mit „20/20 Vision“ das Rad nicht neu erfinden, bleiben sie definitiv eins: Authentisch. Die Jungs haben ihre eigene Regel gebrochen und nehmen Bezug auf aktuelle politische Entwicklungen und Tendenzen. Hierzu gibt es eine ganz klare Meinung, die sie gewohnt direkt präsentieren.

Das zweite Themenfeld ist, ebenso wie die politische Haltung, ein urpunkiges Thema. Es geht um das Individuelle im Menschen, darum; seine Meinung zu sagen und sich nicht unterkriegen zu lassen. Großartig weitere thematische Schwerpunkte lassen sich auf den elf Songs allerdings nicht ausmachen.

Stilistisch bleibt sich die Band treu und schreibt sowohl fröhliche, als auch vor Wut geladene Songs, die gradlinig nach vorne gehen. So etwas wird dem ein oder anderen bereits schon einmal zu Ohren gekommen sein, wodurch das Innovative lediglich in Nuancen zu finden ist. „Hate Conquers All“ ist der Song, der wahrscheinlich das größte Potential zum Ohrwurm hat. Abschließend kann man sagen, dass „20/20 Vision“ definitiv solide Kost ist, nicht enttäuscht, aber auch nicht wirklich zu überraschen vermag.