Review

GrungePost-HardcorePunkrock

Kritik: Alexisonfire - "Otherness"

Als Band die ihren Peak in den 2000ern hatte, hat man es in der heutigen Zeit verdammt schwer. Zusammen mit ...

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Als Band die ihren Peak in den 2000ern hatte, hat man es in der heutigen Zeit verdammt schwer. Zusammen mit ihren Helden von früher kommt der harte Kern an Fans gerade in ihre 30er/40er und tut sich zunehmend schwerer zu neuem Material die gleiche emotionale Verbindung aufzubauen. Als Artist bleibt am Ende nicht mehr viel übrig, als selbstsicher weiter fortzuschreiten oder zu einem reinen Nostalgie-Act abzudriften. Die Post-Hardcore-Legenden von Alexisonfire haben ihren Kurs über die Jahre mehrfach geändert.

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Ihr erster Longplayer seit 2009

Nach ihrer Reunion im Jahr 2015 beschlossen die Kanadier zunächst die Nostalgieschiene zu fahren und in zahlreichen energiegeladenen Liveshows die guten alten Hits von “Crisis” (2006) und Co. zu zelebrieren. Erst 2019/2020 entschied sich die Band dazu, neues Material zu veröffentlichen – aber irgendwie wollte der Funke noch nicht so ganz überspringen. Das was fehlte war ein Statement. Was macht Alexisonfire heutzutage aus? Es brauchte wohl eine Pandemie, um endlich zu zeigen, was im Jahre 2022 noch in ihnen steckt.

Vom Cover her könnte man fast schon denken, dass The Cure-Frontmann Robert Smith für dieses posiert hat. Aber keine Sorge; “Otherness” – Studioalbum Nummer fünf der Kanadier – bietet kein neues “Friday I’m In Love”. Schon gleich das als Lead-Single veröffentlichte “Sweet Dreams of Otherness” schaffte es zusammen mit der Albumankündigung erstmals wieder, neugierig zu machen, was Alexisonfire noch in ihrer Karriere auf Lager haben. Das stampfende und mit dreckigen Grunge-Riffs daherkommende Stück fühlte sich trotz des großen Fokus auf Dallas Green endlich wie das eingangs erwähnte und benötigte Statement an.

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Die weiteren Singles – das zügige “Reverse the Curse” und das verträumte “Sans Soleil” – zeigten nach und nach aber auch immer mehr Fragezeichen auf, was uns denn letztendlich genau auf dem neuen Langspieler erwarten sollte. Gepaart mit der ungewöhnlichen visuellen Präsentation deuteten alle Zeichen darauf hin, dass Alexisonfire auf “Otherness” zu gleichen Teilen den altbekannten Sound wiederbringen, aber auch viel neues Terrain betreten werden. Am Ende erfüllt die Platte genau diese Erwartungen und überrascht durchaus durch sehr vielseitiges Songwriting – auch wenn nicht jeder Handgriff sitzt.

Alexisonfire glänzen mit rauem Grunge-Sound

Der Opener “Committed to the Con” beginnt mit einer kratzigen Rhythmusgitarre, die gepaart mit einer bedrohlichen Lead in kürzester Zeit eine enorme Spannung aufbaut. Nach und nach entfacht vor allem Drummer Jordan Hastings durch sein geschmackvolles Schlagzeugspiel das Feuer, bis letztendlich Dallas Green mit seiner unvergleichbaren Stimme den Chorus durchschneidet. Zusammen mit Songs wie “Blue Spade” oder eben dem Titeltrack bilden diese sehr passend die neue Grunge-Facette ab, die der Band wirklich ausgezeichnet steht.

Ebenfalls neu ist die starke Fokussierung auf Clean-Sänger Dallas Green, der bei Songs wie “Sans Soleil” und “Mistaken for Information” die stimmliche Führung komplett übernimmt und im ausschweifenden Closer “World Stops Turning” schon fast City & Colour-Feeling heraufbeschwört. Fans der härteren Gangart dürfte dieser Fokus gepaart mit dem Einsatz von Synths, Chimes und Akustikgitarren zwar missfallen, andererseits gehen Shouter George Petit und Gitarrist Wade MacNeill auch in ihren unterstützenden Rollen gänzlich auf. Zudem sind die Songs auch sinnig im Gesamtkontext der Platte platziert.

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Außerdem kommen die schnellen Punk- und Post-Hardcore-Nummern nicht zu knapp. “Conditional Love”, “Survivor’s Guilt” als auch das vorab veröffentlichte “Reverse the Curse” besitzen ordentlich Zug und eine Menge bissiger Riffs, die ausreichend Futter für die Moshpits bieten. Hier darf sich Shouter George Petit wieder mehr austoben, auch wenn er nicht in jedem Moment glänzen kann. Vor allem bei “Dark Night of the Soul” ähneln seine alleinigen Parts fast schon einem angestrengten Krächzen. Oftmals benötigt er einfach das Volumen von Wade MacNeills Shouts als Stütze.

Probleme in der Produktion

Letztendlich lässt sich aber festhalten, dass auch der Mix der Band nicht immer in die Karten spielt. Die rohe und ungestüme Produktion mag zwar gut zu ihrem Mix aus Punk, Grunge und Hardcore passen, ab und an stechen Elemente wie Shouts oder die Becken aber unangenehm heraus und schmälern das Hörerlebnis ein wenig. Zudem lässt sich fast schon eine gewisse Inkontinuität feststellen, da die ersten beiden Tracks durchaus ordentlich Druck besitzen, der in Songs wie “Dark Night of the Soul” oder “Survivor’s Guilt” ein Stück weit fehlt. Einen weiteren Dorn im Ohr bilden die viel zu weit nach hinten gerückten Vocals bei “Reverse the Curse”.

Auch das Songwriting ist auf “Otherness” ein zweischneidiges Schwert. Während man der Band durchaus großen Mut zuschreiben kann so viele neue Wege zu gehen, wirken manche Momente etwas zu gewollt und wenig funktionell. So erfüllt das harte Synth-Opening von “Survivor’s Guilt” keinen Zweck und ist einfach nur da. Auch die ergänzten Shouts im Solo des Closers “World Stops Turning” wirken fast lediglich wie ein Reminder, dass besagter Song kein City & Colour-Song ist. All diese kleinen Probleme führen am Ende dazu, dass nicht ganz ein Schuh aus “Otherness” wird.

Schlussendlich lässt sich festhalten, dass Alexisonfire großen Willen mitbringen, mehr als eine Band zu sein, die ihren Zenit überschritten hat. Und zu großen Strecken zeigen sie auch wirklich, dass mit ihnen auch in 2022 noch zu rechnen ist. Dass sie sich auf dem Weg in eine neue Ära beim Songwriting ein wenig verzetteln und bei einer kompletten Eigenproduktion hier und da vertun, ist definitiv verzeihbar. Im besten Fall können wir darauf hoffen, dass die Kanadier vielleicht mit ihrer nächsten Scheibe das perfektionieren, was sie auf ihrem immer noch wirklich sehr hörenswerten fünften Album “Otherness” begonnen haben.

Foto: Vanessa Heins / Offizielles Pressebild

ALBUM
Otherness
Künstler: Alexisonfire

Erscheinungsdatum: 24.06.2022
Genre:
Label: Dine Alone Records
Medium: CD, Vinyl, etc

Tracklist:
  1. Committed To The Con
  2. Sweet Dreams Of Otherness
  3. Sans Soleil
  4. Conditional Love
  5. Blue Spade
  6. Dark Night Of The Soul
  7. Mistaken Information
  8. Survivor's Guilt
  9. Reverse The Curse
  10. World Stops Turning
Alexisonfire Otherness
Alexisonfire Otherness
7
FAZIT
Alexisonfire schreiben mit ihrem fünften Studioalbum eine Ode an die Außenseiter dieser Welt. Anders als bei ihren 2019/2020er Singles klingen die Kanadier auf “Otherness” angenehm erfrischend und agieren selbstsicher in ihrem dreckigen Mix aus Punk, Grunge und Hardcore. Dabei wird der Fokus auch auf stimmige Weise vermehrt auf ruhigere Momente unter der Führung von Clean-Sänger Dallas Green gelegt. Zwar lassen sich produktions- und songwriting-technisch durchaus noch Schwächen aufzeigen, dennoch können die Post-Hardcore-Legenden immer noch voll und ganz durch ihren Mut zur Änderung sowie starke Einzelperformances überzeugen.