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Kritik: Trade Wind – „Certain Freedoms“

Es ist im Grunde nichts Neues. Musiker, die wir Fans der härteren Töne bislang nur schreien und Breakdowns schreddern hörten, ...

VON AM 26/04/2019

Es ist im Grunde nichts Neues. Musiker, die wir Fans der härteren Töne bislang nur schreien und Breakdowns schreddern hörten, werden in ihren Nebenprojekten ruhig und sanftmütig. Ein populäres Bespiel ist Dallas Green, Sänger und Gitarrist bei Alexisonfire, und sein Ein-Mann-Akustik-Programm City and Colour. Trade Wind ist ein solches Nebenprojekt.

Jesse Barnett von Stick To Your Guns und Tom Williams von Stray From The Path haben sich 2013 zusammengetan, um ein musikalisch weniger aggressives Terrain zu erkunden. Ein Jahr später folgte die Debüt-EP „Suffer Just To Believe“ und 2016 erschien die erste LP „You Make Everything Disappear“. Kennengelernt habe ich Trade Wind durch diese Veröffentlichungen mit dunklen Lyrics und einer bedrückenden Schwere im verzerrten Gitarrensound. Auch wenn die frühen Songs der Band an Tempo und Härte gespart haben, waren die Wurzeln der Frontmänner im Hardcore doch deutlich zu vernehmen. Mit ihren neuen Longplayer „Certain Freedoms“ wollen Trade Wind jedoch mehr Freiheiten nehmen.

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Das Artwork von „Certain Freedoms“ zeigt einen bunten Heißluftballon auf den ein Nagel und Hammer angesetzt werden. Thematisch dreht sich das Album allerdings nicht um zerplatzte Träume oder enttäuschte Hoffnungen, sondern um die Wertschätzung zwischenmenschlicher Beziehungen, die Akzeptanz von komplizierteren Phasen, um Loyalität und Durchhaltevormögen. Jesse Barnett will sich dabei von selbstabwertenden Aussagen in seinen Texten abwenden und auf positivere Botschaften fokussieren. Sein Auftrag mit den neuen Lyrics sei es, zu erzählen, welche Lehren er aus schwierigen Situationen gezogen hat. Wie ist Trade Wind der Auftrag zu mehr Positivität gelungen?

Das Album beginnt ganz leise. Der Opener „Surrender“ klingt wie ein lang gestrecktes Intro. Jesse Barnetts Gesang verbleibt bei einem Flüsterton. Helle Akkorde werden langsam angeschlagen und bleiben lange stehen. Es wirkt, es würde „Surrender“ den Hörern und Hörerinnen erst einmal Raum geben wollen, um sich in den neuen Sound der Band einzufinden.

Es folgt die Vorabsingle „No King But Me“, die ein Appell an mehr Selbstwertgefühl darstellt. In den Strophen klingt der Song nach einem ruhigen Jimmy Eat World. Im Refrain bricht der Gesang aus und bringt raue Schreie in das Arrangement aus Akustikgitarren und zurückhaltenden Rhythmusinstrumenten. Dieser unkonventionelle Gegensatz vom Stimme und Melodie funktioniert für mich hier leider nicht. Die Akustikgitarre nimmt zu sehr die Spannung und den emotionalen Druck aus Barnetts Gesang.

Auch im dritten Song des Albums „Close Encounters (of the 3rd floor)” gibt es einen schönen Ausbruch aus der ruhigen Anfangsstimmung nach eineinhalb Minuten. Stark verzerrte Gitarren und Stimmen erinnern nun doch an wieder an frühere Trade Wind-Songs. Der Sound erinnert an Shoegaze-Bands und bringt somit ein unerwartetes Klangbild.

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„I Can’t Believe You’re Gone” zeigt eindrücklich, wie Trade Wind neue musikalische Einflüsse aufnimm. Der Song startet wie ein Jazz-Track, der in einer Hotellobby gespielt wird. Lyrisch bearbeitet „I Can’t Believe You’re Gone” indirekt genau diese Hotellobbies: Barnett erklärt, dass es sich beim dem Lied um die Schwierigkeiten für ständig verreisende Musiker, eine Partnerschaft zu führen, dreht. Das Klangbild wandelt sich sehr schön von einem düsteren, muffigen zu einem hoch schimmernden und farbenfrohen Sound. Der selbstgesetzte Fokus auf helle Klänge und Positivität wird hier deutlich herausgearbeitet.

Es folgt der titelgebende Track „Certain Freedoms“. Für mich ist das der überzeugendste Song des Albums. Er ist lauter und schneller als der Rest und holt mich damit bei meinem gewohnten Hörempfinden ab. Der Refrain lädt zum Mitsingen ein. Mit klaren Gesang und einfachen Reimen geht er sofort in Ohr:

„I can’t stay
Certain freedoms drift me
And wash me away
Honest feeling
Lift me and help me reclaim”

Besonders im Chorus erinnern Trade Wind hier deutlich an ruhige Momente von Thrice. Aber zum Ende hin klingt die fröhliche Leadmelodie schon fast nach einem Werbejingle. Es wirkt, als sei die Band hier mit der Ambition, leicht und hell zu klingen, etwas über die Stränge geschlagen. Trotzdem ist es für mich der beste Song des Albums, auch weil er in Radiohead-Manier mit einem lang gezogenen Fade-Out endet. Im Gegensatz zu den ruhigeren Songs des Albums steht in „Certain Freedoms“ Barnetts starker Cleangesang im Vordergrund, was der Band eine bessere Profilbildung verleiht.

In der zweiten Hälfte des Albums reihen sich mehrere Lieder aneinander, die leider unauffällig an mir vorbeilaufen. „Moonshot“, „Cut“ und „Untitled II“ sind mir zu ruhig und ereignislos, als dass sie mir im Kopf bleiben würden. Die Songs sind leise, aber kommen weder eindeutig als intime Akustiknummer, wie so einige City and Colour Songs, noch als druckvoller emotionaler Song heraus. Zusammen mit „How’s Your Head_“ arbeiten sie jedoch das Leitmotiv des Albums stärker aus: leiser, zärtlicher Gesang, über dem klare und hohe Gitarrenmelodien liegen.

„Flower Mashine“ bringt erfreulicherweise noch einmal Barnetts Stimmenvolumen zur Geltung. Ohne laut werden zu müssen, klingt der Song aufgebracht und emotional aufgewühlt. Der Gesang wirkt wie ein unterdrücktes Schreien und erinnert an die Heimat des Sängers in Stick To Your Guns.

Am Ende des Albums überrascht „Beige“. Der Song startet ähnlich wie „I Can’t Believe You’re Gone” mit einer effektbeladenen Doppelmelodie, die hier beinahe japanisch klingt. In der Mitte brechen jedoch sowohl Gitarren und Gesang in eine gewohntere Härte aus. Mit diesem kraftvollen Anstieg hätte der Longplayer enden sollen. Es folgt jedoch noch ein sehr ruhiger Song, der dem Gesamteindruck von „Certain Freedoms“ keine neuen Nuancen verleiht.

Fazit:

Für das neue Trade Wind-Album müssen sich eingesessene Fans auf einen Stilbruch einstellen. Gerade die Gitarrenmelodien lassen den gewohnten Sound der Band durchklingen, doch wurde für „Certain Freedoms“ ein großer Teil der Härte und des Tempos früherer Songs weggenommen. Die leisen und sanften Songs klimpern allerdings zum Teil zu ereignislos dahin, als dass sie mich emotional berühren könnten. Fans von den ruhigen Seiten von Thrice oder folkigem Alternative Rock kommen auf ihre Kosten. Wirklich neu ist das Gebotene jedoch nicht. Durch den sommerlichen Klang des Albums kann ich es mir gut als Hintergrundmusik zu warmen Abenden unter Freunden vorstellen. Das passt auch zur Botschaft der Texte: wertschätzt eure engen Freunde, schlagt euch auch durch miese Zeiten durch.

Wertung: 6/10

Band: Trade Wind
Album: Certain Freedoms
Veröffentlichung: 26.04.2019

Trade Wind Stick To Your Guns

Offizielle Website der Band

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