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Simple Plan: „Manche haben uns mit Flaschen beworfen“
Drummer Chuck Comeau im Gespräch.
VON
Tobias Tißen
AM 12/08/2025
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„Du bist bei Simple Plan, oder?“ – das war früher keine harmlose Fanfrage, sondern oft der Anfang einer Konfrontation. „Ich hatte keine Ahnung, was als Nächstes kommt“, erinnert sich Chuck Comeau, Drummer und treibende Kraft bei Simple Plan, im Interview, „sagen sie: ‚Ich liebe eure Band‘ – oder: ‚Alter, ihr seid der letzte Scheiß‘?“
„Du hattest immer diese Unsicherheit in dir: Ich weiß nicht, was jetzt gleich passiert. Und manchmal wurde es sogar handgreiflich“, führt Chuck weiter aus, „die haben angefangen, dich zu schubsen, aggressiv zu werden. Manche haben uns auf der Bühne sogar mit Flaschen beworfen.“
Ein Grund dafür: Simple Plan passten nicht so richtig rein. „Zu Pop für Punk, zu Punk für Pop“ – so wurden sie oft abgestempelt. Was heute vielleicht wie eine Schublade klingt, war damals mehr: ein Makel, eine Einladung zur Ablehnung. „Das hat mit unserem Selbstbewusstsein richtig was gemacht“, sagt Chuck offen.
Mittlerweile kann er ganz nüchtern von diesen Momenten aus den frühen 2000ern erzählen, als Simple Plan mit Hits an der Schnittstelle zwischen Pop-Punk und Pop-Pop wie „I’m Just A Kid“ und „Perfect“ MTV und die Charts stürmten. Unter seinem Schmunzeln merkt man aber, dass es ihn – genauso wie seine Bandmitglieder – einmal schwer belastet hat.
In der Dokumentation „Simple Plan: Die Kinder im Publikum“ („The Kids In The Crowd“), die ihr jetzt auf Amazon Prime Video streamen könnt, nimmt die Ablehnung, die die Band erfahren hat, einen großen Part ein. Und es sind genau diese Geschichten, die die Doku von anderen Filmen über Bands oder berühmte Personen abheben. Es ist ein Dokument über Durchhaltevermögen, Außenseitertum – und die Frage, wie man 25 Jahre Bandgeschichte übersteht, ohne daran zu zerbrechen.
„Die Doku war gar nicht unsere Idee.“
Dass wir uns die bewegte Geschichte von Simple Plan nun in knapp 90 unterhaltsamen Minuten anschauen können, lag übrigens nicht an den Kanadiern selbst.
„Ehrlich gesagt war es gar nicht unsere Idee“, sagt Chuck, „wir wurden von Prime angesprochen: ‚Wollt ihr eure Geschichte erzählen?‘“ Anschließend hätte man erst mal überlegt und abgewogen: Wollen wir das wirklich? Die Vergangenheit aufrollen? Alles offenlegen? Uns selbst beim älter werden zusehen?
Schlussendlich lautete die Antwort aber ja – denn es schien einfach wie der passende Moment: „Wir feiern gerade unser 25-jähriges Bandjubiläum – und das fühlt sich an wie ein wirklich bedeutender Meilenstein in unserem Leben und in unserer Karriere.“
Was dann entstand, ist kein polierter Rückblick mit eingebauten Jubel-Pausen. Sondern ein ehrlicher Film über Höhen, Tiefen – und ein paar unangenehme Wahrheiten. Chuck berichtet: „Wir wollten den Vorhang ein Stück lüften. Dinge zeigen, die wir vorher nie gezeigt haben. Ehrlicher sein als je zuvor.“
Dabei war es ihnen gerade wichtig, die Kontrolle nicht komplett zu behalten – auch wenn das bedeutete, unangenehme Fragen zuzulassen: „Der Regisseur hatte seine eigene Sicht. Wir hätten nicht den gleichen Film gemacht. Aber genau deshalb hat er Dinge gesehen, die wir selbst nicht gesehen hätten.“
Beispiele dafür sind zum einen der bereits erwähnte Hass, der der Band aus Teilen der alternativen Szene – zu denen Simple Plan ja eigentlich selbst gehörte – entgegenschlug. Zum anderen das Verhältnis von Chuck und Frontmann Pierre. Der war Ende der 1990er nämlich maßgeblich daran beteiligt, dass Chuck die Simple-Plan-Vorgängerband Reset verließ bzw. verlassen musste. „Wenn du selbst drinsteckst, siehst du manche Themen einfach anders. Die Perspektive von außen war wichtig“, erklärt der Drummer.
„Wir haben buchstäblich alles gefilmt.“
Was dem Ganzen zusätzliche Tiefe gibt: das schier endlose Archivmaterial der Band.
„Wir haben buchstäblich alles gefilmt – seit Tag eins. Jede Geschichte, die wir erzählen, wird durch Videomaterial belegt“, erzählt Chuck zufrieden. Und das kann er sein: Wo viele Dokumentationen größtenteils auf Talking Heads und Ausschnitte aus TV-Sendungen setzen müssen, ist „The Kids In The Crowd“ maximal authentisch.
Das bedeutet aber auch: Cringe-Momente nicht rausschneiden. Naive Aussagen, schräge Outfits, Selbstzweifel. Alles bleibt drin.
Chuck: „Wenn wir unsere Geschichte erzählen wollten, mussten auch diese peinlichen Momente rein – wo wir naiv klingen oder keine Ahnung haben. Aber genau das ist unsere Geschichte. Man kann das nicht einfach löschen.“
Was schlussendlich daraus geworden ist, hat selbst den 46-jährigen Musiker überrascht: „Es trifft mich immer noch. Ich habe die Doku oft gesehen – und ich habe wirklich ein paar Tränen vergossen. Das ist unser Leben. Alles, was uns wichtig ist. Es kommt von Herzen.“
„Das größte Geschenk, das du als Songwriter bekommen kannst.“
Apropos Tränen. Ein Part der Doku ist auch den Fans von Simple Plan gewidmet – und das ist auch der, der am meisten ans Herz geht. „Da war jemand, der gesagt hat: ‚Ich wollte mir das Leben nehmen – und dann hab ich euren Song gehört. Und das hat mich gestoppt‘“, berichtet Chuck von einer Begegnung mit einem Fan.
Und es sind nicht nur diese dramatischen, existenziellen Geschichten. Manchmal ist es auch kleiner, leiser – aber nicht weniger bedeutend: „Du wirst Teil der Geschichte anderer Menschen. Und das ist das größte Geschenk, das du als Songwriter bekommen kannst.“
„Pop-Punk ist wieder da – und Simple Plan erfolgreicher denn je!“
Was die Doku ebenfalls deutlich macht: Simple Plan haben nie aufgehört. Sie waren nie weg, sind noch immer fast in Originalbesetzung unterwegs. Aber wie die meisten anderen Genre-Kollegen mussten sie zeitweise lernen, sich von den ganz großen Bühnen dieser Welt zu verabschieden und von Arenen wieder in Clubs wechseln.
Aber: „Seit dem Ende der Pandemie ist Pop-Punk wieder am Start“, sagt Chuck. „Die Leute kehren zurück zu den Songs ihrer Jugend – als das Leben noch einfacher war.“ Und so kann das Band-Gründungsmitglied anschließend auch zurecht stolz grinsend bestätigen, dass Simple Plan gerade erfolgreicher ist als je zuvor.
Um das zu sehen, braucht es aber eigentlich kein Interview. Auf der gerade gestarteten Welttournee machen die Kanadier auch in Deutschland Halt – und füllen zusammen mit The Offspring unter anderem die Uber Arena in Berlin, die Olympiahalle in München und die LANXESS arena in Köln.
Tourdaten
The OffspringSupercharged Worldwide Tour 2025
Special Guest: Simple Plan
- 27.10.2025 – Berlin, Uber Arena
- 28.10.2025 – Hamburg, Barclays Arena
- 30.10.2025 – München, Olympiahalle
- 02.11.2025 – Frankfurt, Festhalle
- 05.11.2025 – Köln, Lanxess Arena

„Wir wollen wieder schreiben!“
Aber Simple Plan denken gar nicht daran, nach 25 Jahren und einer eigenen Dokumentation auf dem Peak ihres Erfolges kürzer- oder gar abzutreten.
„Wir wollen nicht einfach nur die alten Songs spielen. Wir wollen inspiriert bleiben, neue Musik schreiben. Das ist es, was uns antreibt“, bekräftigt Chuck.
Schon der Song „Nothing Changes“, den Simple Plan eigens für die Doku geschrieben haben, war mehr als ein Bonus-Track. „Dieser Song hat uns beim Schreiben gezeigt, wie viel Energie wir noch haben. Es fühlte sich wirklich wie ein Neuanfang an.“
Und mit genau dieser Energie will die Band weitergehen. Nicht aus Pflichtgefühl. Sondern, weil da immer noch etwas brennt: „Die Arbeit an der Doku hat uns inspiriert zu fragen: Was wollen wir als Nächstes machen? Wir wollen weitermachen. Wir wollen wieder schreiben.“ Und das schon im nächsten Jahr, wenn der Tour-Marathon vorüber ist. Wir dürfen uns also vielleicht schon 2026 auf neues Material von Simple Plan freuen.
Und die Moral von „Simple Plan: Die Kinder im Publikum“?
Am Ende geht es bei all dem – der Doku, den Songs, den Flaschenwürfen, den Tränen, der Bühne, den 25 Jahren – um eine Frage, die viel größer ist als Musik:
„Ich hoffe, der Film inspiriert Menschen, ihren Traum weiterzuverfolgen – egal was es ist. Es geht nicht nur um Musik. Es geht darum, nicht aufzugeben“, antwortet Chuck auf die Frage, was Zuschauer aus der Doku mitnehmen sollen.
Man kann das naiv finden. Oder pathetisch. Aber es ist schwer, es dem sympathischen Schlagzeuger nicht zu glauben, wenn er es sagt. Weil er längst selbst der Beweis dafür ist.
Warum? Das verrät euch „Die Kinder im Publikum“. Also los – Fernseher an, losstreamen und wieder „just like a kid“ fühlen!
Foto: Skyler Barberio / Offizielles Pressebild
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