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Interview

Lamb Of God-Bassist John Campbell im Interview: „Wir werden wieder zu dem Punkt kommen, an dem wir waren, bevor all das passiert ist“

Der Musiker über die Zukunft nach der Pandemie, das neue Album und die Rassismus-Debatte in den USA.

VON AM 24/09/2020

In der vergangenen Woche konnten Fans den exklusiven Live-Stream Lamb of God zum gleichnamigen Album sehen. Dort spielte die Gruppe aus Richmond, Virginia die komplette Platte und wurde zusätzlich im Vorprogramm von niemand geringerem als Bleed From Within unterstützt.

Unser Kevin hatte die Möglichkeit, ein Interview mit Lamb of God-Bassist John Campbell führen zu können. Darin ging es selbstverständlich über den vergangenen und den kommenden Stream, die aktuelle Situation der Band nach Release der Selftitled-Scheibe im Juni 2020 und der Zukunft der Metal-Giganten.

Lamb Of God-Bassist John Campbell im Interview

Kevin | MC: Ich denke, dass es in der aktuellen Zeit erst einmal wichtig ist zu fragen, wie es dir und der Band geht?

John: Ich denke, dass es uns ähnlich zu jeder anderen Person in der Welt geht. Wir befinden uns alle in einer Zeit mit einer ungewissen Zukunft und wir versuchen mit dem, was wir können, unser Bestes daraus zu machen. Wir wollen über den Dingen stehen, und darum machen wir auch solche Sachen wie diesen Live-Stream. Es ist wirklich toll, etwas Positives zu haben, worauf man hinarbeiten kann. In vielerlei Hinsicht geht es uns also wirklich sehr gut, da wir die Möglichkeit haben, diese Live-Streams überhaupt machen zu können.

Kevin | MC: Am Samstag habt ihr euren ersten Konzert-Stream gespielt. Wie hast du diese Erfahrung wahrgenommen und was hältst du von diesem Konzept?

John: Es war unser erster Stream und auch das erste Mal, dass wir unser neues Album von vorne bis hinten gespielt haben, natürlich mit ein paar weiteren Songs in der Mitte. Es war toll, wieder auf der Bühne zu sein, das Licht zu sehen, ich hatte wieder In-Ears in den Ohren, der Sound war unglaublich, abzüglich des fehlenden Krachs durch die Crowd. Es lief alles wirklich perfekt.

Wir hatten Licht in den Augen, sodass man nicht immer alles sehen kann, aber wenn du zwischen die Scheinwerferstrahlen gesehen hast, dann war niemand anderes da, du hast kein Feedback bekommen und die Energie, die dir sonst entgegenkommt, war nicht da. Es hat also nicht so viel Spaß gemacht, wie es bei einer Live-Show mit Publikum der Fall gewesen wäre. Es war aber toll, dass wir die Möglichkeit hatten, zu performen, und es war mehr als nur eine Probe.

Wir haben nicht nur rumgestanden, mit fleckigen T-Shirts und dabei Kaffee getrunken. Es war interessant und ein weiterer Stream kommt ja noch. Das, was wir als Live-Performance verstehen, würde ich vorziehen, aber ich würde einen weiteren Live-Stream nicht ablehnen.

Kevin | MC: Unterscheiden sich die Vorbereitungen als Band für eine solche Show, im Vergleich zu einer Show vor Publikum?

John: In diesem Fall definitiv, da wir ein Album von Anfang bis Ende gespielt haben, was wir vorher noch nie getan haben. Besonders, wenn wir von „Ashes of the Wake“ sprechen, welches wir beim kommenden Stream spielen werden. Das Album kam 2004 heraus und wir haben es nicht mehr gespielt, seit das Album aufgenommen wurde. Ich hätte gedacht, dass wir es ni wieder live spielen würden.

Bei diesem Album mussten wir uns noch einmal hinsetzen und herausfinden, was die Arrangements für einzelne Songs waren, bevor wir sie live spielen. Man sitzt also eine ganze Menge Arbeit zu Hause, hört die Songs vor dem Fernseher, spielt das gleiche Riff immer und immer wieder, um die Geschwindigkeit aufzubauen, um die Songs von vor 16 Jahren spielen zu können.

Kevin | MC: Bei eurem Stream gab es ja keine Crowd vor der Bühne, mit der ihr interagieren konntet. Wie hat es sich angefühlt in einem leeren Raum zu performen, wohlwissend, dass die Leute vor ihrem Bildschirm abgehen? Habt ihr in irgendeiner Form Feedback bekommen?

John: (lacht) Während der Show haben wir kein Feedback bekommen. Da hat der Unterschied zwischen normaler Show und Live-Stream begonnen. Es gab kein Feedback. Wenn ich einen guten Tag habe und einen guten Job mache, dann bekomme ich sehr viel positives Feedback und dieses Element fehlte komplett. Als wir uns das Ganze dann aber im Nachhinein noch einmal angesehen und gesehen haben, dass die Leute Kommentare schrieben und Fotos posteten von ihrem Fernseher im Wohnzimmer und häufig mit einem Drink in der Hand… Das ging so weit, dass Leute ihre Einrichtung zertrümmerten. Es war ein witziger Gedanke, was bei den Leuten wohl gerade abgehen könnte. Dieser direkte Austausch von Energie am gleichen physischen Ort fehlte allerdings.

Kevin | MC: Ihr habt einen brandneuen Song performt, den ihr in der Quarantäne aufgenommen habt. Kannst du uns etwas zu diesem Song erzählen?

John: Na klar! Ich überlege grade, ob ich eine ernste oder eine smarte Antwort geben soll. (lacht) Unsere Freunde von „Bill und Ted“ arbeiteten an einem neuen Film und sie kamen auf uns zu und fragten uns, ob wir nicht Lust hätten, einen Track dafür zu schreiben. Da haben wir natürlich zugesagt. Wir haben den ganzen Song in unseren Häusern gespielt, und waren dabei noch nie in einem Raum als Band, bis zum Live-Stream. Wir hatten ihn also bis dato nur aufgenommen und sie haben ihn ausgesucht und er ist im Film [„Bill And Ted Face The Music“, Anm. d. Red.]. Ich weiß nicht, ob du den Film schon gesehen hast und ich möchte nicht zu viel vorwegnehmen.

Kevin | MC: Wir müssen hier leider noch einen Tag warten, bis der Film hierzulande zumindest einmalig im Kino gezeigt wird.

John: Stimmt! Das Gitarrenriff in dieser Szene ist auf jeden Fall sehr, sehr cool!

Kevin | MC: Es wird Fans geben, die Tickets für beide Shows haben. Worauf können sich diese und neue Fans bei der kommenden Show freuen?

John: Uns, wie wir auf der Bühne ein 16 Jahre altes Album spielen (lacht). Die erste Hälfte der Songs haben wir seit 2004 immer wieder in unsere Sets eingebaut, die sind also in der normalen Rotation drin gewesen. Manchmal fliegt der ein oder andere Song raus, es sind aber recht normale Songs für uns.

Die zweite Hälfte sind Songs, nach denen Fans uns häufig fragen. Das sind diese Songs, bei denen wir uns dachten: „Naja… den spielen wir nicht live. Und nun sind wir hier, und spielen sie live. Wir haben uns die Songs echt häufig angehört, um sie bühnenbereit zu bekommen, und ich denke, wir werden es rocken.

Kevin | MC: Also bekommen die Fans endlich, was sie wollen?

John: Ich hoffe es doch! Ich denke, dass die Fans noch viel mehr wollen, zum Beispiel dass diese gottverdammte Pandemie endlich vorbei ist, oder dass es einen Wechsel in der Regierung meines Heimatlandes gäbe, aber eine Heavy Metal-Show wäre doch ein guter Start in diese Richtung.

Kevin | MC: Denkst du, dass dieses Format auch nach der Corona-Zeit Bestand haben könnte?

John: Wer weiß das schon? Ich finde es interessant, darüber nachzudenken, was wäre, wenn wir irgendwo auf Tour wären, oder irgendeine andere Band, und wir würden ein Film-Team mitnehmen, um das Ganze in guter Qualität im Internet hochzuladen. Dann wäre es auch für Fans möglich, die Show zu sehen, die nicht vor Ort sein können. Man würde dann entweder ein Ticket kaufen oder eben einen Zugang zu dem Stream.

Kevin | MC: Am Samstag unterstützten euch die Jungs von Bleed From Within, in dieser Woche werden Whitechapel hinzustoßen. Gibt es vielleicht schon Pläne mit der ein oder anderen Band, zukünftig Shows vor echtem Publikum zu spielen, wenn diese Pandemie vorbei ist?

John: Wenn es die äußeren Umstände zulassen würden, wäre es sicherlich möglich, dass wir mit den Jungs touren würden. Aktuell ist es allerdings äußerst schwierig, eine Tour in der echten Welt zu planen, da du so weit in die Zukunft planen musst. Es sind so unsichere Zeiten und niemand weiß, was die Zukunft bringt.

Kevin | MC: Euer zehntes Album „Lamb Of God“ wurde während des Lockdowns veröffentlicht. Wie wurden die Aufnahmen durch das Virus beeinflusst?

John: Gar nicht. Wir haben die Aufnahmen Ende des vergangenen Jahres fertiggestellt. Dann wurde alles gemixt und gemastert. Wir mussten allerdings das eigentliche Release-Datum ändern, weil die Pandemie dazu hätte führen können, dass die Vorbesteller das Album zu spät bekommen hätten. Darum haben wir das Erscheinungsdatum nach hinten verschoben. Die eigentlichen Aufnahmen wurden durchgeführt, bevor wir überhaupt etwas über COVID-19 wussten.

Kevin | MC: Was hat euch dazu gebracht, gerade aus dem zehnten Album ein Selftitled-Album zu machen?

John: An diesem Punkt in unserer Karriere spiegelten die Songs genau das wider, was wir waren und sind. Wir waren stolz auf dieses Statement und es war wichtig, dieses Statement, was Lamb Of God ist, deutlich nach außen zu tragen.

Kevin | MC: Wenn man eure Diskographie betrachtet, dann fällt auf, dass Lamb Of God kontinuierlich neue Musik veröffentlichen. Was hält euch so produktiv?

John: Ich denke, dass einige Leute diesen Punkt anfechten würden. Ich glaube es ist nun fünf Jahre her, dass wir neues Material veröffentlicht haben. Slayer sprachen uns aber eines Tages an und meinten: „Hey, wollt ihr mit uns auf Tour kommen?“ So nahm alles seinen Lauf und wir endeten damit, dass wir das Album vorantrieben.

Ich möchte da auf keinen Fall meckern, das war eine unglaubliche Chance und Erfahrung für uns. Aber wie wir so produktiv bleiben? Ich denke, dass wir uns glücklich schätzen können, dass wir genau das machen, worauf wir Lust haben. Wir haben hiermit angefangen, als wir pleite waren und unser letztes Geld dafür ausgaben, Gitarrensaiten zu kaufen. Es ist also einfach eine Passion und das Glück, das zu tun, was wir lieben.

Kevin | MC: Deine Band stammt aus Richmond, eine sehr aktive Stadt, wenn man die Black Lives Matter-Bewegung und die aktuellen Entwicklungen rund um die Präsidentschaftswahlen betrachtet. Wie nimmst du die aktuelle Lage wahr?

John: (lacht) Ich lebe in Richmond, seitdem ich 17 bin. Die meiste Zeit habe ich in einer Gegend gelebt, die „The Fan“ heißt, wo auch die Monument Avenue ist. Das ist die Straße, die all diese Statuen hat. Ich sollte sagen „hatte“! Ich kenne die Gegend also sehr gut, bin diese Straße mit dem Fahrrad, Auto, Motorrad und Skateboard hoch und runter gefahren und ich hätte mir niemals denken können, dass sie diese Statuen abreißen.

Und ich denke, dass es ein unglaubliches Ding ist, dass sich diese Umverteilung von Macht so dramatisch zeigt. Wenn du jetzt diese Straße entlangfährst, dann gibt es da ein paar leere Podeste. Sie entfernen das Graffiti immer wieder, aber es kommt zurück. Ich finde es einfach toll, es ist ein Zeichen, dass sich die Zeiten ändern. Leider ist solcher Wandel niemals friedlich und einfach. Ich sehe also zu, dass ich auf der für mich richtigen Seite stehe und will, dass wir alle diesen alten, rassistischen Scheiß hinter uns lassen.

Kevin | MC: Ist es aktuell möglich, die Zukunft der Band langfristig zu planen und kannst du uns verraten, was die Fans zukünftig erwarten können?

John: Ich denke, dass du die Zukunft definitiv planen musst. Du musst dich entwickeln, denn wenn du stagnierst, gehst du unter. Wir haben Touren, die geplant sind, das Streaming funktioniert gut, und wir werden wieder zu dem Punkt kommen, an dem wir waren, bevor all das passiert ist. Wir sitzen nicht auf unseren Geldbergen und lehnen uns zurück, wir diskutieren viel und planen die nächsten Schritte. Wie ich es schon gesagt habe, wir sind glücklich, dass wir das alles tun können, auch in diesen schwierigen Zeiten. Ich hasse dieses Wort „gesegnet“, weil es eine schützende Hand über uns voraussetzt, aber wir sind sehr glücklich und dankbar, dass wir das alles erleben können und wollen positiv vorangehen.

Kevin | MC: Wenn du heute drei Wünsche frei hättest, welche wären das?

John: Sicherheit für alle Menschen auf dem Planeten… Das ist ein ziemlich großer Wunsch, zählt der noch als einer? Ich würde mir wünschen, dass die Menschen von ihrer gierigen, zerstörerischen Art abkommen und sich mehr dem Positiven zuwenden würden. Ich glaube daran, dass beide Seiten in uns allen vorhanden sind.

Und mein letzter Wunsch… Ich muss dazu sagen, dass wir in Amerika Redefreiheit haben, es gibt aber trotzdem Dinge, die ich nicht sagen kann, also würde ich sagen, dass ich mir sehr stark wünsche, dass Donald Trump nicht mehr im Amt ist.

Foto: Travis Shinn / Offizielles Pressebild

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