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Kommentar: Livestream-Konzerte 2020 – Ein Zwischenfazit

Eine Notlösung, die uns wohl noch eine Weile begleiten wird.

VON AM 10/11/2020

Die Pandemie hat uns klar gemacht, dass Konzertankündigungen eher mit Zweifeln als mit Vorfreude zu betrachten sind. Stattdessen entwickelt sich ein Konzept, das wir vorher auch schon kannten, aber nie als solches wahrgenommen haben: Livestream-Konzerte.

Erst kürzlich habe ich “In Absentia Dei” von Behemoth live verfolgen können und war begeistert von der bombastischen Umsetzung und dem Konzept, das sich hinter diesem Streaming-Event verbarg. Darauf konnte ich eine Liveshow von Leprous genießen, die es zudem ermöglichte, ein VIP-Ticket zu kaufen. Dieses gab den Fans die Chance, über einzelne Songs für die Setlist abzustimmen. Hier war es den Zuschauer*innen zusätzlich möglich, aktiv mit der Band zu kommunizieren, “Backstage” zu gehen und mit weiteren Fans zu chatten.

Der Chat ist oft das spannende an Livestreams. Insbesondere im MoreCore-Universum und den damit verbundenen Party-Streams ist der Chat ein Ort des regen Austauschs. Zwar sind viele Zuschauer*innen sozial und räumlich distanziert, doch irgendwie im selben (Chat)-Raum und damit verbunden.

Neben einzelnen Band-Performances gab es bereits einige Festivals, die ganze Online-Events aus dem Boden stampften und verschiedene Performances einzelner Künstler darboten. Zudem gab es etliche Talks und Interviews, um mit der Community im Austausch zu bleiben und über vergangene Festivals zu berichten.

Doch allzu neu ist das Konzept hinter diesem Ansatz nicht. Auch das Streamen von Livekonzerten kannte jeder bereits vor der Pandemie. Organisationen wie Magenta 360° streamen schon seit Jahren Konzerte, die entweder selbst von ihnen organisiert wurden oder in Kooperation mit Festivals stattfanden. Ich erinnere mich daran, wie sehr ich es genoss, die Rock Am Ring-Übertragung in mein Kinderzimmer zu holen, weil ich selbst noch nicht alt genug war, alleine auf ein Festival dieser Größe zu fahren. Doch neben der Musik war es das ganze Setting, das mich begeisterte.

Die Sache mit den Fans…

Wir alle kennen den Unterschied zwischen Konzerten, die weniger Zuschauer haben als erwartet und Konzerten, die total überfüllt sind. Ein Konzert, das vor einer leeren Halle gespielt wird, fühlt sich immer irgendwie komisch an. Es fällt schwer, ein richtiges Konzertgefühl aufkommen zu lassen und am Ende ist es eine ganz andere Erfahrung als vor einem ausverkauftem Haus, das die Bands abfeiert.

Innerhalb der letzten Wochen und Monaten haben wir uns daran gewöhnt, dass Konzerte, wenn überhaupt nur sozial distanziert und vor reduziertem Publikum stattgefunden haben. Auch im Fussballstadion waren leere, oder nur teils gefüllte Ränge zu sehen und die Geräuschkulisse ließ etwas vermissen, das für lange Zeit als selbstverständlich galt: Fangesänge, Jubel und Applaus.

All diese Aspekte fehlen bei Livestream-Konzerten gänzlich. Das Rock Am Ring at Home war auch deshalb für mich so wundervoll, weil ich jede Menge glücklicher Menschen gesehen habe, die den Moment genießen, glücklich sind und die Lieblingssongs ihrer Lieblingsbands abfeiern. Die Musik wird bei einer Bildgewalt wie dieser fast zur Nebensache. Stattdessen bestaunt man die Dimension der Bühne, die Inszenierung auf der Stage und das, was das Publikum aus dieser Performance werden lässt.

Die Vorstellung eines leeren Nürburgrings kenne ich auch. Wenn man zu früher Stunde auf dem Gelände von Rock Am Ring unterwegs ist, noch bevor die Türen öffnen, kann man einzelne Soundchecks miterleben. Wenn auch die Band hier teilweise ähnlich gut wie zur Stagetime spielt, ist die Kulisse immer etwas, das abschreckt. Man fängt nicht an sich zu bewegen, mitzusingen oder ähnliches. Es ist dieselbe Musik, aber ein ganz anderes Setting.

Zukunftsmusik?

Wenn ich mir Live-DVDs anschaue oder Live-CDs anhöre, dann ist es auch die Euphorie des Publikums, das diesen besonderen Charme ausmacht. So etwa ist auf dem neuen Jinjer-Album “Alive in Melbourne” insbesondere das Publikum so in den Vordergrund gemischt, dass es sich durch den Sound unfassbar “live” anfühlt, wenn auch es nur eine Aufnahme ist. Auch die Ansagen der Sänger*innen tragen erheblich zu diesem Live-Gefühl bei, das eben nur mit Publikum funktioniert.

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Aktuell haben viele Bands ein Live-Album angekündigt. Das Verlangen nach diesem unvergleichbaren Live-Gefühl ist möglicherweise so hoch wie nie zuvor. Doch sind solche CDs und DVDs nur ein mittelfristiges Substitut, das uns darauf hoffen lässt, 2021 wieder auf normale Konzerte gehen zu können. Eine Live-CD ist nie dasselbe wie ein richtiges Konzert und vergrößert die Sehnsucht möglicherweise sogar.

Die aktuellen Geschehnisse und das Infektionsgeschehen zeigen aber, dass diese Hoffnung wohl immer weiter in die Zukunft gedrängt wird und wir möglicherweise auch 2021 kein Konzert, wie es früher war, erleben könnten. Nicht zuletzt, weil viele Veranstalter und Clubbetreiber um ihre Existenz bangen.

Beitragsfoto: Grzegorz-Golebiowski

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