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Green Day: 20 Jahre „American Idiot“ – Unser Rückblick
Das Rockalbum einer ganzen Generation.
VON
Malin Jerome Weber
AM 25/05/2024
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“Den Song kennen nur die Coolen.” Auch auf vermehrtes Fragen wollten mir meine Freunde nicht verraten, welches Lied sie so sehr einnahm, dass sie es in jeder Pause gemeinsam auf dem Schulhof singen mussten. So gab es für mich als 8-Jährigen gleich zwei harte Pillen zu schlucken: Zum einen wurde ich als nicht cool genug abgestempelt, zum anderen sollte ich nicht den Namen des Songs erfahren, der schon schief und mit gebrochenem Englisch von Drittklässlern geträllert Ohrwurmcharakter besaß. Glücklicherweise stellte sich kurze Zeit später das Schicksal auf meine Seite, als ich aus dem Radio die Zeile “My shadow’s the only one that walks beside me” wiedererkannte.
“Boulevard of Broken Dreams” war also der Song, der mich zum ersten Mal mit Green Day vertraut machte. Für ein Kind in meinem Alter gab es erstmal kein größeres Bild, keinen Kontext und kein Bewusstsein dafür, womit ich es zu tun hatte, als ich kurze Zeit später eine gebrannte CD mit dem gesamten “American Idiot”-Album in meinen Händen hielt. Diese 13 Songs gaben mir meine Coolness zurück oder ließen sie vielleicht überhaupt erst entstehen. Auf einmal hatte ich den Sound gefunden, den ich nie aktiv gesucht hatte, aber brauchte. Der Faustschlag gegen “Dragostea din tei”, “Yeah!” und “Call On Me“, die im gleichen Jahr die Runde in meiner Schulklasse drehten.
Green Day schreiben Punkgeschichte
Was genau ist es aber, dass die Scout-Ranzen-liftenden Zahnlückenträger an “American Idiot” so sehr abholte? Mit Sicherheit sind da das hohe Energielevel und die Catchigkeit der Songs. Aber auch auf ästhetischer Ebene strahlte das in Rot, Schwarz und Weiß gehaltene Artwork etwas Jugendliches und Rebellisches aus. Die politische Ebene hinter der Musik und der Präsentation erschlossen sich uns damals nur ansatzweise. Ganz an uns vorbeigezogen sind die Debatten um George W. Bush und den Irakkrieg allerdings nicht. Für uns festigte sich dann zunächst einmal das inakkurate Bild, dass der Titeltrack mehr oder weniger direkt auf den Präsidenten anspielte – und etwas Cooleres als solch eine Kühnheit gab es damals wirklich nicht.
Auch wenn ich vorher schon mit Rockmusik zu tun gehabt habe, fühlte sich irgendwas an Green Day anders an. Es war, als hätten meine Freunde und ich einen gemeinsamen Nenner gefunden und etwas, das sich so anfühlte, als würde es uns gehören. Etwas, das mit unserer Energie zu diesem Zeitpunkt zu 100% matchte. Beim gemeinsamen Übernachten in der Schule durften alle aus der Klasse zwei Songs aussuchen, die am Abend gespielt werden sollten. Dank meiner kleinen Rockbande gab es einen klaren Fokus, welches Album man eigentlich getrost für einige Zeit in der Stereoanlage lassen konnte. Dank der gebrannten CD wurde auch sehr gekonnt der “Parental Advisory”-Sticker auf dem Cover umgangen.
Musik entdecken als Kind der 2000er
Bekommt man in frühen Jahren noch hauptsächlich von den Eltern Musik gezeigt, markierte die Zeit, in der wir “American Idiot” entdeckten, einen Wendepunkt. Die Tatsache, dass wir uns eine Band gegenseitig gezeigt haben, gab vielleicht den Startschuss dafür, sich selbst auf die Suche nach Musik zu machen, die eben nicht im Radio, auf der Kirmes oder im Kassettendeck des Familienautos rotiert. Über VIVA2, MTV und Co. war es dann kein weiter Weg zu Linkin Park, Billy Talent und Muse bis hin zu härteren Bands wie Korn oder Bullet for my Valentine. So fungierten Green Day dank des großen Erfolgs ihres siebten Albums ohne Zweifel als Einstiegsdroge für eine neue Generation an Rockfans.
“‘I was into Leonard Cohen when I was 7’. F*ck off, you weren’t. You were listening to Green Day like the rest of us.” UK-Superstar Sam Fender bringt den Einfluss der Kalifornier in einem Interview mit Radio X sehr passend auf den Punkt. Darüber hinaus stellt er die Band neben Nirvana auch als wichtigen Einfluss beim Erlernen des Gitarrenspiels heraus. Es wird keine Absicht gewesen sein: Aber dass eine neue Generation an Musizierenden ihre Lieblingssongs relativ leicht nachspielen kann (Bspw. “Holiday” auf Gitarre, “Boulevard of Broken Dreams“ am Schlagzeug), verleiht Alben wie “American Idiot” auch auf dieser Ebene noch eine ganz besondere Stellung und Bedeutung.
Ein unerwartetes Comeback
Erst Jahre später entwickelte sich bei mir aber überhaupt ein Bewusstsein dafür, dass die Mainstream-Rezeption von “American Idiot” bei Weitem nichts Gewöhnliches war. Nicht jede pompöse Rockoper mit messerscharfen Lyrics und einem gnadenlosen Blick auf die US-Politik im ruppigen Punkgewand hätte das Potenzial, so in der Musikwelt einzuschlagen. Aber auch Green Day selbst, die zehn Jahre zuvor mit “Dookie” (1994) bereits einen Peak erreicht hatten, waren in den frühen 2000ern nicht unbedingt auf bestem Kurs, den nächsten großen Meilenstein hinzulegen. So wurde das eigentlich geplante Album “Cigarettes and Valentines” (2003) nach dem Diebstahl der Mastertapes sogar komplett verworfen.
Möglicherweise hat es aber genau diesen Neustart für Billie Joe Armstrong, Mike Dirnt und Tré Cool gebraucht, um ein Album wie “American Idiot” abliefern zu können. Zwanzig Jahre später sind die Spuren jener Platte immer noch deutlich spürbar. Kaum ein Rockfan der Generationen Y und Z wird an Green Day vorbeigekommen sein und wahrscheinlich ist es genau diese Vertrautheit mit der Band, die wir bei den diesjährigen Ausgaben von Rock am Ring, Rock im Park oder dem Nova Rock zu spüren bekommen. Es ist an der Zeit, sich zu bedanken. Egal ob “American Idiot” euren Musikgeschmack maßgeblich geprägt, eure Reise am Instrument losgetreten oder lediglich für ein paar spaßige Minuten bei euch in 2004 gesorgt hat.
07.06.2024 – DE – Nürnberg, Rock im Park
08.06.2024 – DE – Nürburg, Rock am Ring
10.06.2024 – DE – Berlin, Waldbühne (w/ Donots)
11.06.2024 – DE – Hamburg, Trabrennbahn Bahrenfeld (w/ Donots)
13.06.2024 – AT – Nickelsdorf, Nova Rock Festival
15.06.2024 – CH – Interlaken, Greenfield Festival
Foto: Green Day / Offizielles Pressebild
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