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Interview
Glitterer: “Ich bin nicht reich, weil mehr Leute Title Fight durch TikTok entdeckt haben!”
Title Fight-Frontmann Ned Russin und sein aktuelles Projekt Glitterer.
VON
Maik Krause
AM 05/08/2024
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- Minuten
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“Ich bin nicht reich, weil mehr Leute Title Fight durch TikTok entdeckt haben!” Ned Russin ist bekannt für seine enge Verbindung zur Underground-Hardcore-Szene und der persönlichen Ablehnung von Social Media oder Streaming Portalen. Während Title Fight nun seit 2018 auf Eis gelegt ist, hat Russin mit Glitterer ein neues Ventil gefunden, um seiner Liebe zur Live-Musik nachzugehen. Manchmal braucht es auch gar nicht viel mehr.
Glitterer: Der unermüdliche Ned Russin
Es ist 8.30 Uhr in der Früh und Russin befindet sich auf dem Weg zum Job. Er arbeitet im Lager eines Plattenladens. “Ich kann mich nicht beklagen”, erzählt er und tatsächlich gehört Russin genau zu den Leuten, die man in einem Plattenladen nach aktuellen Geheimtipps befragen würde. Immerhin spielte er, neben den bereits genannten, schon in zahlreichen weiteren Hardcore Bands wie Disengage, Bad Seed, Stick Together oder Big Contest. Mit “Horizontal Rust” veröffentlichte er 2021 zudem ein erstes Buch: Eine melancholische Coming-of-Age-Geschichte, die rein zufällig in Wilkes-Barre, Pennsylvania spielt – der Heimat des Autors und Musikers. Mit “Rationale” erschien Ende Februar das mittlerweile vierte Glitterer-Album.
“Es ist schön, dass die Leute es sich angehört haben und sich für die Songs zu interessieren scheinen”, erklärt Russin und gibt sich insgesamt sehr bescheiden. Er macht keinen Hehl daraus, dass ihm Kritiken nicht sonderlich wichtig sind. “Wir versuchen Musik zu machen und das werden wir auch weiterhin tun. Das Album ist nur ein Teil dieser ganzen Geschichte.” Dass Russin nun von einem “wir” spricht, ist ein noch relativ neuer Umstand, immerhin versteht sich Glitterer mittlerweile als Band und nicht mehr als das Ein-Mann-Projekt, dass es bis dato war. “Rationale” war entsprechend der erste Output, den Glitterer im Kollektiv geschrieben und veröffentlicht haben.
Unterwegs mit Foxing und The Hotelier auf den größeren Bühnen
2021 begann die Suche nach Mitgliedern, als Russin bei Donut Run, einem veganen Donut Laden in Washington D.C., arbeitete. Besitzerin Nicole Dao eröffnete ihm, dass sie Klavier spiele, wurde zur Probe eingeladen und trat der Band anschließend als Keyboarderin bei. Gitarrist Connor Morin und Drummer Jonas Farah komplettierten die Gruppe.
Im Februar 2024 war das Quartett Support für Foxing und The Hotelier in den USA. Ein Traum-Lineup für alle Fans des modernen Emo, Alternative und Melodic Hardcore-Sounds, der Anfang der 2010er seinen Peak erlebte und durch Bands wie Balance & Composure, Basement oder eben Title Fight vorangetrieben wurde. Beide Headliner-Bands feierten auf der Tour den zehnten Geburtstag ihrer jeweiligen Hit-Alben – Foxing mit “The Albatross” und The Hotelier mit “Home, Like Noplace Is There”. Wie viele dort Glitterer und eben Russin selbst neu für sich entdeckt haben, wäre schwer zu sagen. Er habe aber zum ersten Mal das Gefühl gehabt, dass die Leute mit den Songs wirklich vertraut waren und die, die es nicht gewesen seien, zumindest sehr aktiv zuhörten und ihnen ihr Vertrauen schenkten. “Und das ist eigentlich alles, was man als Support auf so einer großen Tour erwarten kann.”
Title Fight und der Hype in der digitalen Parallelwelt
Einfach nur Live-Musik spielen zu können, scheint der größte Antrieb des 34-Jährigen zu sein. Eine triviale, vielleicht naive, aber absolut nachvollziehbare Denkweise, mit der sich Russin auch bewusst von der digitalen Welt abgrenzt. Während sich andere Bands verzweifelt dem Kampf um die größte Aufmerksamkeit stellen, beschränken sich Glitterer auf das Nötigste. Tour- und Release-Ankündigungen, mal ein paar Live-Impressionen, aber selten etwas, was hinter die Fassade blicken lässt. “Mein größter Kritikpunkt an diesen Social Media-Plattformen ist, dass sie dich dazu bringen wollen, länger an deinem Gerät zu sitzen, um herauszufinden, wie sie dir Dinge besser verkaufen können.” Er wolle einfach nicht dazu beitragen, dass Unternehmen, die ihn nicht interessieren, noch mehr Geld verdienen würden. Dabei verurteile er andere nicht, die sich diesem Thema mehr hingeben würden oder es sogar als ihren Lebensmittelpunkt ansehen. Es sei einfach nicht seins.
Doch auch, wenn er Plattformen wie TikTok für sich selber eher ablehnt und sicherlich auch Vinyl statt Streaming Services bevorzugt, derzeit ist der melancholische Alternative und Shoegaze-Sound, den auch Title Fight immer wieder und zuletzt überwiegend spielten, im Trend. Über TikTok und die Einbindung in entsprechenden Playlists sind Title Fight populärer denn je und kratzen bei Spotify regelmäßig an den 2 Millionen monatlichen Hörer:innen – und das ohne jegliches eigenes Zutun. Aktive, aktuell gehypte Bands wie Turnstile oder Knocked Loose liegen darunter. Zum Vergleich: 2018, als die Band ihr letztes Konzert spielte, lag die Zahl noch bei rund 150.000. “Mich interessieren die Daten nicht”, entgegnet Russin. “Es gibt den Leuten dieses analytische Werkzeug, auf das sie sich konzentrieren können, so als ob Musik oder vielleicht noch mehr, als ob eine Band ein Business ist. Aber das ist einfach nichts, was vollständig messbar ist. Es ist nicht wie jede andere Art von Karriere, wo man, wenn man genug Zeit und was auch immer investiert, ein kontinuierliches Wachstum sehen wird. So funktioniert das nicht, und es ist mir auch völlig egal. Ich interessiere mich nicht für meine eigenen Daten. Ich interessiere mich nicht für Daten anderer Leute.”
Im Vordergrund stehe für ihn vor allem die Musik zu machen, auf die er Lust hat und die Verbindung mit den Fans vor Ort auf den Konzerten. “Ich mache keine Musik, um zu gewinnen, um die meisten Listener oder um die meisten was auch immer zu haben.” Der größte Antreiber sei, wenn Leute nach der Show zu ihnen kämen, um darüber zu reden, wie viel ihnen die Songs bedeuten. “Ich denke, wenn man diese Art von Erfahrung in Echtzeit mit einer Gruppe von Menschen teilt, nimmt ein Song wirklich Gestalt an.”
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Glitterer 2024 auf Tour
Glitterer spielen im August ihre ersten Shows auf dem europäischen Festland. Wer sie im kleinen Club erleben möchte, sollte sich folgende Dates im Kalender eintragen:
09.08.2024 – Köln, Blue Shell
10.08.2024 – Darmstadt, Oettinger Villa
12.08.2024 – Hamburg, Molotow Skybar
13.08.2024 – Rostock, Peter-Weiss-Haus
15.08.2024 – Wien, Chelsea
17.08.2024 – Berlin, Kantine am Berghain
Foto: Farrah Skeiky / Offizielles Pressebild zu Glitterer
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