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Crispr Cas Method: „Make Love Great Again!“

Jörg Ahrens über die Bedeutung des Bandnamens, "Fridays For Future" und ihre selbstbetitelte Debüt-EP.

VON AM 20/11/2019

In der ausgedachten MoreCore-Themenreihe „Support Your Local Heroes“ widmen wir uns heute den Kölnern Crispr Cas Method. „Komischer Name und wieso zum Teufel sollen das Helden sein?“ könnte manch einer denken. Diese Wertschätzung ist schnell erklärt. So finden sich in den Reihen der Band aus der Domstadt drei Ex-Mitglieder einer der ehemals größten Emocore-Hoffnung der Republik, Days In Grief, sowie von KMPFSPRT und Mofa.

Musikalisch bemerkt man schnell Parallelen zu genannten Bands – was auch am markanten Gesangsstil des Frontmanns liegt – wenngleich das Technische von Days In Grief hier eher dem Drive des Punkrock weicht, ohne das Endergebnis dadurch langweiliger zu machen. Ganz im Gegenteil, denn so schaffen es Crispr Cas Method auf ihrer Anfang Oktober 2019 veröffentlichten, selbstbetitelten EP, spannende Songs mit massig Hooks und diesem speziellen authentischen 2000er Emo/Punkrock Vibe zu formen.

Um ein wenig mehr über den Fünfer zu erfahren, stand uns netterweise Sänger Jörg Ahrens im folgenden ausführlichen und sehr persönlichen Interview Rede und Antwort über Themen wie Biohacking, eine zornige Jugend und die Leidenschaft zur Musik.

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MC | Sebastian S.: Vielen Dank, dass ihr euch die Zeit nehmt und uns ein paar Fragen beantwortet. Eher durch Zufall bin ich auf eure Debüt-EP gestoßen, die ihr im Oktober diesen Jahres veröffentlicht habt und ich hatte bis dato nichts von euch gehört, zumindest in dieser Konstellation. Die Frage aller Fragen vorab, sei sie auch noch so offensichtlich: Wieso Crispr Cas Method? Was ist der Hintergrund, seine Band nach einer molekularbiologischen Methode zur Genveränderung zu benennen?

CCM | Jörg Ahrens: Also der Vorschlag für den Namen kam von mir. Ich habe abends bzw. nachts gegen 12 Uhr eine Dokumentation über Crispr und die Crispr Cas Methode gesehen. Zunächst hat mich einfach nur das Wort angefixt, da ich es witzig fand, dass ein wissenschaftlicher Begriff ähnlich geschrieben wird, wie man es auch in der hipstermäßigen Schreibweise schreiben würde, bei der man die Vokale weglässt und deren Sinn oder Komik ich irgendwie nie so richtig nachvollziehen konnte.

Doch dann hat mich der Inhalt wirklich umgehauen. Es ging in der Dokumentation um sogenannte „Biohacker“ in Amerika, welche mit Crispr Selbstversuche an sich durchführen, in der Hoffnung, bspw. ihren Körper durch genetische Veränderungen zu verbessern – also zum Beispiel über Crispr für einen besseren Muskelaufbau, etc. zu sorgen. Auch wurde in dem Beitrag gezeigt, wie Forscher darüber nachdenken, neue Spezies (wie Schnecken, Käfer) mittels Crispr Cas Methode zu erschaffen, um damit bspw. Pflanzenschädlinge zu bekämpfen. Andererseits können mit Crispr in naher Zukunft wohl auch schwere Erbkrankheiten geheilt werden. Letztlich ist die Crispr Cas Methode eine bahnbrechende, erst vor ein paar Jahren erfundene Methode in der Genetik/Gentechnik, mit der sich ziemlich “einfach” und kostengünstig nahezu alles Lebende bzw. alles, was über eine DNA verfügt, verändern lässt – insbesondere uns Menschen und unsere Embryonen.

Ich habe mir dann gedacht, dass es krass ist, dass ich als – in meinen Augen – gut informierter und belesener Mensch überhaupt nichts von dieser Methode erfahren habe. Wir wissen heute alle, welchen neuen Haarschnitt Dieter Bohlen hat oder wie die Brüste von Heidi Klum heißen, aber um etwas über eine bahnbrechende und unglaubliche Möglichkeiten wie auch Gefahren aufwerfende Revolution in der Wissenschaft mitzubekommen, muss man Dokumentationen auf Nischensendern zu Uhrzeiten gucken, zu denen viele bereits schlafen.

Crispr Cas Method steht daher zum einen für den äußerst zweifelhaften Inhalt und Filterung von Informationen durch die Medien (und hierbei insbesondere die “sozialen” Medien), als auch für eine der wohl spannendsten Fragen der Gegenwart: Wie weit sind wir bereit, uns für den medizinischen und evolutionären Fortschritt von unserem Menschsein und der “Natur” zu entfremden – und können wir diesen Fortschritt überhaupt ethisch und moralisch begleiten und im Zweifel bändigen, oder leben wir vielleicht schon längst in der von Huxley als beängstigende Utopie beschriebenen “brave new world”?

Was früher nur „Science Fiction“ war, ist heute – wie etwa die Crispr Cas Methode zeigt – Realität. Auf der anderen Seite kann ich jeden Menschen verstehen, der unheilbar krank ist oder einen unheilbar kranken Menschen in seinem geliebten Umfeld hat, dass er bereit ist, jegliche biologischen und genetischen Veränderungen durchzuführen, um sich oder diese Person zu heilen.

Auch wird mit der Crispr Cas Methode daran geforscht, ob man nicht genetisch verändertes Getreide züchten kann, welches keine Pestizide mehr braucht und fast ohne Wasser wächst, wodurch dann erhebliche Verbesserungen für die Umwelt und von Dürre und Hungersnot betroffene Gebiete erzielt werden könnten. Es gibt also – wie immer – zwei Seiten und die Beantwortung der moralischen Frage ist “bei Gott” nicht einfach. Seltsamerweise werden diese existentiellen Fragen aber weder von der Politik, noch von den Religionen und insbesondere und logischerweise auch nicht von der Wirtschaft offen diskutiert und behandelt, was ich unglaublich ignorant und gefährlich finde.

Wir brauchen hier dringend eine ethische/moralische Instanz/Gerichtsbarkeit, die die Wirtschaft und die Forschung in ethischer Hinsicht überprüft, kontrolliert und gegebenenfalls im Zaum hält, da sich viele solcher Eingriffe in die DNA eines Lebewesens eben nicht mehr umkehren lassen, wenn sie einmal vorgenommen worden sind.

Oder um es mit den von mir vergötterten New Model Army zu sagen: „tell all the people in the white coats, enough is enough“.

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MC | Sebastian S.: Mit Dir, Jörg, sowie Sebastian und Max habt ihr ja drei Mitglieder von Days In Grief bzw. auch KMPFSPRT an Bord. Johannes am Bass und Daniel an der Gitarre sind quasi “neu”. Welchen musikalischen Hintergrund haben die Beiden und wie kam es zu diesem Lineup?

CCM | Jörg Ahrens: Johannes und Daniel kommen von der großartigen Punkband Mofa. Wir kennen Sie über die Musik schon lange und haben damals mit Days In Grief auch schon mit Ihnen die Bühne geteilt. Max hat nach Days In Grief als Einziger von uns weitergemacht mit der Musik und – nachdem er KMPFSPRT verlassen hat – mit Daniel und Johannes ein neues Projekt begonnen.

Mit der Zeit sind dann eher durch Zufall Sebastian und ich noch dazu gekommen und so hat das Ganze dann Form angenommen. Der musikalische Hintergrund von Johannes und Daniel ist durchaus anders als die musikalische Resozialisierung der Ex-Days In Grief-Mitglieder, aber ich glaube, dass wir dadurch die Chance bekommen haben, einen Sound zu entwickeln, der sich eben nicht 1:1 nach Days In Grief anhört, obwohl sich durch meine Stimme natürlich viele Leute an den Sound erinnert fühlen.

Daniel schreibt einen Großteil unserer Songs (also was die grundlegende Gitarren-/Riffarbeit angeht) und bei Days In Grief hat das ja der Flo gemacht, der nun bei CCM nicht mehr dabei ist. Daniel und Johannes haben auch wenig mit der gesamten EmoCore-/Screamo-/Hardcore-Schiene zu tun und kommen mehr aus dem klassischen Punk, dem Indie oder sogar Stoner.

MC | Sebastian S.: Versteht ihr euch als Weiterführung von Days In Grief oder ist Crispr Cas Method etwas gänzlich Neues? Die Songs sind vielleicht etwas sanfter als zu DIG-Zeiten, aber der Grundcharakter ist – zumindest subjektiv – geblieben.

CCM | Jörg Ahrens: Nein, eine Weiterführung von Days In Grief oder auch Mofa soll es nicht sein, sondern etwas komplett Neues. Natürlich ist die Art des Gesangs ähnlich, da ich gar nicht anders singen kann und auch nicht will. Aber Days In Grief war durch Flos Gitarrenarbeit definitiv metal- und hardcorelastiger. Da ich selber aber auch kaum noch Bands aus dem Screamo-/Metalcore-Bereich höre, finde ich mich in dieser Art der Musik, wie wir sie mit CCM machen, heutzutage besser wieder.

MC | Sebastian S.: Gab es hier schon zu Days In Grief-Reunionshow-Zeiten parallele Bestreben? Seit wann besteht die Band?

CCM | Jörg Ahrens: Zu Days In Grief-Reunionshow-Zeiten haben wir tatsächlich darüber nachgedacht, ob wir die Days nicht nochmal aufleben lassen. Aber da der Flo in der Schweiz wohnt, dies sich in absehbarer Zeit auch nicht ändern wird und er auch nicht so richtig Lust hatte, wieder etwas Regelmäßiges zu starten, haben wir diese Idee dann auch wieder verworfen. Wie gesagt, zu CCM ist es dann durch Zufall gekommen.

MC | Sebastian S.: Man kennt Dich eigentlich als singenden Bassisten hinter dem Mikrofonständer. War es schwer für Dich, diese Aufgabe bei Crispr Cas Method teilweise abzugeben und kannst Du einschätzen, ob oder wie Du die neu gewonnene Bewegungsfreiheit “lediglich” mit einem Mikrofon bewaffnet live nutzen wirst?

CCM | Jörg Ahrens: Haha, ich habe echt ein bisschen Schiss vor dem ersten Gig, da ich mir ja vorher keinen “Bewegungsplan” machen werde und hoffe, dass sich das dann alles auch ohne Bass gut anfühlt. Zumindest bei diversen Gastauftritten konnte ich das Singen ohne Bass schon mal üben und es hat mir Spaß gemacht. Insgesamt bin ich froh, dass ich den Bass abgeben konnte, da es bspw. bei Studioaufnahmen auch echt immer ein bisschen viel Arbeit für mich war (also Gesang und Bass aufzunehmen). Außerdem ist so ein Bass auch ein gar nicht so leichtes Instrument, weshalb ich auch unter diesem Aspekt nicht gerade traurig über die Änderung bin.

Aber wir werden sehen, wie es dann live tatsächlich klappt.

MC | Sebastian S.: Eure selbstbetitelte EP ist nun seit dem 03. Oktober draußen und sogar auf Vinyl erhältlich. Vertreibt ihr die Platte selbst und wenn ja, habt ihr Ambitionen, damit das Interesse von Labels zu wecken, um vielleicht eine breitere Masse erreichen zu können?

CCM | Jörg Ahrens: Die Platte haben wir quasi komplett in Eigenregie produziert und gedruckt. Ein Label würde wahrscheinlich mit unserer Verfügbarkeit Probleme haben (wir sind alle voll berufstätig und vier von fünf Bandmitgliedern haben Kinder). Die klassischen Touren durch alle Jugendzentren Deutschlands können wir daher gar nicht machen und ohnehin ist eine Band für die Labels in diesem Genre meist uninteressant.

Wir lassen einfach alles auf uns zukommen. Primär wollten wir einfach alle wieder Musik machen. Einmal Musiker, immer Musiker.

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MC | Sebastian S.: Thematisch beschäftigt ihr euch auf der EP mit sehr persönlichen Themen wie auf “When Things Get Worse”, aber auch mit politischen Themen. Die letzten Zeilen von “Recover Your Heartbeat” lauten eben “It is never too late to recover your heartbeat” nachdem ihr in vorherigen Zeilen ganz gut zusammengefasst habt, was seit ein paar Jahren (welt)politisch und in der sozialen Interaktion und Kommunikation fragwürdige Blüten treibt. Habt ihr einen Tipp, wie man bei der erschlagenden und unkontrollierten Masse an Fake-News, Hatespeech und Cybermobbing heute noch seinen Optimismus, Glauben und Mut bewahren kann?

CCM | Jörg Ahrens: Ich glaube und hoffe, dass Vieles damit zu tun hat, dass wir noch nicht hinreichend gelernt haben, mit den sozialen Medien richtig umzugehen und deren Gewicht auch in den richtigen Kontext zu setzen. Ich meine damit: Das Reale lässt sich nach wie vor nur real erleben und nicht online.

Mir gibt aber bspw. die “fridays for future”-Bewegung Mut (auch wenn ich nicht alle politischen Ziele oder Meinungen dieser Bewegung teile), da es nun endlich wieder Kids zu geben scheint, die sich über mehr als ihr Aussehen oder die Anzahl ihrer Likes Gedanken machen und endlich wieder mutig und zornig ihren Protest und ihre berechtigten und wichtigen Anliegen geltend machen. Mein Tipp wäre also: (Soweit wie möglich) raus aus den sozialen Netzwerken und rein in die reale Welt.

Wie so oft setze ich da auf den Wandel der Zeit und dass der Instagram-Beautyqueen-Generation nun wieder eine zornige, aufgeweckte, menschliche und nicht nur auf materielle Werte achtende Jugend folgt, die uns vielleicht irgendwann Twitter, Instagram und Facebook wieder vergessen lassen.

MC | Sebastian S.: Noch bevor ihr eure EP-Releaseshow am 20. Dezember im Kölner Limes spielt tretet ihr als Support von Adam Angst im Rahmen ihrer “Neintology” Tour am 14. Dezember in der Kölner Live Music Hall auf. Das ist ja doch ein ganz schöner Ritterschlag, direkt vor potentiell ca. 1.200 Gästen zu spielen. Kommt euch hier eure Routine aus euer bisherigen Bandhistorie zugute oder macht euch diese Größe als Einstandsshow doch noch nervös?

CCM | Jörg Ahrens: Ja, mich macht sie nervös – insbesondere wegen dem neuen Arrangement ohne Bass. Aber positiv nervös. Wir sind wirklich Fans von Adam Angst und sind sehr dankbar, diese Möglichkeit zu bekommen. Aber natürlich hätten uns die Jungs wahrscheinlich auch nicht ohne unsere Bandhistorie gefragt. Wer lässt sich schon vor tausend Leuten von einer Band supporten, die erst ihr erstes Konzert spielt?!

MC | Sebastian S.: Mit Days In Grief habt ihr die deutsche Musikszene im Emo/Post-HC Bereich ganz schön aufgewühlt Anfang/Mitte der 2000er, Kritiker auf eure Seite gezogen und seid sogar 2005 nebst Killswitch Engage im Kölner Palladium aufgetreten. Die erste Reunion-Show 2015 hat nach acht Jahren Stille seit der Auflösung in 2007 doch noch soviele Fans zu Ticketkäufen animiert, dass ihr eine zweite Show in einer größeren Halle nachgebucht habt, um niemanden auszuschließen. Ist die Band als Projekt der Liebe zur Musik wegen zu betrachten oder möchtet ihr an vergangene Tage anknüpfen? In “Gleaming Hearts” singst Du “This is not just a teenage-fashion thing, it’s a conviction deep within”. Ist das ein Hinweis auf eure Ambitionen?

CCM | Jörg Ahrens: Also wie gesagt, ist es echt nicht unser primäres Ziel, wieder größere Erfolge mit der Band zu erzielen (auch wenn man bspw. die Adam Angst-Show durchaus als einen solchen bezeichnen könnte). Aber natürlich macht man die Musik nicht nur für sich, sondern freut sich immer sehr darüber, wenn sie irgendwo Anklang findet. Insbesondere, weil es ja stets ein Akt ist, der Menschen (also den Musiker und den Hörer) verbindet und näher zueinander bringt.

Und darum geht es uns: Menschen zu treffen, gegebenenfalls zu berühren und in einen offenen (und ungefilterten) Austausch zu treten.

MC | Sebastian S.: Könnt ihr schon einen Ausblick geben, was ihr für 2020 mit Crispr Cas Method plant? Sind neue Shows im Gespräch und vielleicht eine zweite EP oder ein Album?

CCM | Jörg Ahrens: Wir werden sicherlich weiter Songs schreiben und veröffentlichen und die ein oder andere Show spielen, worauf wir uns schon jetzt freuen.

MC | Sebastian S.: Ich bedanke mich im Namen des MoreCore-Teams ganz herzlich für das Interview, wünsche euch viel Erfolg mit der aktuellen EP und den anstehenden Shows und möchte euch ganz old-fashioned noch Platz für ein paar “famous last words” einräumen.

CCM | Jörg Ahrens: Die habe ich schon früher immer gehasst.

Make love great again!

Wer sich live von Crispr Cas Method überzeugen möchte, kann dies unter anderem am 20.12. im Kölner Limes tun. Hier geht’s zum FB-Event.

Die EP findet ihr bei allen gängigen Streaminganbietern und auf http://www.crisprcasmethod.com/.

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Foto: Patrick Essex / Offizielles Pressebild

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