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Interview

Billy Talent im Interview zum neuen Album: „Wir hatten viel in uns drin, das an die Oberfläche musste“

Gitarrist Ian D’Sa über das neue Album, Lebenskrisen und die besondere Bindung zu Deutschland.

VON AM 19/01/2022

Billy Talent melden sich endlich mit “Crisis Of Faith” zurück – sechs Jahre nach dem letzten Album der Alternative Rock-Band aus Kanada.

Wir haben mit Gitarrist, Songwriter und Produzent Ian D’Sa darüber gesprochen, warum es so lang gedauert hat, warum politische Statements deiner Lieblingsbands wichtig sind und was die Beziehung zu ihren deutschen Fans so besonders macht.

Billy Talent-Gitarrist Ian D’Sa im Interview

Tamara | MC: Billy Talent feiern ihr 30. Jubiläum nächstes Jahr! Ihr habt als Jungs in einer Highschool-Band angefangen. Was hat sich verändert wenn du zurück schaust?

Ohja stimmt wir haben 1993 als Band begonnen und nächstes Jahr ist 2023, das sind 30 Jahre. Wow heftig. (lacht)

Tamara | MC: Ja Mathe war nie so mein Ding aber das hab ich noch hinbekommen.

(lacht) Viele Dinge haben sich seitdem verändert. Die Musik-Landschaft war wirklich anders. Musik war mehr eine Mainstream-Geschichte als heute. Grunge war gerade groß, Bands wie Nirvana, Pearl Jam und Soundgarden. Ich denke, jetzt ist es eher so Pop und Hip Hop. Rock gibt’s aber immer noch und auch noch Rockbands und wir sind echt froh, auch noch da zu sein.

Am Anfang als wir uns noch Pezz nannten, waren wir in der Highschool und haben versucht, unseren Sound zu finden. Unser größter Einfluss zu der Zeit waren Rage Against The Machine oder Bands wie Refused und At The Drive-In. Als wir dann angefangen haben, unsere Energie auf unseren Sound zu fokussieren hat die Band Ende der 90er ihre Identität gefunden. Zu Beginn waren wir experimenteller und wir haben versucht, unsere Stimme zu finden.

Tamara | MC: Dann kommen wir mal wieder in die heutige Zeit.. Ihr werdet diese Woche euer neues Album “Crisis Of Faith” veröffentlichen!

Ich freue mich, dass diese Platte endlich rauskommt, weil ich das Gefühl habe, als ob das längst überfällig wäre. Wir wollten sie ursprünglich im Mai 2020 raushauen oder spätestens im Sommer. Aber dann kam die Pandemie, Lockdowns und Einschränkungen und so weiter, das führte dazu, dass es länger dauerte, die Platte zu vervollständigen. Aber ich weiß, dass die Fans sehnsüchtig warten und wir freuen uns sehr darauf, sie zu veröffentlichen und das Menschen sie hören können.

Tamara | MC: Die vielleicht wichtigste Frage für uns Fans: Warum hat die Band sechs Jahre gebraucht? Was ging da bei euch ab?

(lacht) Naja, es fühlt sich nach einer wirklich langen Zeit an, aber es ist auch einfach sehr viel bei uns persönlich in unseren Leben passiert. Meine Mutter starb im Mai 2020, also brauchte ich Zeit außerhalb der Band mit der Familie, um ihren Verlust zu betrauern. Ben dagegen hat eine Tochter bekommen und brauchte dann natürlich auch seine Zeit. Ich denke, wir brauchten alle Zeit für persönliche Dinge. Und dann kam natürlich die Pandemie die die Dinge auch nochmal schwieriger machte und alles mehr Zeit brauchte als normal. Normalerweise bringen wir alle drei Jahre eine neue Platte raus. Diesmal hat’s sechs gebraucht, ich kann’s echt nicht glauben. (lacht)

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Tamara | MC: Ich konnte es auch nicht glauben. Ich hab die ganze Zeit gewartet und dachte: Wo zum Teufel ist Billy Talent ich hab so lange nichts von ihnen gehört!

(lacht) Naja der Unterschied ist, dass wir beschlossen haben, bei dieser Platte die Songs Step-by-Step rauszuhauen. Also wenn mans so sieht haben wir 2019 mit “Forgiveness I+II” nur drei Jahre seit der letzten Platte gebraucht (lacht). Und dann haben wir weitergemacht mit “Reckless Paradise” und “I Beg To Differ”, eine Single nach der anderen. Wir wollten das ausprobieren, weil sich die Art des Musik-Konsumieren geändert hat. Das hatte Einfluss auf die Struktur des Albums. Ich glaube immer noch, dass das Format des Albums so gut ist, aber ich denke auch, dass es wichtig ist, ständig neues Material rauszuhauen, denn so hören die Leute heute ihre Musik über die Plattformen.

“Es war schön mal den Stop-Button zu drücken und zu reflektieren und Dinge auf ‚Reset‘ zu setzen.“

Tamara | MC: Wie war es für dich oder euch aus diesem Produktions-Releasing-Tour-Alltag auszubrechen?

Letztendlich war es eine willkommene Abwechslung. Wir haben eine Platte gemacht, sind getourt, dann sind wir nach Hause gekommen und haben geschrieben. Das wurde zur Routine. Als dann die Pandemie kam und alles geschlossen wurde, haben wir die Dinge sein lassen und uns mit unseren Familien beschäftigt. Das war das Gute an der Pandemie wir hatten Zeit, wirklich daheim zu sein. Wir konnten nicht arbeiten oder touren und die Dinge tun, die wir normalerweise tun. Es war schön, mal den Stop-Button zu drücken und zu reflektieren und die Dinge auf “Reset” zu setzen.

Tamara | MC: Was, denkst du, ist an “Crisis Of Faith” anders im Gegensatz zu den älteren Alben? Was war eure Inspiration?

Hauptsächlich hat sich der Aufnahme-Prozess, was die Lyrics angeht, über die Jahre gesehen verändert. Als wir angefangen haben, die Songs zu schreiben, hatte ich eine Ahnung, wo es hingehen sollte. Dann kam die Pandemie und alle Emotionen und Gefühle, die mit ihr einhergingen und Dinge auf der Welt passierten, was führte dazu, dass sich die Richtung der Lyrics änderte. Songs wie “One Less Problem” beschäftigen sich mit Ängsten und den Gefühlen, die die Pandemie-Situation mit sich brachte. Das war der unerwartete Teil der Platte.

Außerdem haben wir nie mit Orchestrationen gearbeitet, es ist also das erste Mal. Wir haben David Campbell arrangiert, der die Führung des Orchesters für den Song “The Wolf” übernommen hat. Das ist ein sehr besonderer Song für uns und wir denken, er ist auch sehr schön geworden.

Tamara | MC: Kannst du mir mehr darüber sagen? Worum geht’s in dem Song?

“The Wolf” wurde vom Leben eines Mannes namens Gord Downie inspiriert. Er war der Sänger der Band The Tragically Hip, eine der größten Bands Kanadas. Leider starb er an Krebs aber seine letzten Tage verbrachte er auf großer Tour, wie eine Abschieds-Tournee. So konnte er sich von den Menschen, seinen Fans und der Band verabschieden. Das war so kraftvoll und bewegend für uns. Wir nutzten diese Story für den Song und so wurde es eine Nummer über Verlust und wie du mit dem nahenden Tod klar kommst. Er bedeutet uns wirklich viel.

Nachdem meine Mutter starb hatte ich das Gefühl da eine Parallele erkannt zu haben, da sie auch an Krebs starb. Sie war super gesund und sechs Monate später war sie einfach weg. Der Song ist also aus der Ersten-Person-Perspektive geschrieben und beschäftigt sich damit und dem Abschiednehmen.

“Wir hatten da wirklich viel in uns drin, das jetzt an die Oberfläche musste.”

Tamara | MC: “Crisis Of Faith” wirkt sehr politisch. Siehst du das auch so? Wolltet ihr ein Statement setzen oder was ist eure Botschaft?

Ich denke, dass wir schon oft politische Argumente in unsere Songs eingebettet haben, gerade wenn man unsere erste Platte denkt. Jetzt natürlich mehr denn je, da wir sehr viele Themen auf dieser Platte ansprechen. Es ist praktisch normal geworden, Rassismus aufzuzeigen und wir hatten da wirklich viel in uns drin das jetzt an die Oberfläche musste. Wir wollten auf der Platte über diese Themen sprechen.

Der weltweite Nationalismus und die Spaltung der Menschen, die von einer Person ausgehen können wie Donald Trump, sind sehr angsteinflößend und auch gefährlich. Deswegen beschäftigen sich einige der Songs damit, zum Beispiel auch mit der Black Lives Matter- und der Klimabewegung. Ich glaube, all diese Menschen haben einfach genug und das wollten wir ins Licht rücken. Das es immer noch genug Menschen unter uns gibt, die auf eine Entwicklung hoffen und nicht mehr so leben wollen wie vor 20 Jahren.

“Es ist wichtig, dass deine Lieblingsband dir ein positives Statement vermittelt.“

Tamara | MC: Warum denkst du, ist es wichtig als Band politische Musik zu machen?

Ich denke, dass es sehr wichtig ist, da Musik und Bands von jungen Leuten gehört werden. Gerade in dieser Zeit des Erwachsenwerdens, die wichtigste Zeit deines Lebens, wirst du von allem um dich herum in deiner Umwelt und deinem Umfeld beeinflusst. Es ist daher wichtig, dass deine Lieblingsband dir ein positives Statement vermittelt. Für uns waren das damals Bands wie Minor Threat, Bad Religion, Rage Against The Machine. Sie hatten alle politische Standpunkte und wir machen damit einfach weiter.

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Tamara | MC: Ihr habt kurz vor Release eure Single “Judged” veröffentlicht. Ich mag den Song sehr gern, er ist heavy, punky, in-your-face. Warum habt ihr diesen Song gewählt?

Der Track ist keine typische Radionummer. Wir mussten diesen Song noch raushauen, er ist sehr kurz mit gerade mal eineinhalb Minuten. Wir haben ihm am 6. Januar veröffentlicht, weil sich das der Capitol-Aufruhr in den US gejährt hat. Der Song handelt davon, es geht um Rassismus, Misogynie und verurteilt zu werden. Wir hielten es für wichtig, diesen Tag für die Veröffentlichung des Songs zu wählen.

“Es ist einer dieser Full-Circle-Momente.”

Tamara | MC: “End Of Me” war euer erstes Feature.

Wir haben sowas noch nie gemacht. Als ich den Song geschrieben habe, hatte er diesen schweren 90s-Gitarren-Weezer-Sound. Wir sind alle große Weezer-Fans und haben zu Beginn viele Tracks vom “Blue Album” und “Pinkerton” gecovert. Vorläufig hab ich den Track also “Hendrix meets Weezer” oder “Hendrix post Weezer” genannt. Ben hat ihn zuerst gehört und meinte “Wär es nicht cool wenn Cuomo singen würde?”. Ich dachte “Ja das wäre mega!” Aber (lacht) ich hätte niemals gedacht, dass das klappen würde, er hat bestimmt zu viel zu tun. Also beendeten wir den Track und sendeten ihm das Material zu. Nach wenigen Tagen bekamen wir schon Antwort: River liebt den Song und ein paar Wochen später, bzw. knapp einem Monat kamen dann seine Vocals rüber (lacht). Ich konnte es nicht glauben. Ich war so überrascht und so geplättet, wie gut seine Stimme zu dem Part des Tracks passt. Wir könnten nicht glücklicher sein. Es ist einer dieser Full-Circle-Momente. Als wir die Band Anfang der 90er gründeten waren wir große Weezer-Fans. Jetzt diese Möglichkeit zu bekommen, war einfach toll.

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Tamara | MC: Warum gab’s bisher keine Feature?

Wir haben einmal zusammen mit unseren Freunden von Anti-Flag kollaboriert. Das war auf „Billy Talent II“ auf “Turn Your Back”. Das hat Spaß gemacht, aber wir haben nicht wirklich darüber nachgedacht sowas nochmal zu machen. Das jetzt war eine komplett andere Situation, wie ich schon sagte, das war einfach toll.

Tamara | MC: Wenn du dir irgendjemanden für eine Kollaboration aussuchen könntest, wen würdest du wählen?

Tot oder lebendig?

Tamara | MC: Egal!

Dann wähle ich Joe Strummer von The Clash. The Clash sind eine meiner Lieblingsbands und war für mich persönlich der größte Einfluss. Außerdem wirkt er wie ein verdammt cooler Kerl (lacht). Ich würde liebend gerne einen Song mit Joe Strummer machen, wäre er noch am Leben.

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Tamara | MC: Hast du einen Lieblingssong auf dem Album?

Oh ich muss sagen, dass es super viele gute Songs auf dem Album gibt. Für mich… Ach weißt du wenn man eine neue Scheibe rausbringt, sind alle Tracks darauf deine Lieblingstracks (lacht).

Spielmäßig und beim Proben ist es “Forgiveness”. Der macht Spaß, weil er schnell und herausfordernd ist. Und dann gibt es noch diesen einen Song der uns allen sehr viel bedeutet: “For You”, der letzte Track des Albums. Er ist einer meiner Favoriten.

“Es gibt viele überirdische Aspekte in diesen Versen.”

Tamara | MC: Um was geht’s denn?

Es geht um unendliche Liebe. Ben und ich haben viel mit den Lyrics ausprobiert, nichts hat funktioniert. Eines Tages haben wir gesagt, lass uns mal alles aufschreiben, was wir für unsere Liebsten tun würden, um sie zu beschützen – all die Dinge. Auf einmal funktionierte es und sie passten in den Song. Es gibt viele überirdische Aspekte in diesen Versen. Ich muss viel an meine Mutter denken und musste dies auch, während ich diesen Track geschrieben habe. Er ist besonders für mich.

“Was wir jetzt in Deutschland sind, ist für uns organisch gewachsen…“

Tamara | MC: Kommen wir mal zu einer anderen verdammt wichtigen Frage, gerade für uns in Deutschland: Touring! Ihr spielt dieses Jahr einige Festivalkonzerte in Europa. Kommt da noch mehr? Wird es eine Headliner-Tour geben?

Jaja ich hoffe doch. Wir reden darüber schon lange und haben auch schon geplant. Wir haben noch nichts angekündigt weil… ich denke nach zwei Jahren Festivals-Verschieben müssen wir noch nix hinzufügen, bis wir wissen, dass es sicher für uns ist, zurückzukommen. Aber natürlich ist das in Arbeit. Glaub mir (lacht). Wir wollen einfach nur touren, mehr denn je. Wir vermissen Deutschland sehr und vermissen es, auf Tour zu sein und wir können es gar nicht mehr erwarten.

Tamara | MC: Dein Bandkollege Ben hat jetzt mit “Louder Than The DJ” auch eine deutsche Radioshow. Ich glaube es gibt da eine sehr spezielle besondere Beziehung zwischen den deutschen Fans und Billy Talent.

Ich denke, wir haben mit Deutschland eine starke Bindung aufgebaut. Wenn ich an die erste Billy-Talent-Platte 2003 denke, hat Kanada uns mit offenen Armen empfangen, gleich danach kam Deutschland. Mehr als die USA oder andere Länder. Wir sind einfach immer wieder zurückgekommen und haben diese persönliche Bindung zu den Fans aufbauen können. Wir kennen die Fans, die auf unsere ersten Konzerte kamen und die immer noch zu uns kommen. Als wir noch in kleinen Clubs gespielt haben und unser Equipment selbst in die Veranstaltungsorte getragen haben… Was wir jetzt in Deutschland sind, ist für uns organisch gewachsen und wir könnten nicht dankbarer dafür sein. Wir haben die tollsten Fans in Deutschland und wir lieben es dort zu spielen. Wir haben so viele deutsche Freunde, die wir jetzt zwei Jahre nicht gesehen haben. Wir freuen uns sehr darauf, zurückzukommen.

Tamara | MC: Ja ich hab gehört, ihr seid ganz gut mit deutschen Bands wie den Beatsteaks oder Itchy

Ja! Die Beatsteaks sind sicher ein Grund, warum wir so erfolgreich in Deutschland wurden. Am Anfang haben wir mal eine Support-Tour mit ihnen gespielt und es war glaube eine der besten Sachen, die wir je in Deutschland auf die Beine gestellt haben und wir sind auch immer noch gute Freunde. Auch mit Bands wie Die Toten Hosen. Da gibts eine spezielle Art von Rotation zwischen den deutschen Bands und uns. Und wir sind glücklich, uns Freunde dieser Bands nennen zu dürfen.

Tamara | MC: Ja hoffentlich sehen wir uns nächstes Jahr alle auf den Festivals wieder!

Ohja, wir freuen uns so sehr!

Tamara | MC: Wie sehr vermisst du es?

(lacht) Oh Mann, so sehr. Gerade Shows wie Rock Am Ring oder Rock Im Park. Wir sollten vor zwei Jahren da spielen und jetzt ist es dieses Jahr. Aber ich vertraue darauf das es statt findet.

Tamara | MC: Letzte Worte für deine Fans in Deutschland?

Danke für die Unterstützung und dass ihr uns schon so lange hört! Wir freuen uns so sehr darauf, euch endlich wieder zu sehen und können es nicht erwarten, zurück in Deutschland zu sein. Und unser neues Album kommt am 21. Januar 2022! Wir werden zurück sein, bevor ihr es merkt, Deutschland!

Foto: Dustin Rabin / Offizielles Pressebild

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