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Interview

Anti-Flag im Interview: „Du kannst ‚F*ck Trump‘ sagen, ohne dass du Biden-Fan bist“

Bassist Chris Barker über das neue Album und die letzten 30 Jahre der Band.

VON AM 16/01/2023

Flashback to 2003: Eine Punkrock-Band aus den USA geht zum ersten Mal auf Europatour. Anti-Flag, die sich zu diesem Zeitpunkt in ihrer Heimat schon einen mehr oder weniger positiv besetzten Namen gemacht haben, landen am Flughafen Schiphol und müssen mit dem gesamten Equipment erst einmal zum Hauptbahnhof Amsterdam gelangen. Da wartet der Tourbus mit den Donots und Millencollin auf sie. Das funktioniert für die Band mit einigen Hindernissen. Fronter Justin Sane wird fast von zahlreichen Fahrräder überfahren und Bassist Chris Baker a.k.a. Chris No. 2 ist geschockt von der Mischung aus Sexshops, Drogen und jeder Menge Trubel. „It seemed like all of Europe vomited on this place“.

Zurück in die Gegenwart und zu einem sehr unterhaltsamen Interview mit Christopher Barker alias Chris No. 2. Der ist inzwischen weniger Bassist, sondern vielmehr Co-Fronter und der Anheizer bei Live-Shows ist. Anlässlich der Veröffentlichung ihres 13. Albums „Lies They Tell Our Children“ haben es sich Justin Sane und Chris No. 2 nämlich nicht nehmen lassen, für ein paar Tage und einige Akustikshows in Deutschland vorbeizuschauen.

Eine Tour mit der gesamten Band ließ der straffe Zeitplan nicht zu, doch zumindest für den Sommer sind bereits einige Festival-Auftritte bestätigt. Und wer Anti-Flag kennt, wird wissen, wie im Hintergrund sicher schon weiter geplant wird.

Anti-Flag werden nicht müde politisch zu sein

Dass alle Akustikshows mehr als gut besucht waren, zeigt, wie relevant eine Band wie Anti-Flag auch im Jahr 2023 immer noch ist. Dabei räumt auch Chris Baker ein, dass die Welt seit der Gründung der Band massiv verändert hat. Anti-Flag wehren sich sicher nicht dagegen, als linke Band bezeichnet zu werden. Doch auch ihnen ist bewusst, wie schwer es geworden ist, klare Schemata zu verwenden. So habe er sich erschrocken, als Donald Trump während seiner Präsidentschaft von „alternative facts“ gesprochen habe.

Ihn habe es an den Anti-Flag-Song „Underground Network“ erinnert, in dem die Band von der Wichtigkeit von „alternative communication“ spricht. Auch die vielen Konflikte weltweit seien nicht so einfach in Gut und Böse, in Links oder Rechts zu unterscheiden. Entscheidend sei vielmehr das konkrete Handeln: Der Einsatz für Gerechtigkeit, gegen Rassismus und Faschismus. Außerdem gebe es ohnehin kein Schwarz/Weiß-Denken. Gegen Trump zu sein, hieße nicht, der größte Joe Biden-Fan zu sein.

Mit dem immer mal wieder aufkommenden Vorwurf, eine Band wie Anti-Flag lebe von Präsidenten wie George W. Bush oder Donald Trump und der dazugehörigen Protestbewegung konfrontiert, reagiert Chris No. 2 fast wütend. Es ärgere ihn, dass Menschen so einseitig denken würden. Nur weil ein Präsident Biden oder Obama heißt, habe sich schließlich längst nicht alles zum Guten gewendet. Er habe seinerzeit auch Obama gewählt und dieser habe ebenso wie Joe Biden gerade Rechte von Minderheiten in den USA wieder deutlich gestärkt. Dennoch: Nie habe es so viele Drohneneinsätze gegeben wie unter der Obama-Regierung. Der Kampf für eine bessere und gerechtere Welt sei eben nicht mit einer Wahl beendet, sondern ein ständig andauernder Prozess. Schließlich sei die von Trump und seinen Gefolgsleuten ausgehende Gefahr längst nicht gebannt.

„Solange wir können, hören wir nicht auf“

Gut für alle Anti-Flag-Fans: Solange dieser Kampf nicht beendet ist, will die Band weitermachen. Inspiration gebe es jedenfalls genug. Man wolle zwar – so Chris No. 2 – eigentlich nicht enden wie die Rolling Stones, doch solange sie es noch können, soll es auch weitergehen. Und wenn man sich anschaut, wie energetisch die Bandmitglieder, die alle schon die 40 überschritten haben, sich nach wie vor über die Bühnen bewegen, dürfte es auch nach „Lies They Tell Our Children“ noch lange weitergehen.

Anti-Flag Lies They Tell Our Children

Von 100 neuen Songs hat’s nur einer aufs Album geschafft

Stichwort energetisch: Jeder Ratgeber wird es bestätigen. Man bleibt auch im hohen (Band-)Alter nur fit, wenn man bereit für Veränderungen ist und sich immer wieder neu erfindet. Und so wandeln sich Anti-Flag auf „Lies They Tell Our Children“ bestimmt nicht um 180 Grad. Doch man merkt der Band an, dass auch bei ihnen das Songwriting inzwischen anders und professioneller abläuft. Die Songs wirken ausgereifter und in sich stimmiger, aber dennoch nicht überladen. Das empfindet Chris No. 2 auch so.

Während der Hochphase der Pandemie habe sich die Band nur sehr selten gesehen. Er habe in dieser Zeit ungefähr 100 Songs geschrieben. Und auch wenn es von diesen Songs lediglich „MODERN META MEDICINE“ auf die neue Platte geschafft habe, so habe ihn dieses Intensiv-Songwriting ungemein nach vorne gebracht.

Außerdem habe die Band mit Absicht kein „typisches“ Pandemie-Album machen wollen. Daher seien sie zunächst durch die USA getourt und hätten sich erst dann gemeinsam dem neuen Album gewidmet. Herausgekommen ist das erste Konzeptalbum der Band. Dass man das nicht auf den ersten Blick erkennt, spricht für die Qualität und Komplexität des Konzepts.

Ein Album mit viel Tiefe

Kurz in den Worten von Anti-Flag zusammengefasst: Es geht auf „Lies They Tell Our Children“ darum, zu erforschen, woher Probleme und Ungerechtigkeiten der heutigen Welt kommen. Mal geht es dabei nur wenige Jahrzehnte zurück, mal wird die Gründungszeit der USA beleuchtet. All diese historischen Ursachen werden Song für Song in Relation zum heutigen Ist-Zustand gerückt. Punkrock kann eben doch mehr sein als drei geschrammelte Akkorde. Das wird beim Hören von „Lies They Tell Our Children“ klar, aber auch im Gespräch mit Chris No. 2. Diese Band hat auch nach 30 Jahren noch viel zu sagen – die nächsten Alben und Interviews können kommen.

Foto: Josh Massie / Offizielles Pressebild

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